Berlin. Die Situation auf dem Wohnungsmarkt ist ernst. 700.000 Wohnungen fehlen, der Neubau ist abgewürgt. Die Baupreise verteuern sich stark.

Die Situation auf dem Wohnungsmarkt ist angespannt und Besserung weit und breit nicht in Sicht: Wenn Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) am Donnerstag zum 14. Wohnungsbau-Tag in Berlin mit wichtigen Vertretern der Bau- und Immobilienbranche zusammenkommen, droht der nächste Nackenschlag. Das im Koalitionsvertrag vereinbarte Ziel von 400.000 neuen Wohnungen pro Jahr ist für das zurückliegende und das laufende Jahr längst aufgegeben. Erwartet wird ein drastischer Einbruch. Dabei fehlen schon heute nach aktuellen Berechnungen rund 700.000 Wohnungen bundesweit.

Die Unternehmen selbst befinden sich angesichts gestiegener Zinsen sowie hoher Material- und Energiepreise in Schockstarre. Branchenprimus Vonovia etwa will in diesem Jahr keine neuen Wohnungen bauen. Kein Wunder: Unter den aktuellen Bedingungen sind erschwingliche Mieten bei Neubauten nicht mehr realistisch. Das ist ein Ergebnis einer Studie des schleswig-holsteinischen Wohnungs- und Bauforschungs-Instituts ARGE Kiel, die beim Wohnungsbautag präsentiert werden soll und von der ein Auszug unserer Redaktion vorab vorliegt. Lesen Sie auch: Ob Miete oder Eigentum: Senioren stehen vor großem Problem

Wohnen: Mindestens 17,50 Euro pro Quadratmeter Miete bei Neubauten

In Großstädten sei selbst bei Geschosswohnungen in Mehrfamilienhäusern der Quadratmeter für einen Mietpreis von unter 17,50 Euro pro Quadratmeter nicht mehr zu finanzieren. Kalt, wohlgemerkt. Und das sei auch eher eine konservative Annahme. „Realistischer ist ein Preis von 20 bis 23 Euro pro Quadratmeter. Solche Mieten können sich die wenigsten noch leisten“, sagte Studienleiter Dietmar Walberg unserer Redaktion.

Doch selbst bei 17,50 Euro kalt würde die Miete im Monat bei einer Durchschnittswohnung, deren Wohnfläche laut Statistischem Bundesamt aktuell bei rund 92 Quadratmetern pro Wohnung liegt, bei 1610 Euro Miete liegen – ohne die hohen Energiepreise. Kosten, die viele Haushalte nicht stemmen können, insbesondere dann nicht, wenn man die Faustformel anwendet, wonach die Wohnkosten nicht mehr als ein Drittel des Haushaltseinkommens ausmachen sollten. Auch interessant:Wohn-Check: Was sich Durchschnittsverdiener leisten können

Kosten für den Ausbau haben sich teils vervierfacht

Wie stark sich die Kosten erhöht haben, wird im Rückblick der vergangenen 23 Jahre deutlich. Seit dem Jahr 2000 hat sich allein die Finanzierung des Rohbaus eines Gebäudes verdoppelt. Vor allem aber treiben technische Standards – etwa Heizungen, Lüftungen und Sanitäranlagen – die Kosten. Der technische Ausbau hat sich in den vergangenen 23 Jahren mehr als vervierfacht. Konstruktive Ausbaukosten, etwa für Tischler, Fliesenleger oder Maler, hätten im Betrachtungszeitraum um 139 Prozent zugelegt.

Auch die Entwicklung bei den Materialpreisen verteuert das Bauen. Zwar sind etwa Bauholz oder Stahl wieder recht kurzfristig verfügbar, warmgewälzte Betonstahl-Stäbe hätten sich in den letzten drei Jahren aber um 79 Prozent im Preis verteuert. Auch Bauholz ist aktuell immer noch 34 Prozent teurer als vor der Coronapandemie. Zement und Baukies ist fast zwei Drittel teurer als noch vor drei Jahren.

Baugewerkschaft schlägt Alarm und warnt vor Jobabbau

Angesichts des einbrechenden Wohnungsbaus warnt Robert Feiger, Chef der Baugewerkschaft IG BAU, bereits vor den Folgen eines möglichen Jobabbaus. Es drohe die Arbeit aus einem Jahrzehnt vernichtet zu werden: Seit 2010 hat sich die Zahl der Beschäftigten im Bauhauptgewerbe um 210.000 Personen auf nun 920.000 Beschäftigte erhöht. Im Gegensatz zum mühsamen Aufbau gehe ein Absturz rasend schnell, warnt Feiger: „Der Abbau bei den Beschäftigten auf dem Bau läuft sechsmal schneller als der Personal-Aufbau.“

Er fürchtet einen Effekt, wie ihn zuletzt die Gastronomie erlebt hat: Seit der Pandemie klagt die Branche über einen Fachkräftemangel. „Geht der Bau einmal in die Knie, dann dauert es Jahrzehnte, bis er wieder auf die Beine kommt – wenn er es überhaupt schafft“, warnt Feiger. In die Pflicht nimmt der Gewerkschaftschef Christian Lindner (FDP). Der Bundesfinanzminister dürfe sich beim Bauen und Wohnen nicht aus der Verantwortung ziehen, ansonsten drohe ein „Desaster“. Es brauche deutlich mehr Geld für den Wohnungsbau.