Heute eröffnet die neu konzipierte Dauerausstellung des Militärhistorischen
Museums der Bundeswehr (MHM). Spektakulär der brachiale Libeskind-Umbau des 1877
fertiggestellten Arsenals in der Dresdner Albertstadt: Ein Keil, der sich in den
alten Gebäudekörper bohrt und 30 Meter hoch in den Himmel ragt, inklusive
Aussichtsplattform.
Aber auch die Dauerausstellung der uniformierten
Museumsmacher hat es in sich: Nichts soll mehr so sein wie vorher. Zugegeben, es
klingt zunächst wie ein Klischee, aber der Himmel über Dresden scheint
tatsächlich etwas höher montiert als anderswo in Deutschland. Oder es liegt
schlicht daran, dass die sächsische Hauptstadt so tief im Elbtalkessel
liegt.
Vor Ort jedenfalls schaut man an guten Tagen wie heute weit ins Blaue
hinauf. Ein paar weiße Wolkenfetzen ziehen über das Großstadtgeschehen hinweg.
Man schaut hinterher und weiß dann ganz einfach: Die Sache ist wahr. Daniel
Libeskind, Star-Architekt aus New York, muss das bei einer ersten Ortsbegehung
ebenso gesehen haben, zumindest legt das sein Entwurf nahe, der sich 2002 nach
einer europaweiten Ausschreibung durchgesetzt hat.
Libeskind legte den kühnen
Plan vor, diese so offensichtliche Dresdner Distanz zwischen Himmel und Erde um
immerhin 30 Meter zu verringern. Der Aufwand dafür klingt gigantisch: Ein fast
150 Tonnen schwerer Keil aus Beton und Stahl. 75 Meter lang und 35 Millionen
Euro teuer bei einem Gesamtvolumen von 57 Millionen Euro für die komplette
Umgestaltung.
Verschont geblieben von den verheerenden Luftangriffen auf
Dresden, erledigt Libeskind, was erhalten blieb, mit einem Volltreffer mitten
hinein ins intakte historische Gebäude. Glatte Schnitte wie mit dem
Buttermesser. Chirurgische Meisterleistung ohne Flächenbrand. Und damit sind wir
eigentlich schon mitten im Thema. Es geht natürlich um viel mehr als um
irgendeine himmlische Annäherung. Das Umbauwerk dient einer Ausstellung mit
thematischen Querschnitten zur Kultur- und Sozialgeschichte von Militär und
Gewalt. Herausragende Exponate werden mehr oder weniger dramatisch mit ihren
emotional aufgeladenen Antipoden verschweißt. So bekommen Dresdner Gehwegplatten
mit Stabbombenschäden solche aus der polnischen Stadt Wielun zur Seite, die im
Zweiten Weltkrieg als Erste von deutschen Bomben vernichtet wurde.
Aber
zunächst zum großen Ganzen: Auf 13 000 Quadratmetern zeigt man hier über 800
Jahre deutsche Militärgeschichte. So fasst es jedenfalls Pressesprecher Major
Berg zusammen. Der ist die personifizierte Vertrautheit. Eine günstige
Eigenschaft für diesen Job. Aus seinem militärischen Haarschnitt ragt ein
Büschel Widerborstiger. Sein Vorgesetzter und Direktor des Hauses, Oberst Rogg,
ist ein guter Zuhörer, der noch besser reden kann. Typ „Konfliktbereiniger“.
Also letztlich im richtigen Beruf gelandet, denkt man die Bundeswehraufgaben der
Zukunft mit. Rogg ist Vater von zwei Töchtern. Auf die Frage, ob er sich keinen
Sohn gewünscht habe, antwortet der Oberst: „Nein, ich wollte immer zwei Mädchen.
Kann sein, als Ausgleich zur männlich geprägten Arbeitswelt, in der ich mich
täglich bewege .“ Zu wie vielen Teilen es also auch der familiären Situation zu
verdanken ist, oder einfach der Logik der Gesamtinszenierung folgt: Das
Militärhistorische Museum will auch für Mütter und Töchter spannend sein. Klar,
Militär-Technik bleibt allgegenwärtig. Das liegt schon in der Natur der Sache.
Aber sie eignet sich hier in Dresden nicht zum männlichen Fetisch. Und man
bleibt im Bereich des Zumutbaren.
Zwar kommt ein Leichengeruchimitat aus
einer Riechbox nahe des Schützengrabenmodells, und auch sonst gibt es drastische
Exponate wie 30 Paar Kinderschuhe aus dem KZ Majdanek, eine Galgenschlinge, mit
der deutsche Soldaten den Tod eines Offiziers durch Partisanen rächten, eine
blutverschmierte Bibel, die ein griechischer Priester vor sich trug, um dem
Morden deutscher Soldaten Einhalt zu gebieten – die Exponate sind Teil des
„Erlebnisparcours“, der zur Kernfrage der Ausstellung führen soll: Was bedeutet
Gewalt? – aber Drastisches wird hier politisch korrekt gesetzt.
Schließlich
ist das hier ja keine Geisterbahn, auch kein Brecht-Theater und kein
Bayreuth-Wettbewerb der verstörendsten Inszenierungen. Dafür soll nebenher noch
ein ziviler Beirat sorgen, mit dem sich die Macher regelmäßig auseinandersetzen
müssen. Am Überzeugendsten wird es im Übrigen sowieso dort, wo es sich um
inszenierungsresistente Exponate der Gegenwart handelt. So wie der in einer
verglasten Box ausgestellte Geländewagen „Wolf“, der in Afghanistan durch einen
Sprengsatz zerstört wurde, und in dem drei deutsche Soldaten schwer verwundet
wurden. Das ist schnörkellos. Dass man es sich nicht leicht macht, zeigt auch
die Liste der nicht zustande gekommenen Ideen. Rogg hätte beispielsweise gerne
eine Installation gemacht, mit der man die arabische Revolution darstellt, um
einen klaren Gegenwartsbezug herzustellen. Überzeugt davon, dass moderne
Massenkommunikationsmittel in dieser Auseinandersetzung als Waffe eine ganz
zentrale Rolle spielten, war die Idee, eine Wandinstallation aufzubauen mit
Tausend und einem Handy mit eingefrorenen Fotos der Ereignisse. Gescheitert ist
das ganze letztlich nicht am Beirat, sondern weil man schlicht keinen
vernünftigen Sponsor für dieses Märchen aus 1001 Handys gefunden hat. Eigentlich
ein Glücksfall, denn hier hätte eine tausendfach aufgepumpte Harmlosigkeit den
Bildungsauftrag deutlich überlagert.
Und wenn hier schon „Gewalt“ über
politische Grenzen hinweg übergeordnetes Thema sein soll, warum dann überhaupt
auf so harmlose Weise auf aktuelle Ereignisse reflektieren wollen? Weshalb nicht
konsequent provokativ ein paar Guantanamo-Open-Air-Gitterkäfige dem
„Erlebnisparcours“ in den Weg stellen oder ein paar zähnefletschende
Abu-Ghuraib-Schäferhunde in den im Vorfeld bereits vielfotografierten
„Kriegstier-Cat-Walk“ einreihen? Keinen Sponsor gefunden? Und auch wenn Rogg
betont: „Auf das politisch Korrekte schauen wir dabei weniger, denn dann hätten
wir ja schon eine Schere im Kopf.“ bleibt man hier in Dresden natürlich
schneidig politisch korrekt. Bündnistreu. Ja doch, die angebotenen Ambivalenzen
sind letztlich nur in sich selbst provokativ. „Konsens-Provokationen“.
Denn
welcher aufgeregte Diskurs sollte sich daraus ergeben, wenn die Spitze einer
V2-Rakete auf eine mit Sandsäcken und schwarzangemalten Fenstern kriegstauglich
gemachte Puppenstube eines englischen Mädchens zielt? Bei allem symbolhaften
Budenzauber darf nicht vergessen werden, dass man es auch hier nicht mit einem
Paradigmenwechsel zu tun hat. Na gut, es geht schon vorwärts. Aber so, wie es
eben vorwärts geht, wenn man mit angezogener Handbremse erfolgreich auf Tempo
100 beschleunigt. Man bleibt auch in der Provokation verteidigungsfähig. So
gesehen sind die in einigen Feuilletons hochgelobten Risiken
kalkulierbar.
Andreas Kilb beispielsweise schreibt in der F.A.Z., nach der
Eröffnung würde „erst richtig deutlich, wie weit sich die Kuratoren vorgewagt
haben“. Da muss der Autor entweder euphorisiert oder betäubt gewesen sein von
Sissal Tolaas Installation der Verwesungsgerüche. Der Journalist Henryk M.
Broder ätzte schon 2001 auf seiner Website über das Jüdische Museum in Berlin
und gegen die emotionale Historienvermittlung in Libeskind-Bauten: „Viele haben
sich für ein paar Minuten in den ,Holocaust-Turm’ einschließen lassen. So wird
Geschichte emotional vermittelt, so werden aus normalen Deutschen echte
Antifaschisten gemacht.“
Und: „Wo keine Symbolik mit im Spiel ist, da hat es
ein Scharlatan schwer, seine Ideen in die Praxis umzusetzen.“ Und Symbolik ist
dem Libeskindschen Keil in Dresden nun einmal unmöglich abzusprechen. Wie auch
immer. Broder hin oder her: Der Libeskindsche Einschnitt ist nicht rückbaubar.
Diese Veränderung ist endgültig. Ein Drittel der historischen Bausubstanz wurde
unwiderbringlich zerstört. Und der Entwurf ist zudem so eng mit der
Ausstellungskonzeption verbunden, das eines nicht ohne das andere könnte. Und
dann steht man wieder am Eingang. Hinter sich lässt man eine der umfangreichsten
Sammlungen von Kriegsgerät und diversen Opferexponaten. Der Blick von hoch oben
weit über Dresden wirkt noch nach. Aber jetzt weiß man gar nicht mehr so recht,
wie man sich fühlen soll. Nein, Krieg ist keine Lösung. Aber das wusste man
vorher schon. Also ist auch der Einsatz in Afghanistan keine Lösung. Das erzählt
am eindrucksvollsten der zerstörte „Wolf“. Aber wie nachhaltig und verstörend
ist das nun alles? Die Ausstellungsmacher der Bundeswehr haben sich mit ihren
Besuchern weit in pazifistisches Feindesland gewagt. Den Kompass allerdings
haben sie dabei aus Sicherheitsgründen nie aus der Hand gegeben. Das spüren die
am meisten, die sich nicht gerne führen lassen.
Der Braunschweiger Autor Alexander Wallasch veröffentliche mit Ingo Niermann 2010 den Veteranenroman „Deutscher Sohn“.
Fakten:
Mit mehr als einer Million Exponaten gehört das
Militärhistorische Museum der Bundeswehr in Dresden weltweit zu den größten
seiner Art. Seit 2004 wurde das Gebäude aus dem 19. Jahrhundert für 62,5
Millionen Euro grundlegend saniert und nach Plänen von US-Architekt Daniel
Libeskind umgebaut. Fortan sind im Inneren des Hauses und auf einem Freigelände
auf 20 000 Quadratmetern Ausstellungsfläche etwa 10 500 Objekte zu sehen. Sie
sollen 700 Jahre deutsche Militärhistorie als Kulturgeschichte der Gewalt
illustrieren.
Seit mehr als 100 Jahren wird das Gebäude als
Ausstellungsstätte genutzt. Es war Sächsisches Armeemuseum, unterstand später
der Wehrmacht und wurde schließlich DDR-Armeemuseum. 1990 übernahm dann die
Bundeswehr das Kommando. Zu den Raritäten der Sammlung gehören das erste U-Boot
– aus dem Jahr 1850 – oder das Riesengeschütz „Die faule Magd“ von 1430.
dpa