Wolfsburg. Ab dem 27. April sollen in Wolfsburg, Emden und Hannover wieder Autos gebaut werden – unter Bedingungen, die es so nie zuvor gab.

Es soll ein perfekter Wiederanlauf unter den denkbar widrigsten Umständen werden. Am 27. April soll nun nach den Vorstellungen von VW-Management und Betriebsrat in den großen westdeutschen Produktionswerken Wolfsburg, Emden und Hannover die Arbeit wieder beginnen (bei der Sachsen GmbH geht es schon eher los). Den Kampf gegen die Ausbreitung der Corona-Seuche bei gleichzeitiger industrieller Massenfertigung ist eine gänzlich neue Herausforderung für einen Giganten wie Volkswagen.

Betriebsratschef Bernd Osterloh geht die Sache gewohnt selbstbewusst an. „Mit rund 100 Maßnahmen halten wir das Infektionsrisiko bei Volkswagen so gering wie möglich. Das setzt einen Standard in der Industrie“, schreibt Osterloh auf der Homepage von „IG Metall bei VW“, der Plattform des Vertrauenskörpers im Werk. Zugleich weiß der Betriebsratsvorsitzende um die Schwierigkeiten, die sich in der Praxis ergeben werden. „Eine Situation wie jetzt haben wir noch nie erlebt. Ich weiß aber: Die Motivation bei den Kolleginnen und Kollegen ist riesig, endlich wieder loszulegen. Wiederanläufe gibt es nach jedem Werksurlaub, damit haben wir große Erfahrung. Jetzt mit der Pandemie müssen wir unsere Routinen dafür anpassen. Eine Antwort darauf ist unsere neue Vereinbarung zum Gesundheitsschutz“, kommentierte Osterloh die am Mittwoch gemeinsam getroffene Entscheidung, am 27. April wieder schrittweise in die Produktion von Golf, Tiguan, Touran und Seat Tarraco einzusteigen. Mit einer großen Informationskampagne („Visuelles Management im Werk Wolfsburg“) soll dieser Schritt für die Mitarbeiter erleichtert werden. „Aber machen wir uns nichts vor: Anfangs werden die neuen Abläufe bei den Kolleginnen und Kollegen Fragen und Bedenken auslösen. Unter diesen Umständen haben wir noch nie Fahrzeuge entwickelt, gebaut und vertrieben. Daher erwarte ich von den Führungskräften, für die nötige Vertrautheit mit den neuen Prozessen zu sorgen. Zeit für Antworten ist jetzt wichtiger als die täglichen Produktionszahlen“, wendet sich Osterloh an das Management.

Auch für die Führungskräfte ist die Situation neu. Noch vor wenigen Wochen war es ihr vorrangiges Ziel, die hohen Spar- und Effizienzvorgaben konsequent durchzusetzen. Von hohen Produktionsstückzahlen hatte man sich auch in Wolfsburg in diesem Zusammenhang schon längst verabschiedet. Auch ohne Corona-Epidemie werden am Mittellandkanal künftig wohl kaum mehr als 700.000 Einheiten gebaut werden.

Andreas Tostmann, Vorstand für Produktion und Logistik der Marke Volkswagen, wird in der Pressemitteilung des Unternehmens mit dieser Aussage zitiert: „Wir fahren die Produktion und Logistik gestaffelt und wohlgeordnet wieder hoch. Dabei hat die Gesundheit unserer Mitarbeiter oberste Priorität. Mit einem 100-Punkte-Plan sorgen wir für sichere Arbeitsplätze und maximalen Gesundheitsschutz. So sorgen wir mit einem hohen Maß an Verantwortungsbewusstsein dafür, dass die Wirtschaft wieder Fahrt aufnimmt und wieder Autos aus den Werken zu den Händlern und zu unseren Kunden gelangen.“

Der Wiederanlauf wird von einem umfangreichen Maßnahmenkatalog begleitet, der den Anlauf in mehrere Phasen unterteilt, wie Volkswagen schon vor geraumer Zeit mitteilte.

In der Phase 1 sind die Vorkehrungen am umfassendsten und werden bis zum Normalbetrieb in der Phase 4 sukzessive zurückgefahren. Die Übergänge legen Unternehmen und Betriebsrat gemeinsam fest. Der Maßnahmenkatalog umfasst konkrete Abstands- und Hygieneregeln, Pflicht zu Mund- und Nasenschutz in Bereichen, wo Abstände von 1,5 Meter nicht möglich sind, abgestimmte Reinigungsintervalle, Entkoppelungen von Schichten, um Kontakte zu vermeiden, sowie die Aufforderung zur eigenverantwortlichen Temperaturmessung vor der täglichen Arbeitsaufnahme. Insgesamt umfassen die Veränderungen für optimierte Abläufe mehr als 90 Themenfelder.

Schwerpunkt ist die Fertigung. Expertenteams haben dafür in enger Abstimmung mit dem Betriebsrat Prozesse angepasst und teils von Grund auf neu geregelt. Die Produktion wird damit in Phase 1 langsamer laufen als üblich. Neben geänderten Abläufen, die mehr Zeit benötigen, ist auch die Taktung der Arbeitsinhalte so optimiert, dass Abstand gehalten und Kontakte minimiert werden.

Für die Bürobereiche greifen Anpassungen, die sich teils bereits bewährt haben, etwa in der Technischen Entwicklung. So kann bei Bedarf beispielsweise der Gleitzeitrahmen erweitert werden, um zeitliche Abstände in den indirekten Bereichen zu erleichtern. Aus demselben Grund gilt für die Mobile Arbeit bis auf weiteres, einen möglichst großen Anteil der Arbeitsleistung von zuhause aus zu erbringen. In Fahrstühlen sollen sich nur noch maximal zwei Personen gleichzeitig aufhalten, an Besprechungen dürfen höchsten fünf Personen teilnehmen. Sämtliche Regelungen gelten auch für die Beschäftigten externer Partner und Dienstleister.