Wolfsburg. Die Familie verabschiedet ihn mit rührenden Worten. Der Streit um den Erhalt seines Kiosks am Amtsgericht schrieb ein Kapitel Fußball-Geschichte.

Das Leben schreibt die tollsten Geschichten, und eine handelt von Giovanni Moschetto – dem Wirt des VfL-Kult-Kiosks am Rothenfelder Markt gegenüber vom Amtsgericht. Für Generationen von Fans war die kleine Bude beliebter Treffpunkt vor oder nach den Spielen ihres Vereins. 2017 kündigte der neue Grundstückseigentümer an, dass die Trinkhalle abgerissen werden soll. Ein Sturm der Entrüstung ging durch die Stadt. Die Trinkhalle blieb dann doch bis Mitte 2020 stehen. Nun die traurige Nachricht: Wie Moschettos Familie mitteilte, verstarb er bereits vergangene Woche am 1. April im hohen Alter von 87 Jahren.

Der Sizilianer Giovanni Moschetto kam 1951 als Gastarbeiter nach Wolfsburg

Der Kiosk von Giovanni Moschetto war auch ein kleines VfL-Museum.
Der Kiosk von Giovanni Moschetto war auch ein kleines VfL-Museum. © Hendrik Rasehorn

Seine Familie gab ihm rührende Worte mit auf seinen letzten Weg. In der Todesanzeige schrieb sie: „39 Jahre Kult-Kiosk – VfL Wolfsburg, Arbeit und Leidenschaft werden unvergessen bleiben.“ Und dann noch die frohe Botschaft: „Er geht nicht weg, er ging nur voraus – aus einem bewegten Leben – die Erinnerung bleibt, für alle, die ihn kannten.“

Giovanni Moschetto war gebürtiger Sizilianer. Als Gastarbeiter folgte er wie so viele andere seiner Landsleute 1951 dem Ruf nach dieser Industriestadt im hohen Norden. 1979 übernahmen seine Frau und er den 20 Quadratmeter großen Kiosk, in dem sie damals vorrangig noch Lebensmittel verkauften. 1993 – dem Aufstiegsjahr des VfL in die Bundesliga – verpasste der Fan Moschetto dem Pavillon den grün-weißen Anstrich seines Vereins. Seitdem sprach man in Wolfsburg nur noch vom Kult-Kiosk und vom Kult-Wirt.

Auch eine Trinkhalle ist ein Stück Stadtgeschichte

Von den späteren Erfolgen des Vereins mit Meisterschaft und Pokalsieg wagte damals noch niemand zu träumen. Die Siege des VfL wurden bei ihm gefeiert, die Gründe für Niederlagen genauso diskutiert. Im Gespräch mit unserer Zeitung sprach Moschetto 2011 über seine Kundschaft – das waren nicht nur die VfL-Fans, betonte er: „Meine Kunden sind zumeist Rentner, Menschen, die nach einer Gerichtsverhandlung meinen, ihren Ärger runterspülen zu müssen, Anwohner, Kinder, Jugendliche.“

Der Pavillon am Rothenfelder Markt wurde wohl bereits in den 1950er Jahren errichtet, stammt also aus der Frühzeit der Stadt. Bettina Greffrath, die damalige Leiterin der Historischen Museen, erklärte ebenfalls 2011 im Gespräch mit unserer Zeitung: „Der Kiosk ist natürlich prägend für das Stadtgebiet. Wolfsburg ist von der Architektur her ja eine Stadt der 50er Jahre. Das ist kaum einem richtig bewusst, denn vieles ist schon verloren gegangen.“ Sie hätte es gerne gesehen, wenn das Häuschen unter Denkmalschutz gestellt worden wäre. „Kioske sind ein alltagskulturelles Phänomen, deshalb ist auch dieses Exemplar ein wichtiges Objekt und erhaltenswert.“

Ein Investor will den Kult-Kiosk plattmachen – der Wirt ist verzweifelt

Der neue Grundstückseigentümer, ein Investor aus München, hatte andere Pläne. Im September 2017 kam die Schock-Nachricht: Moschetto wurde zum Ende des Jahres gekündigt und ihm nebenbei mitgeteilt, dass sein Kiosk abgerissen werde, um Raum für zusätzliche Parkplätze zu schaffen. Der Wirt – damals immerhin schon 82 Jahre alt – verstand die Welt nicht mehr. „Meine Frau ist gestorben, mein einer Sohn ist tot“, erzählte er unserer Zeitung. „Dieser Laden ist mein Lebensinhalt.“

Langjährige Gäste, die Moschetto wie einen Teil ihrer eigenen Familie betrachteten, waren geschockt. Sie setzten

Als bekannt wurde, dass Giovanni Moschetto den Kult-Kisok räumen soll, setzten Freunde alle Hebel für die Rettung in Bewegung.
Als bekannt wurde, dass Giovanni Moschetto den Kult-Kisok räumen soll, setzten Freunde alle Hebel für die Rettung in Bewegung. © regios24 | LARS LANDMANN

alle Hebel in Bewegung. Mehrere Tausend Unterschriften für den Erhalt wurden gesammelt. In den folgenden Monaten herrschte eine Jetzt-erst-recht-Stimmung. Jeden Tag war was los rund um die Trinkhalle. Erst berichteten Wolfsburger Zeitungen, später Medien in ganz Norddeutschland. Vor einem Heimspiel des VfL gegen Hannover 96 kamen sogar Fans aus der Landeshauptstadt, um ihre Unterstützung zu demonstrieren. Die Rapper „niZZa feat. Riot 45“ spielten den Song „Kultstätte“ ein. Fanbeauftragter Holger Ballwanz brachte Moschetto zum 73. Gründungstags des Vereins am 12. September 2018 eine grün-weiße Torte. Die VfL-Stars Maximilian Arnold und Robin Knoche übergaben Moschetto einen Scheck über eine Jahrespacht. Das Geld stammte aus der Mannschaftskasse. Der VfL bot an, es könnte eine originalgetreue Kopie der Trinkhalle errichtet werden, um die an VfL-Heimspieltagen aufzustellen. Moschetto lehnte dankend ab: Dafür fühlte er sich doch zu alt.

Ein pfiffiger Anwalt findet einen Dreh – es kommt zur Einigung vor Gericht

Ein anonymer Spender unterstützte ihn damals finanziell, damit er sich einen Anwalt leisten konnte. Christian Thies übernahm den Fall. Der legte sogleich Rechtsmittel ein, die Räumung wurde aufgeschoben. Vor dem Gerichtstag im Juli 2018 wurde der Kult-Kiosk von den Unterstützern auf Hochglanz poliert. Dann der Showdown im Gericht – kein Platz blieb frei auf den Zuschauerplätzen.

Thies zog einen Joker aus dem Ärmel: den Altvertrag von 1986, den noch Moschettos Frau mit der Neuland

Giovanni Moschetto sowie sein Freund und Unterstützer Sven Pieper jubeln im Juli 2018 nach der erfolgreichen Verhandlung vor dem Amtsgericht.
Giovanni Moschetto sowie sein Freund und Unterstützer Sven Pieper jubeln im Juli 2018 nach der erfolgreichen Verhandlung vor dem Amtsgericht. © Jörg Kleinert

abgeschlossen hatte. In dem Neuvertrag mit dem neuen Investor fehlte der Passus mit der ordnungsgemäßen Aufhebung des Altvertrages. Der Altvertrag von 1986 hatte eine längere Kündigungsfrist, nämlich bis Ende 2019.

Thies bot dem Anwalt der Beklagten diesen Deal an: Moschetto zahlt 90 Euro mehr Pacht pro Monat – die Differenz, die der Investor monatlich für die drei Stellplätze erwirtschaftet – und darf bis Ende 2019 bleiben.Der Anwalt des Investors willigte ein. Als die Nachricht nach draußen vor die Tür des Amtsgerichts drang, herrschte dort unter den Wartenden riesiger Jubel!

Endgültiger Zapfenstreich im August 2020

Moschetto tat sich schwer damit, das endgültige Aus seines Kiosks zu akzeptieren. Juristisch gab es keine Handhabe mehr. Ideen wurden geboren und verworfen, den Kult-Kiosk und damit das Lebenswerk Moschettos in welcher Form auch immer fortzuführen – ein umgebauter Baucontainer war im Gespräch. Zuletzt bekam der Wirt doch noch ein paar Monate Nachspielzeit. Im Mai 2020 räumte er dann endgültig die Trinkhalle. Mitte August 2020 rückten die Bagger an. Danach sah man Moschetto noch manchmal mit seinem Rollator durch die Stadt gehen. Arrivederci, Giovanni!