Wolfsburg. Ein 2015 von der Berlinovo übernommenes Immobilienpaket wird für die Wolfsburger Wohnungsgesellschaft Neuland zum Millionengrab.

Außer Spesen nichts gewesen: Ein politisch motivierter Immobilien-Deal aus dem Jahr 2015 wird für die städtische Wohnungsgesellschaft Neuland mehr und mehr zum finanziellen Verlustgeschäft. Während die Hochhäuser Don Camillo und Peppone in Wolfsburg-Detmerode derzeit für mindestens 75 Millionen Euro saniert werden, hat der ebenfalls von der Berlinovo übernommene Riesen-Wohnblock in Westhagen inklusive Abriss Millionen verschlungen – und jetzt liegen auch noch die Ersatzbauten der Neuland auf Eis.

220 Mietwohnungen sind mit dem Abbruch der Hochhauskette in der Dessauer Straße vom Markt verschwunden. Der Plan lautete, sie durch modernere und ansehnlichere Mehrfamilienhäuser auf der anderen Straßenseite zu ersetzen. Oberbürgermeister Klaus Mohrs versprach seinerzeit eine Aufwertung des Quartiers. Doch in der jüngsten Sitzung des Bauausschusses fiel auf, dass von dem Bauprojekt im so genannten Freizeitpark Westhagen nur noch im Konjunktiv die Rede war.

Wie die Neuland nun auf Anfrage bestätigte, wird erst einmal nichts aus den Neubauten. Man habe das Projekt in Abstimmung mit dem Aufsichtsrat bis auf Weiteres vertagt, heißt es vonseiten der Geschäftsführung.

Immobilien-Übernahme sollte eine Chance für Westhagen werden

„Aufgrund der massiven Preissteigerungen bei Baustoffen und Materialien ist eine Kalkulation des Projektes Dessauer Straße weder für den Generalunternehmer noch für die Neuland möglich“, schreibt das Wohnungsunternehmen. Und weiter: „Eine ökonomische und wirtschaftliche Projektrealisierung unter Berücksichtigung, dass die Neuland die Wohnungen zu erschwinglichen Mieten anbieten möchte, ist aktuell nicht möglich.“

Die Neuland wollte den Abrissblock im Wolfsburger Stadtteil Westhagen durch moderne Mietshäuser ersetzen. Angesichts massiver Preissteigerungen erscheint ihr das aber momentan als unwirtschaftlich.
Die Neuland wollte den Abrissblock im Wolfsburger Stadtteil Westhagen durch moderne Mietshäuser ersetzen. Angesichts massiver Preissteigerungen erscheint ihr das aber momentan als unwirtschaftlich. © PartnerundPartner | Partner und Partner (Visualisierung)

Das ist bitter, denn bisher hat das Kettenhochhaus in Westhagen die Neuland und den Staat nur gekostet, und zwar nicht wenig. Der riesige Block befand sich 40 Jahre lang in privater Hand – und kam mehr und mehr herunter. Seit 2007 trommelten Bewohner, Politik und Stadtverwaltung beim Eigentümer dafür, in die Gebäude zu investieren.

Neuland hält Neubauten in Westhagen momentan für unwirtschaftlich

2011 schloss der damalige Stadtrat Werner Borcherding mit der Verwalterin Arwobau einen Vertrag über einen von der Stadt geförderten Teilrückbau und die Modernisierung. Doch der Arwo-Nachfolgerin Berlinovo war das Bauvorhaben zu teuer. Daran änderten auch mehr als 1000 Unterschriften, die eine Delegation aus Westhagen Ende 2012 nach Berlin brachte, nichts.

Das war die Ausgangslage, in der die Neuland 2015 den bis zu 14 Stockwerke hohen Mietkomplex übernahm – zusammen mit einem Immobilien-Paket aus den ebenfalls weitgehend maroden Detmeroder Hochhäusern Don Camillo und Peppone, dem Einkaufszentrum Westhagen sowie weiteren Immobilien im Stadtteil. Eigentlich wollte die Westgrund AG das Paket haben, doch die Übernahme hatte die Stadt Wolfsburg mit der Ankündigung blockiert, von ihrem Vorkaufsrecht Gebrauch machen zu wollen.

Stadt Wolfsburg griff 2014 in Immobilienverkauf an die Westgrund ein

„Wir nutzen das Vorkaufsrecht für die Immobilien in Westhagen, um die Stadtentwicklung in diesem Stadtteil voranzutreiben“, erklärte der damalige Oberbürgermeister Klaus Mohrs im September 2014. „Bei der Neuland als kommunale Gesellschaft sehen wir eine verstärkte Steuerungsmöglichkeit zum Wohl des Stadtteiles und seiner Bewohner.“

2018 versprach der OB beim Abbruchstart des zusätzlich übernommenen Blocks in der Dessauer Straße: „Nach diesem Abriss wird was Neues kommen. Und das wird eine grundlegende Chance für diesen Stadtteil bieten, sich noch einmal zu entwickeln.“

Abbruch in Dessauer Straße kostete rund zehn Millionen Euro

6,5 Millionen Euro sollte der Abbruch kosten, davon 3,7 Millionen Euro sollten aus dem Bund-Länder-Förderprogramm „Soziale Stadt“ kommen. 2019 beschloss der Rat der Stadt Wolfsburg, weitere 1,5 Millionen Euro zuzuschießen. Eine erst beim Abriss zu Tage getretene zusätzliche Asbestproblematik hatte die Abrisskosten auf zehn Millionen Euro anschwellen lassen.

Die Neuland plante sodann Neubauten auf dem Gelände des Freizeitparks Westhagen. Das neue Einkaufszentrum und darüberliegende Wohnungen will ein privater Investor schaffen. Im Mai beschloss der Rat die Auslegung des Bebauungsplans.

Neuland steuert um: Gebäude-Modernisierungen statt Neubau

Doch im aktuellen Wirtschaftsplan der Neuland sind bis 2027 insgesamt nur noch 26 Millionen Euro für Neubauten eingeplant. Ab 2028 soll gar nichts mehr fließen. Aufgrund der Notwendigkeit, klimaneutral zu werden und damit auch die Energiekosten für die Mieter im Rahmen zu halten, haben sich die Prioritäten verschoben: 210 Millionen Euro will die Neuland bis 2032 für die Bestandsmodernisierung aufbringen.

An Wohnungen herrscht in Wolfsburg aktuell ohnehin kein Mangel mehr. Bei der Neuland lag der marktbedingte Leerstand im August bei drei Prozent, weitere drei Prozent der Wohnungen waren noch im Neubau, in der Sanierung oder wurden bewusst für Mieterumzüge frei gehalten. Dass sich die Dinge so ändern würden, war 2014 und 2015, als die Entscheidungen fielen, nicht absehbar – kurz vor Dieselgate und der daraus resultierenden Haushaltskrise und lange vor der Pandemie und dem Ukraine-Krieg.