Wolfsburg. In Höhe des VW-Werks in Wolfsburg läuft die Suche nach Bomben-Blindgängern. Vor den Kampfmittelsondierungen darf die Autobahn nicht saniert werden.
Es sieht ein bisschen so aus, als ob irre Maulwürfe im XXL-Format am Werk gewesen wären: Dutzende Erdhaufen türmen sich dicht an dicht – da, wo normalerweise Autos, Busse und LKW fahren. Über die komplette Fahrbahnbreite erstreckt sich die Buddelei auf der Baustelle. Auf der A 39 in Höhe des VW-Werks sind die Kampfmittelsondierer im Einsatz.
Auf der gesamten Fahrbahnbreite in Fahrtrichtung Norden, wo per Bagger im August auf mehreren tausend Quadratmetern die Fahrbahn aufgebrochen und abgetragen worden ist, ist eine Art riesiger Sandkasten entstanden. Denn der Boden ist sehr sandig.
Am Tag schafft Spezialbagger bis zu 100 Bohrlöcher auf A 39
Da, wo normalerweise die linke Autobahn-Fahrspur verläuft, thront ein knapp 30 Tonnen schwerer Kettenbagger. Wo sich auch eine Baggerschaufel befestigen lässt, ist eine Lafette mit Bohrspindeln angebracht. Mit einem erstaunlich leisen Surren schraubt sich das Bohrgestänge, im unteren Teil von einem Metallkorb umgeben, gerade in den Boden. In diesem Bereich bis in 12 Meter Tiefe.
Davor erstrecken sich an jenem späten Vormittag Anfang September schon fast 70 frische Erdhaufen, gespickt mit blauen Kunststoffrohren. Alle 1,5 Meter ein Loch, die Reihen im Abstand von 1,3 Metern – das ist das Bohrlochraster. 70 bis 100 Bohrlöcher schafft das Baustellen-Team pro Tag, insgesamt werden es mehrere tausend sein, berichtet Projektleiter Robin Enkelmann von der Autobahn GmbH des Bundes, die für die Kampfmittelsondierung verantwortlich ist.
Wenn’s im Untergrund plötzlich quietscht, ist sofort Schluss
Und was ist, wenn die Bohrspirale plötzlich auf Widerstand stößt? „Eisen auf Eisen fängt an zu quietschen. Dann hörst du sofort auf!“, erklärt Detlef Laaser. Er ist der Räumstellenleiter. Treffe der Bohrer auf ein Hindernis, „dann steigt der Druck unheimlich in die Höhe“, das sehe Baumaschinenführer Cihan Aykurt auf dem Display.
Denn der Bagger-Prototyp ist komplett ferngesteuert. Mehr als 500.000 Euro kostet das Baugerät, das auch zwei Not-Aus-Schalter hat, verrät Laaser. Zusätzlich zur vorgeschriebenen Ausstattung sei noch ein Schild als Extra-Schutz für den Geräteführer geplant.
Per Sonde wird gefährliches Geheimnis in der Tiefe gelüftet
Sobald sich die Bohrspirale wieder aus dem Boden gewunden und der Maschinenführer das Gerät per Fernbedienung beiseite gesteuert hat, treten Servin Aykurt und Aslan Akyol in Aktion: Gemeinsam rammen die Munitionsräumarbeiter ein blaues Sondierrohr in die Tiefe. „Da musst du schnell sein, damit das frisch gebohrte Loch nicht zusammenfällt“, erklärt Laaser.
Das gefährliche Geheimnis, ob unter dem Autobahndamm womöglich wirklich noch Bomben-Blindgänger aus dem Zweiten Weltkrieg schlummern, lüftet Berth Will. Er hat so gesehen den spannendsten Job auf der ganzen Baustelle: Mit seinem rund 60.000 Euro teuren Gerät checkt er über die Bohrlöcher den Untergrund.
Metalldetektor wird zur Sondierung durch Löcher hinabgelassen
Dafür lässt der Räumstellenleiter über jedes Kunststoffrohr eine an einem zig Meter langen Kabel befestigte Sonde mit Metalldetektor in bis zu 12 Meter Tiefe hinab. Auf dem angeschlossenen Gerät, das er sich umgehängt hat, bekommt er das Messergebnis angezeigt. Das verrät dem Experten, ob es im Umfeld der Sonde metallische Auffälligkeiten im Untergrund gibt, die auf eine Bombe deuten könnten.
Hat der Experte wieder ein paar Dutzend Bohrlöcher sondiert, werden die Kunststoffhülsen herausgezogen und die Löcher mit einer Speziallösung verfüllt. „Die müssen wieder verpresst werden; das ist wichtig für die Standfestigkeit der Autobahn“, erklärt Laaser. Schließlich werden dort in einigen Monaten auch wieder schwere LKW entlangdonnern.
Suche nach Bomben-Blindgängern auf der A 39 in Wolfsburg
Bombenverdachtspunkte in Wolfsburg stammen von alten Luftbildern
Der rechte Fahrbahnbereich ist Anfang September schon komplett abgearbeitet. „Da hatten wir in der Böschung zwei Bombenverdachtspunkte“, berichtet Enkelmann von der Autobahn GmbH. Ein weiterer liegt in der westlichen Fahrbahn.
Als Vorlage für die Arbeiten dient eine Luftbildkarte aus dem Jahr 1944. „Die Luftbilder kaufen wir vorher für teuer Geld“, erklärt Räumstellenleiter Laaser. „Teils hat man sich vorher auch in Tagebücher aus dem Krieg eingelesen“, ergänzt Enkelmann. Denn darin hätten Bomberpiloten teils notiert, wo sie ihre todbringende Fracht abwarfen – und wo es nicht zur Detonation kam. „Das ganze Vorgehen ist sehr aufwendig und teuer – aber für die Sicherheit notwendig.“
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Räumstellenleiter hat schon mehr als 20 Bomben aufgespürt
20, 25 Bomben hat Laaser mit seinen Teams im Laufe der Jahre schon aufgespürt. Er macht den Job seit 16 Jahren. „Ich war vorher im Stahlbau“, erzählt der Quereinsteiger, der in Bergen-Belsen lebt und für seine Firma „Weidmann + Becker“ im norddeutschen Raum unterwegs ist. Die letzten Bombenfunde liegen fünf Jahre zurück. „Das war in Hamburg-Harburg. Da haben wir innerhalb von sechs Wochen jede Woche eine Bombe gefunden.“
Hat er Angst, wenn er mit seinen Leuten im Einsatz ist und jederzeit damit rechnen muss, dass sich ein Bombenverdacht tatsächlich bestätigt? „Respekt musst du haben. Wenn du Angst hast, kannst du nach Hause fahren. Einer muss es ja machen – und es ist interessant“, sagt Laaser. Um dann zu ergänzen: „Wichtig ist, erstmal zu sehen, was da liegt, wenn wir auf etwas stoßen.“
Wie es in den nächsten Monaten weitergeht
Wenn die Kampfmittelsondierungen abgeschlossen sein werden – ohne Komplikationen voraussichtlich im Februar 2023 –, sei der Arbeitsschutz hergestellt, um dann die neue Fahrbahn asphaltieren zu können. „Das ist ganz wichtig, denn es geht ja am Ende um Menschenleben“, betont Robin Enkelmann.
Denn obwohl der Autobahnabschnitt zwischen Sandkamp und Weyhausen nicht einmal 20 Jahre alt ist und es im Vorfeld der damaligen Bauarbeiten Kampfmittelsondierungen gab, „hatten wir vom Kampfmittelbeseitigungsdienst in Hannover keine Freimessung erhalten“, erläutert Enkelmann. Doch ohne die dürfen Fahrbahnarbeiten auf der Autobahn nicht stattfinden.
Mehr als die Hälfte der 3589 Quadratmeter Fläche ist Anfang September bereits abgearbeitet, bis Monatsmitte sollen die Sondierungen auf der rechten Autobahnhälfte beendet sein. Dann wird die neue Fahrbahn eingebaut und der Verkehr dann darüber geleitet. Damit im Anschluss auf der linken Autobahnhälfte sondiert werden kann.