Experten und Zeitzeugen: Es spricht vieles dafür, dass er im Auftrag der Stasi ermordet wurde

BRAUNSCHWEIG. Mehr als 50 Stasi-Mitarbeiter waren auf den DDR-Flüchtling Lutz Eigendorf angesetzt. Sie wussten alles über ihn, zogen ihr Netz immer enger. Was war das Ziel dieser aufwendigen Operation? Rache an dem sogenannten Verräter, ein abschreckendes Beispiel – Mord?

Es ist diese Frage, die sich auch nach 25 Jahren nicht klar beantworten lässt. Und es ist diese Frage, die knapp 400 Gäste am Freitagabend bewegte, zur Diskussionsrunde im Braunschweiger Cinemaxx zu kommen. Unsere Zeitung hatte mit der Stiftung zur Aufarbeitung der DDR-Diktatur eingeladen, sich mit dem Schicksal des Fußballers und den menschenverachtenden Methoden der Staatssicherheit auseinanderzusetzen.

Am 7. März 1983 starb der damalige Eintracht-Braunschweig-Spieler Lutz Eigendorf an den Folgen eines Verkehrsunfalls. Vieles spricht dafür, dass er im Auftrag der Stasi ermordet wurde. Rainer Eppelmann, Vorsitzender der Stiftung, sagte zum Auftakt der Veranstaltung: "Stasi-Chef Erich Mielke empfand es als persönliche Beleidigung, dass ein Spieler seines Lieblingsklubs zum Klassenfeind geflüchtet war. Und es sind keine Gedankenspiele, dass solche Taten geplant und durchgeführt wurden."

Der Dokumentarfilmer und Historiker Heribert Schwan vom WDR ist überzeugt, dass es sich um Mord handelt. Die Zuschauer sahen am Freitag seine Dokumentation "Tod dem Verräter – Der Fall Lutz Eigendorf". Fassen wir die wichtigen Punkte der folgenden Diskussion zusammen.

Hans Jäcker, damaliger Präsident von Eintracht – er saß im Publikum: "An dem Abend haben wir 0:2 gegen den VfL Bochum verloren, die Mannschaft hat schlecht gespielt. Lutz war sauer. Er fragte: "Was bin ich wert, wenn ich nicht einmal in dieser Mannschaft spielen darf?‘ Ich habe dann mit Trainer Maslo vereinbart, dass wir ihn im nächsten Spiel einsetzen. Das habe ich Lutz nach dem Spiel gesagt."

Helmut Eckleben, Wirt der Kneipe "Zum gemütlichen Conny" – Zuhörer im Publikum: "Er kam an dem Abend völlig nüchtern rein. Das war gegen 19 Uhr. Er hat zwei Bier getrunken, mehr nicht."

Jürgen Stumm, damaliger Eintracht-Mannschaftsarzt und behandelnder Arzt im Klinikum Holwedestraße: "Als Lutz Eigendorf nachts in die Klinik gebracht wurde, war es ein Wunder, dass er überhaupt noch lebte. Er hatte schlimme Brust- und Kopfverletzungen." Später wurde ein Blutalkoholgehalt von 2,2 Promille ermittelt. Doch der Wert muss höher gewesen sein, weil Eigendorf viel Blut verloren und Infusionen bekommen hatte. Experten reden von rund vier Litern Bier, die er hätte trinken müssen.

Heribert Schwan: "Meine Annahme ist: In der Stunde vor seinem Tod gab es ein Treffen zwischen ihm und dem Mörder, seinem angeblichen Freund. Lutz Eigendorf musste Alkohol trinken, Gift war im Spiel. Er wurde bedroht und dann weggeschickt." Zu dem Unfall sei es gekommen, weil ein anderes Fahrzeug Eigendorf geblendet habe. Seine Theorie sieht Schwan durch ein Stasi-Dokument bestätigt, in dem von Eigendorf und vom Verblitzen, also Blenden, die Rede ist.

Rudolf Rischmann, damaliger Eintracht-Schatzmeister: Was unmittelbar vor Eigendorfs Tod geschah, interessierte auch den Verein – der hatte für Eigendorf eine Lebensversicherung über 100 000 D-Mark abgeschlossen. "Wir sind die Strecke abgefahren und haben versucht, alles nachzuvollziehen. Wir haben nichts gefunden." Der Verein ist leer ausgegangen, da als Todesursache ein Unfall unter Alkoholeinfluss galt. In so einem Fall zahlte die Versicherung nicht.

Jutta Braun, Sporthistorikerin an der Universität Potsdam: "DDR und BRD haben zu der Zeit über einen Milliardenkredit verhandelt. Das Bekanntwerden eines Anschlags auf einen Bundesbürger wäre ein Problem für die SED geworden. Aber die Frage, ob es ein Unfall oder Mord war, steht nicht im Vordergrund. Es geht um die Repressalien der Stasi, und die werden an diesem Fall deutlich. Geflüchtete Sportler wie er wurden in der DDR außerdem aus Bildern retuschiert und aus Medaillenlisten gestrichen – sie sollten ausgelöscht werden."

25 Jahre nach dem Tod von Lutz Eigendorf bleibt die Antwort also offen: War es Mord oder doch ein Unfall? Auch Heribert Schwan sagt: "Der letzte Beweis fehlt – bis auf das eine Dokument. Die Staatsanwälte hätten längst handeln müssen. Immerhin geht es um einen Toten."