Am 1. Oktober 1960, vor 50 Jahren, wurden in Braunschweig Weichen gestellt. Bundesverkehrsminister Hans-Christoph Seebohm eröffnete Braunschweigs neuen Bahnhof. Am 1. Oktober feiert die Deutsche Bahn den 50. Geburtstag des Bahnhofs.

Tausende waren damals dabei, als der Minister die Signalkelle hob und der erste Zug sich in Bewegung setzte – 1,6 Kilometer südöstlich der Innenstadt, in Viewegs Garten, auf zuvor abgelegenem Terrain.

Es war ein mutiger städtebaulicher Schnitt, wie ihn andere im Krieg zerstörte Städte, abgesehen von Heidelberg, nicht wagten. Der zentrale innerstädtische Kopfbahnhof wurde ersetzt durch einen großzügigen Durchgangsbahnhof vor den Toren der Stadt.

Die Verlagerung hatte Konsequenzen. Das frühere Bahnhofsviertel verlor quasi von einem Tag auf den anderen seine Bedeutung. Innerhalb kürzerer Zeit entvölkerten sich die Straßen, Geschäfte büßten ihre Laufkundschaft ein.

Auf der anderen Seite war Großes geplant. Die autogerechte vierspurig ausgebaute Kurt-Schumacher-Straße sollte mal eine imposante innerstädtische Prachtstraße werden, zwischen Hauptbahnhof und Innenstadt. Nur dazu kam es nie. Die Innenstadt endet, seit 1981, seit der Einteilung der Stadtbezirke, nun auch offiziell am Löwenwall. Und so kommt es, dass, anders als in anderen Großstädten, Bahnreisende fast zwei Kilometer absolvieren müssen, um ins Zentrum zu gelangen.

Die ehrgeizigen Ausbaupläne blieben Ansätze. Noch 1961 hieß es in der BZ euphorisch: Die Bauland-Nachfrage am Bahnhof ist groß! Doch kaum mehr als die Iduna-Hochhäuser und des Atrium-Bummelcenters kamen letztlich dabei heraus. Es fanden sich keine Investoren.

Rückblickend, sagen Stadtplaner heute, sei die Auslagerung des Bahnhofs eine Fehlentscheidungen gewesen – zumal, wenn man bedenkt, welches Flair innerstädtische Bahnhöfe Städten wie München, Berlin, Hannover verleihen.

Der Umzug geht zurück auf das Jahr 1937, als das damalige Reichsverkehrsministerium entschied: Das Reich benötigt einen viel größeren Durchgangsbahnhof. Zum Bau kam es aber nicht mehr. In den 50er Jahren, beim Wiederaufbau der Stadt, wurden die alten Bahnhofspläne von 1937 kurzfristig wieder aus der Schublade geholt.

Dabei war die Wahl des heutigen Standortes lange umstritten. Erste Überlegungen und Entwürfe für einen neuen Bahnhof gab es bereits 1870. Schon damals wurde der heutige Standort favorisiert.

Mehrere Planungen von 1870 bis 1934 sahen einen Bahnhof am heutigen Messegelände vor. 1889 wurde ein um 180 Grad gedrehter Bahnhof am selben Standort vorgeschlagen. Eine außergewöhnliche Überlegung war die Idee von 1908, den künftigen Hauptbahnhof in Nord-Süd-Richtung an das Ende der heutigen Jasperallee zu setzen.

Über Jahre konnten keine Einigungen erzielt werden. Der Umbau des alten Bahnhofes wurde abgelehnt, da er höhere Mehrkosten fordern würde als der Bau eines neuen. Zudem war bereits Ende des 19. Jahrhunderts Braunschweig um die Altstadt herum so dicht bebaut, dass man nur nur mit großem Aufwand eine neue Gleistrasse hätte verlegen können.

Zwischen 1909 und 1932 gab es konkrete Planungen für einen Durchgangsbahnhof im Bereich des heutigen Messegeländes. Nördlich vor dem Bahnhof sollte der Kaiser-Wilhelm-Platz entstehen und von diesem aus sollte eine neue breite Hauptstraße in Nord-Süd-Richtung den neuen Bahnhof mit der Altstadt verbinden. Für die Realisierung hätten jedoch unter anderem Teile der Industriegebäude (Feldschlößchen) an der heutigen Böcklerstraße abgerissen werden müssen. Das blockierte den Plan.

1938 wurde dann wieder der Entwurf von 1870 diskutiert, erste Planungen begannen, Gleise wurden verlegt. In den 1950ern wurden die Planungen wieder aufgenommen und man entschied sich 1953, den 1938 geplanten Standort beizubehalten.

Auf dem Gelände befand sich zuvor der Braunschweiger Ostbahnhof. Bereits in den 1930ern hatte man mit dem Verlegen der Gleise für den zukünftigen neuen Hauptbahnhof begonnen.

Im Mai 1956 wurde ein Ideenwettbewerb für den neuen Hauptbahnhof ausgeschrieben, 51 Vorschläge wurden für den Neubau eingereicht. Am 27. Juni 1956 wurde durch das Preisgericht das Ergebnis des Architektenwettbewerbs verkündet. Es wurden zwei zweite Preise an Erwin Dürkop aus Hannover und Architekt J. Kiesewetter aus Bayreuth vergeben.

Entworfen wurde das Gebäude, dessen Bürogebäude 29 Meter hoch und 98 Meter breit ist, durch den Architekten Erwin Dürkop. Vorbild war der Bahnhof Roma Termini in Rom. Seit 1993 steht das Bahnhofsgebäude unter Denkmalschutz.

Service:

Die Deutsche Bahn feiert am heutigen 1. und 2. Oktober den 50. Geburtstag des Braunschweiger Bahnhofs. Startschuss der Feierlichkeiten ist heute um 10.30 Uhr in der Bahnhofshalle. Im Anschluss wird die Bilderausstellung "Hauptbahnhof Braunschweig im Wandel der Zeit" eröffnet.

Am Samstag, 2. Oktober, findet das Jubiläum mit einem Festprogramm für Jung und Alt seinen Höhepunkt. Das Familienfest auf dem Bahnhofsvorplatz beginnt um 10 Uhr.

Fakten:

Chronik des Bahnhofsbaues

1947: Die Deutsche Reichsbahn und die Stadt Braunschweig verpflichten sich am 6. Mai, neben der Reparatur am bombenzerstörten Kopfbahnhof die Arbeiten für den neuen Hauptbahnhof – dessen Bau seit 1938 geplant und durch den Krieg verhindert worden war – wieder aufzunehmen.

1949: Der Präsident der Eisenbahndirektion Hannover, Wegener, bestätigt die grundsätzliche Bereitschaft der Bundesbahn, den mit der Stadt am 1. Dezember 1938 geschlossenen Bahnhofsbauvertrag zu erfüllen.

1951: Der Generaldirektor der Hauptverwaltung der Bundesbahn, Helberg, erklärt, da die Bundesbahn angesichts ihrer Kriegsverluste die Kosten für den Braunschweiger Durchgangsbahnhof in absehbarer Zeit nicht aus eigenen Betriebsmitteln aufbringen könne, sei er außerstande, zuzusagen, dass der Braunschweiger Bahnhof bis 1971 gebaut sein werde.

1952: Nachdem die Braunschweigische Staatsbank und die Braunschweiger Geschäftsbanken sich bereit erklärt hatten, für die Fortführung der 1938 begonnenen Arbeiten am neuen Bahnhof die Zwischenfinanzierung vorzunehmen, schlägt am 12. Juni 1952 die eigentliche Geburtsstunde des neuen Hauptbahnhofs: In einer von der Industrie- und Handelskammer veranlassten Zusammenkunft kommen Bundesverkehrsminister Seebohm, der Erste Präsident der Deutschen Bundesbahn, Frohne, Oberbürgermeister Otto Bennemann und Repräsentanten der IHK überein, dass der neue Hauptbahnhof auf dem Gelände des Ostbahnhofes gebaut und möglichst bis 1961 fertig werden soll. Am 1. Oktober 1952 stellt der Rat der Stadt Braunschweig sich mit einem Mehrheitsbeschluss hinter die Bahnhofsbauplanung.

1955: Nach langwierigen Finanzierungsverhandlungen gibt Staatsbankpräsident Nickel die Erklärung ab, die Staatsbank sei bereit, der Bundesbahn für die erforderlichen 35 Millionen DM Kredit zu geben, wenn die Stadt Braunschweig die über diesen Zinssatz hinausgehenden Zinsen und Nebenkosten übernimmt. Der Rat der Stadt stimmt dieser Verpflichtung wenig später zu. Die Braunschweiger Wirtschaft steuert eine 350 000-DM-Spende bei, außerdem erhält die Stadt aus Grenzlandmitteln des Bundes weitere 300 000 DM Zuschuss. Die Bundesbahn bringt aus eigenen Mitteln 50 Millionen DM in das Projekt ein. Am 1. Oktober 1955 beginnen die Arbeiten für den neuen Hauptbahnhof.

1956: An 25 Baustellen wird gleichzeitig für den neuen Bahnhof gearbeitet.

1957: Der erste Spatenstich für den Bahnhofsvorplatz findet am 18. Februar statt. Am 18. November rattert der Triebwagen Ptp 3180, von Wolfsburg kommend, als erster Zug über einen neuen Bahnsteig am Hauptbahnhof.

1958: Der erste Abschnitt der Güterabfertigung auf dem Verschiebebahnhof wird im Februar fertig.

1959: Im Januar fängt die Stadt Braunschweig mit dem Ausbau der Ringstraßen im Bahnhofsviertel an. Am 24. März legt der Vizepräsident der Bundesbahndirektion Hannover, Boden, den Grundstein zum Empfangsgebäude.

1960: Die Stadtväter geben dem Bahnhofsvorplatz den Namen „Berliner Platz“ und der Bahnhofstraße die Bezeichnung „Kurt-Schumacher-Straße“. Am 1. Oktober läuft der erste planmäßige Zug im neuen Hauptbahnhof ein.