Wolfsburg. Die Wirtsleute Heidrun und Hartmut Gehrmann erinnern sich an den Großbrand vor 15 Jahren, der ihre Existenz zerstörte. Aufgeben war keine Option.
Woher hat diese Familie damals nur die Kraft genommen? Das Alte Brauhaus wieder aufzubauen, nachdem es bei einem verheerenden Feuer bis auf die sprichwörtlichen Grundmauern niedergebrannt war? 15 Jahre ist der dramatische Großbrand in der Fallersleber Altstadt am 28. Juli her.
Damals verloren Inhaberin Heidrun Gehrmann (68), ihr Mann und Wirt Hartmut Gehrmann (70) sowie die beiden Söhne Manuel (37) und Dominik (33) ihre Existenz. Trotz großen Feuerwehr-Aufgebots mussten sie mitansehen, wie die historische Brauscheune mit dem markanten Mansarddach aus insgesamt vier Trocken- und Lagerböden abbrannte.
Der fahrlässige Brandstifter wurde nie ermittelt
2 Millionen Euro investierten die Gastronomen in den Wiederaufbau, nach nur zehn Monaten feierten sie die Wiedereröffnung des historischen Brauhauses. Wer für die von der Polizei Wolfsburg ermittelte fahrlässige Brandstiftung an jenem heißen Samstagnachmittag verantwortlich war, ließ sich trotz monatelanger Untersuchungen nie feststellen. Die Gehrmanns gehen davon aus, dass ein Mitarbeiter womöglich im Umkleideraum geraucht hatte – trotz strikten Rauchverbots.
Besucht man heute das historische Gasthaus am Rande des Fallersleber Schlossparks, erinnert einen als Gast optisch quasi nichts mehr an den Großbrand. Wir sind 15 Jahre nach dem Flammeninferno, bei dem damals glücklicherweise niemand verletzt wurde, zur Spurensuche mit Heidrun und Hartmut Gehrmann verabredet.
Gastronomen behielten verkohlte Holzbalken als Mahnmal
Zunächst geht es auf den ersten Dachboden. In der Mitte ist zwischen allerlei Inventar der wuchtige alte Schornstein erkennbar, er hat der Flammenhölle standgehalten und ist an einigen Stellen schwarz vor Ruß. Davor lehnen zwei völlig verkohlte Holzbalken. „Die haben wir behalten als Mahnmal, dass hier oben nicht geraucht werden darf“, sagt der Wirt.
Mehr als 2000 Quadratmeter Dachbodenfläche hat das viergeschossige Brauhaus-Dach. „Jede Brauerei hatte früher eine Mälzerei“, erklärt der Wirt. „Die Böden waren wichtig für die Herstellung und Lagerung von Malz.“ Die längsten Eichenbalken sind laut Gehrmann 16 Meter lang und 1,6 Tonnen schwer. „Im Brauhaus steckt ein ganzer Wald.“
1765 erbaute Brauscheune gehörte einst zur Fallersleber Schloss-Domäne
Nicht nur aus optischen und statischen Gründen wurde das Dach originalgetreu wieder aufgebaut mit stehenden Balken aus Eiche und liegenden aus Kiefer. Auch die Denkmalpflege verlangte das. Wie so vieles an dem unter Denkmalschutz stehenden Bau vis-à-vis vom Fallersleber Schloss. 1765 erbaut, gehörte die Brauscheune einst zur Schloss-Domäne.
Über die obere Etage mit dem rustikalen Rundum-Tresen geht es die Steintreppe hinunter in die Sudhalle mit der offenen Küche und den beiden Kupfer-Braukesseln als Blickfang. Rechts davon, über dem großen Steintisch, hängen zig Fotos. Es ist die so genannte Königsgalerie – Bilder der ehemaligen Fallersleber Schützenkönige. Hartmut Gehrmann errang selbst dreimal die Königswürde. Ehemalige Majestäten kümmerten sich kurz nach dem Brand darum, dass die vom Löschwasser beschädigten Fotos restauriert oder ersetzt wurden.
Vor 15 Jahren verwüstete Großbrand das Fallersleber Brauhaus
Als das Brauhaus brannte, lief in Fallersleben das Weinfest
„Die Sudhalle wurde beim Brand ja fast nicht beschädigt“, erklärt Heidrun Gehrmann. „Auf den ersten Blick sah es so aus, als wäre nichts gewesen.“ Ihr Mann ergänzt: „Nach zwei, drei Wochen wurde es hier dann unheimlich, als das alte Holz zu schimmeln anfing. Und wenn ich damals die verkohlten Balken gesehen habe – das war jedes Mal ein Stich ins Herz.“
Für die Inhaberin ist alles ganz präsent. „Ich erinnere mich jedes Jahr an das Datum.“ War es doch drei Tage nach dem 18. Geburtstag ihres jüngeren Sohnes Dominik, als die Familienexistenz in Flammen aufging. „Das war so unwirklich. Auf dem Schlosshof lief damals das Weinfest mit Musik – und wir standen hier vor dem brennenden Brauhaus.“ Das Ehepaar war am späten Nachmittag noch zu Hause. „Gäste haben Mitarbeiter auf den Brand aufmerksam gemacht. Die haben uns dann angerufen“, erzählt sie.
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Feuerwehren konnten historisches Gebäude nicht retten
Ihr Mann ergänzt: „Die Mitarbeiter haben sogar noch selbst versucht, zu löschen.“ Die Mitarbeiterin habe am Telefon gesagt: „Chef, es brennt.“ Gehrmann erinnert sich: „Ich dachte, sie meint, dass viel los ist. Aber als ich nach draußen gegangen bin, habe ich über unserer Garage die Flammen gesehen. Wir wohnen ja nur 200 Meter Luftlinie entfernt.“ Das Ehepaar rannte hinüber, „da war noch keine Feuerwehr da“.
Die Berufsfeuerwehr und die Freiwillige Feuerwehr Fallersleben gleich nebenan trafen wenig später ein – doch das Erlebnis-Brauhaus retten konnten sie trotz ihres Einsatzes nicht. Unter den Blicken vieler Schaulustiger rückten sie nach vielen Stunden wieder ab.
Eine Woche später brannte es in Gehrmanns Landleben
„Da hat man erstmal nur funktioniert“, blickt Heidrun Gehrmann zurück. Hartmut Gehrmann erinnert sich kopfschüttelnd: „Da sieht man, wie die Existenz kaputtgeht, das Lebenswerk.“ Doch die Familie ließ sich nicht entmutigen. Sohn Manuel ließ sich von seiner neuen Stelle in Hamburg beurlauben und unterstützte die Eltern beim nervenaufreibenden Wiederaufbau.
Zumal die Gastronomen nur eine Woche später der nächste Brand ereilte: Da brannte das Steakhaus in „Gehrmanns Landleben“ in Kästorf, der heutigen Brache vom Romantik-Park. „Das war ein Schock, da hat man gedacht, es ist eine Brandserie“, erinnert sich Heidrun Gehrmann. Den Erlebnispark haben sie später verkauft und sich wieder aufs Brauhaus konzentriert. Sowie aufs Hotel Fallersleber Spieker, das heute Manuel Gehrmann mit seiner Frau Silvia führt.
Auch Hoffmannhaus-Brand musste die Familie verkraften
Schon zu Beginn ihrer Zeit in Fallersleben mussten die Gehrmanns ein schweres Feuer verkraften: „Wir waren gerade elf Monate Pächter im Hoffmannhaus, als der Saal am 6. Dezember 1980 brannte.“ Jedes Mal gab es böse Gerüchte, erzählt das Ehepaar. „Manche Menschen sind gehässig. Dabei war es auch beim Brauhaus-Brand so unsinnig, dass man gedacht hat, wir hätten es angesteckt – es lief doch so gut.“
Haben sie jemals daran gedacht, das Kapitel Brauhaus abzuhaken? „Nein“, sagt Heidrun Gehrmann bestimmt. „Das war die beste Idee, die Hartmut je hatte. Und uns hat aufrechterhalten, dass die Mitarbeiter zu uns gehalten haben. Außerdem wollten wir in Fallersleben keine Ruine hinterlassen.“
Seit 1986 wird im Alten Brauhaus wieder Bier gebraut
1985 erwarb Familie Gehrmann nach rund 70 Jahren Leerstand das historische Gebäude von der Stadt Wolfsburg. Zunächst musste der Bau aufwendig restauriert werden, ehe die Gaststätte eröffnen konnte. Seit 1986 wird im Alten Brauhaus zu Fallersleben Bier nach dem deutschen Reinheitsgebot hergestellt. Alle Biere sind naturtrüb und werden von Hand gebraut.