Star-Geiger David Garrett über die Chancen des Crossover, um junge Menschen auch für Klassik zu begeistern – Nichts geht ohne Werbung

Mit Mozart, Beethoven und Tschaikowsky brachte es David Garrett als klassischer Geige zu Schallplattenehren. Inzwischen holt er mit Crossover-CDs Preise und Auszeichnungen. Sein gutes Aussehen, seine Neigung auch zur Pop-Musik machten den Deutsch-Amerikaner gerade bei jungen Menschen populär. Am 3. Mai 2009 konzertiert er beim Braunschweig-Classix-Festival in der Stadthalle. In Hannover lud er uns in seine Hotel-Suite.

Knut Hartmann: Wie lernten Sie Geige?

Ich habe mit vier Jahren begonnen. Das Basiswissen hat mir mein Vater vermittelt, bis ich 16 war. Der war ein harter Knochen. Ich habe alle wichtigen Geigenschulen durchgespielt. Ich hole diese Übungen auch jetzt noch manchmal vor und frische damit meine Technik auf. Ich trainiere immer erst die Technik, bevor ich die eigentliche Musik übe. Das Geigerische darf dem Musikalischen nicht im Weg stehen.

Hartmann: Sind diese Übungen für Sie heute leichte Fische?

Einiges ist sogar sehr interessant geschrieben. Zum Warmspielen sind diese Sachen genau das Richtige. Ich kann ja nicht gleich mit einer Beethoven-Sonate anfangen, dafür muss man erst die Geschmeidigkeit trainiert haben. Und auch erst eine Konzentration aufbauen. Zum Munterwerden sind Etüden sehr gut.

Florian Eisenschmidt: Wie oft üben Sie?

Jeden Tag. Auch in Pausenzeiten, und auch wenn ich mit meiner Band unterwegs bin. Bei diesen Crossover-Konzerten ist die Geschmeidigkeit genauso wichtig, denn alles soll ja besonders leicht wirken. Wenn man sehr gut spielen will, muss man denselben Aufwand betreiben, egal ob es für ein klassisches oder ein Crossover-Konzert ist. Man will ja schließlich zeigen, was man alles mit dem Instrument machen kann.

Hartmann: Ihr Kollege Gidon Kremer hat geschrieben, dass ihn Karajans Lob eher befangen gemacht hätte. Wie gehen Sie mit Lob und der Begeisterung des Publikums um?

Also ich finde es toll, wenn das Publikum oder Kritiker einem bestätigen, dass man gut war. Komplimente müssen einem doch Flügel geben, da bin ich wohl ganz anders als Herr Kremer.

Eisenschmidt: Wann haben Sie die Klassik und die Geige für sich entdeckt?

Meine Mutter war klassische Ballett-Tänzerin, dadurch hatten wir all die großen Tschaikowsky-Stücke im Schallplattenschrank. Die habe ich gehört und sofort geliebt. Mit der Geige hat zunächst mein Bruder angefangen. Als ich das so hörte, habe ich mir gedacht, das kriegst Du doch besser hin. Und da habe ich auch Unterricht bekommen.

Hartmann: Wenn Sie heute ein großes romantisches Konzert spielen sollen, fühlen sich aber gar nicht so. Wie geht das?

Dafür ist man eben professionell. Ein Schauspieler muss ja auch weinen können, ohne deswegen selbst depressiv zu sein. Man muss bei aller Emotionalität auch sehr kontrolliert sein, wenn man Musik macht. Da darf man nicht den Verstand ausschalten und sich selbstverliebt nur seinen Empfindungen hingeben.

Hartmann: Und doch gibt es manchmal diese besonderen Konzerte, bei denen auch das Publikum spürt, dass der Solist abhebt.

Ja es gibt solche Abende, da bekommt man einen emotionalen Kick nach dem anderen. Aber das ist auch nicht einfach aus einer
Momentsstimmung geboren, sondern hat mehr mit einer guten Vorbereitung zu tun. Wenn man’s einfach so drauf hat, dass alles nur so perlt.

Eisenschmidt: Wann kam denn die Pop-Musik dazu?

Ich war schon immer ziemlich neugierig, auch sonst im Leben. Und da kam eben so Musik aus dem Radio, von der fand ich, die klingt doch ganz gut, davon will ich mehr hören.

Hartmann: Sie haben auch in Konzerten diese Erweiterung zum Pop gemacht, sogenannte Crossover-Konzerte. Was lieben Sie wirklich?

Ich liebe es, Auswahl zu haben, das macht es spannend. Durch das Crossover entstehen immer neue Projekte, die mich interessieren. Und danach ist dann die Klassik auch für mich wieder neu schön.

Eisenschmidt: Glauben Sie, damit ein größeres Publikum auch für Klassik interessieren zu können?

Das ist doch unsere Aufgabe. Wir leben nicht in einer Welt, in der man darauf trauen könnte, dass das von allein kommt. Man muss rausgehen und die Leute für das, was man liebt, interessieren. Crossover ist dafür sehr geeignet. Und wenn einige Kritiker sagen, das funktioniert nicht, die jungen Leute gehen dann bloß zum Crossover und trotzdem nicht ins klassische Konzert, dann kann ich sagen: Das stimmt nicht. Bei mir sind auch die klassischen Konzerte ausverkauft. Und jawohl sind da viele junge Leute drin, die mich zuerst über Crossover kennengelernt haben. Das ist eben nicht wie bei André Rieu, der macht ja gar keine klassischen Konzerte, da bringt das dann auch nichts.

Hartmann: Was reizt Sie als Geiger am Crossover?

Dass man mit seinem Instrument experimentieren kann. Natürlich nützt mir da die klassische Virtuosität. Wichtig ist da wie bei der Klassik: Man muss atmen mit der Musik. Ich höre mir daher immer Sänger an, nicht Geiger. Schon mit 13 habe ich Fischer-Dieskau, Tauber, Wunderlich gehört. Unser Instrument imitiert die Stimme. Oistrach und die anderen ließen ihre Geige mit einer besonderen Stimme sprechen. Ich muss auch meine eigene finden.

Eisenschmidt: Wie kommt man zu einer Interpretation?

Man muss sich beim Üben genau fragen, warum machst du das? Jeden Fingersatz, jeden Bogenstrich wieder überdenken. Am besten noch mal neue Noten holen, in die nichts eingezeichnet ist.

Hartmann: Spielen Sie Kammermusik?

Demnächst spiele ich Trio mit Gautier Capuçon und Jean-Yves Thibaudet. Je unterschiedlicher die Meinungen vorher waren, desto interessanter wird das Konzert. Das Schöne ist, dass man eben nicht allein seine Interpretation festlegt wie als Solist, sondern die Meinung der anderen hört. Seine eigene kennt man ja. Ich spiele gern mit neuen Leuten, probiere gern was aus. Ich finde das bereichernd.

Eisenschmidt: Wie sehr kann man sich da zurücknehmen?

Man muss natürlich seine Persönlichkeit zeigen, das ist sogar gerade im Trio wichtig. Und man wird sich auch nicht um 180 Grad verdrehen, nur um den anderen einen Gefallen zu tun. Aber man kann sich annähern. Es muss am Ende auch einen geben, der sagt, so machen wir’s.

Hartmann: Wie erleben Sie Dirigenten?

Es gibt wunderbare, die sich Zeit nehmen zum gemeinsamen Arbeiten, Sinopoli war so, oder Mehta. Und natürlich auch die, die ohne Anspielprobe einfach ihr Tempo durchschlagen. Das hat dann nichts mit Musik zu tun, denn musizieren ist für mich kommunizieren. Aber man kann auch solche Konzerte nicht platzen lassen, wenn man das Honorar nicht zurücküberweisen will. Das sind dann eben Erfahrungen, man bucht die dann nicht wieder.

Eisenschmidt: Sind Sie aufgeregt vor Auftritten?

Keine Aufregung wäre auch nicht das Richtige. Es gibt so eine Vorfreude auf das Stück. Man muss sich vertrauen, und darum ist die gute Vorbereitung so wichtig. Sonst muss man zu viel denken, zu wachsam sein, aber man will ja auch selbst die Musik genießen. Auf Tournee lebe ich unheimlich diszipliniert, um ausgeruht zu sein, nicht krank zu werden. Solistenkonzerte kann man quasi nicht absagen, da muss man auch mit 40 Grad Fieber spielen. Also lieber gesund bleiben!

Hartmann: Sie haben jetzt eine richtige Werbe-Tour im Fernsehen gemacht. Es gibt Clips mit Ihnen im Internet. Passt das zusammen, Geige und Fernsehen?

Man muss die Leute packen, für die Musik Werbung machen, das ist keine Frage. Und wenn ein paar Mädels sagen, der sieht so süß aus, den will ich sehen, dann ist das auch okay. So kommen sie immerhin ins Konzert, und wenn ich dann nicht spielen könnte, würde mir das Aussehen auch nicht helfen. Wir leben nun mal in einer visuellen Welt. Die Klassik, siehe all die schönen Opernsängerinnen und -sänger, muss da mitgehen wie die Popmusik. Wenn ich dadurch mehr Leute in klassische Konzerte bringe, spiele ich diese Karte gern aus. Das Schöne ist: Die jungen Leute kennen das Repertoire überhaupt nicht mehr. Für die ist alles neu. Und da sind sie schlicht überwältigt von der Größe und Kraft dieser Musik.