Wie der DDR-Staatssicherheitsdienst jeden Schritt des Fußball-Profis im Westen überwachte – Auch Eintrachts Stammkneipe im Visier

Die Stasi war überall. Im kleinen Grassel im Landkreis Gifhorn auch. "Es ist ein Dorf mit etwa 1000 Einwohnern", berichtet der Inoffizielle Mitarbeiter (IM) "Kroll" seinem Führungsoffizier Major Franke in der DDR.

Aber nur einer der 1000 Einwohner machte das kleine Grassel für die Offiziere und Spitzel des Stasi-Chefs Erich Mielke wirklich interessant: Es war Fußball-Profi Lutz Eigendorf, der seit Juni 1982 beim Fußball-Bundesligisten Eintracht Braunschweig kickte und mit seiner Lebensgefährtin nach Grassel gezogen war.

IM "Kroll" meldete sich regelmäßig aus dem "Operationsgebiet" – der Bundesrepublik. 1980 war er in die "BRD" übergesiedelt und erfüllte dort seinen Kampfauftrag "zur operativen Aufklärung und Bearbeitung hasserfüllter, gemeingefährlicher und skrupelloser Feinde der DDR". Ein solcher war aus DDR-Sicht Lutz Eigendorf, der es gewagt hatte, als Aushängeschild des von Erich Mielke persönlich gehätschelten Stasi-Klubs BFC Dynamo Ost-Berlin in den kapitalistischen Westen nach Kaiserslautern zu flüchten.

"Mielke hat Eigendorfs Tod persönlich angeordnet", erklärt Dokumentarfilm-Experte Dr. Heribert Schwan vom WDR in seinem Buch "Tod dem Verräter! – Der lange Arm der Stasi und der Fall Lutz Eigendorf". Der Autor hat akribisch recherchiert und eindrucksvolle Fakten zusammengetragen. Nicht weniger als 50 hauptamtliche und knapp 20 inoffizielle Mitarbeiter sind in den operativen Vorgängen "Rose" und "Verräter" nur auf Lutz Eigendorf und sein gesamtes Umfeld in West und Ost angesetzt gewesen.

Dies ist ein Abgrund an Bespitzelung und Zersetzung, wie er erst nach dem Untergang der DDR und durch den Blick in die Stasi-Akten sichtbar geworden ist. Allerdings sind diese gesäubert und gefilzt – es fehlen die entscheidenden Vorgänge von 1980 bis 1983.

Aber auch die trotzdem gefundenen Belege sind hochinteressant. IM "Kroll" kreist im September 1982 – wenige Monate vor Lutz Eigendorfs Tod – das Ziel in Grassel ein: "Das Haus der Zielperson, die Nummer 21, liegt linker Hand." Davor "zwei Pkws vom Typ Alfa-Sud".

Dann listet IM "Kroll" die exakte Fahrstrecke des Profis zum Eintracht-Stadion auf: "Bevenrode, Flughafen, Bevenroder Straße, Querumer Straße, Berliner Straße, Sommerstraße, Rebenring und Hamburger Straße. ... Vor dem Eingang des Stadions befindet sich rechter Hand eine Tankstelle, dann folgen mehrere Parkplätze."

Geschäftsstelle und Stadiongaststätte fallen ins Visier des Spitzels, exakte Angaben über Bestuhlung, Telefonnummern, Öffnungszeiten, weibliche Bedienungskräfte.

Ähnlich ergeht es auch der stadtbekannten Kneipe "Zum gemütlichen Conny", in der bis heute die Eintracht-Profis gern einkehren. Hier wird "ein gewisser Helmut Eckleben" als Wirt notiert, das Lokal ausgekundschaftet.

Aber IM "Kroll" ist nicht der einzige, der Lutz Eigendorf Tag und Nacht überwacht. Es ist der Stasi gelungen, einen Spitzel zu platzieren, der neben dem Fußball-Profi im Auto sitzen darf und auch Zugang zu seiner Privatwohnung hat – auch in Braunschweig, auch in Grassel.

Das ist IM "Schlosser", den Eigendorf noch aus Ost-Berlin kennt. Dort ist er mit dem früheren DDR-Meister im Boxen oft nachts um die Häuser gezogen. Die Stasi hat ihn nach Kaiserslautern hinterhergeschickt und als "Freund" direkt auf Eigendorf angesetzt. Der Fußball-Profi ist arglos. IM "Schlosser" darf in Grassel sogar das neugeborene Baby sehen, so dicht ist er dran.

Den Spitzeln entgeht nichts. Sie fotografieren Türschlösser, recherchieren den Lebenswandel, die Fahrweise, Barbesuche, Kredite, Lieblingsgetränke. Sie werten die Presse aus, treiben sich am Braunschweiger Flughafen herum und horchen die Leute aus. Dort macht Lutz Eigendorf den Flugschein.

"Sie hatten ihn im Fadenkreuz", sagt Heribert Schwan. Nach dieser Version brauchten sie nur noch zuzuschlagen. Dann kommt der 5. März 1983. Aus Schwans Sicht ist es der Tag der Rache am "Verräter".

(Wird fortgesetzt)