Braunschweig. Die Sonde soll bald auf einem Kometen landen – das gab es noch nie. An Bord ist Technik aus Braunschweig. Brachten Kometen das Leben auf die Erde?

Unzählige dreckige Eisbälle rasen durchs Weltall – Kometen. Manche sind nur einen Kilometer dick, andere hundert. Hin und wieder können wir sie sehen, wenn sie mit ihrem langen Gasschweif an der Erde vorbeiziehen.

Die Wissenschaft will mehr über Kometen wissen, weil sie genauso alt sind wie unser Sonnensystem: mehr als 4,5 Milliarden Jahre. Gemeinsam mit Planeten und Monden entstanden Kometen aus einer gigantischen Wolke aus Eis und Staub, vermuten Forscher. Während sich das Ausgangsmaterial in Planeten und Monden durch physikalische, chemische und biologische Prozesse aber sehr stark veränderte, wurde es in den viel kleineren Kometen wohl nahezu im Urzustand konserviert.

Sie sind aus Sicht der Forschung also kosmische Tiefkühltruhen, die Informationen über die Entstehung unseres Sonnensystems und der Erde liefern können. Wie war die Ur-Wolke aus Eis und Staub chemisch zusammengesetzt? Welche Moleküle enthielt sie? Sind die Bausteine unseres Lebens, etwa Aminosäuren, in der Ur-Wolke entstanden und durch abstürzende Kometen auf die Erde gelangt? Kam so das Wasser auf die Erde?

Eine Landung bei 54000 km/h

Antworten auf diese Fragen soll die Rosetta-Mission der Europäischen Weltraumbehörde liefern – eine Mission, die bislang einmalig ist. Seit 2004 fliegt Rosetta durchs All. Ihr Ziel ist der Komet Churyumov-Gerasimenko, der sich durch unser Sonnensystem bewegt. Wenn alles geplant verläuft, wird sie ihn in diesem Jahr erreichen.

Ab Mai soll die Sonde sich bis auf fünf Kilometer nähern. Im August soll sie auf eine Umlaufbahn einschwenken. Rosetta wird den Kometen in Richtung Sonne begleiten und dabei filmen und vermessen. Allein davon versprechen sich die Wissenschaftler einzigartige Ergebnisse. Der Höhepunkt der Mission steht aber im November bevor: Dann soll die Sonde ein Landegerät auf den Kometen schicken – bei einer Geschwindigkeit von 54 000 Kilometern pro Stunde.

Rosettas Wecker klingelt um 11 Uhr

Die TU Braunschweig ist an der Mission maßgeblich beteiligt: Wissenschaftler vom Institut für Geophysik und extraterrestrische Physik haben mit Forschergruppen aus anderen Staaten zwei Messinstrumente entwickelt und gebaut, die dem Kometen und seiner Gaswolke Geheimnisse entlocken sollen. Das Institut für Datentechnik und Kommunikationsnetze hat einen Instrumentenrechner und Teile der Kameratechnik entwickelt.

Die Aufregung bei den Braunschweigern steigt, denn in wenigen Tagen beginnt die heiße Phase: Am 20. Januar soll die Sonde aus ihrem fast dreijährigen energiesparenden „Winterschlaf“ geweckt werden. Was es damit auf sich hat, erläutert Professor Karl-Heinz Glaßmeier vom Institut für Geophysik und extraterrestrische Physik : „Die Raumsonde gewinnt ihre Energie über Solarzellen“, sagt er. „Seit 2011 ist ihre Entfernung zur Sonne aber so groß, dass zu wenig Sonnenlicht zur Verfügung steht. Um Strom zu sparen, wurde sie daher auf Notbetrieb umgeschaltet. Nun kommt sie wieder näher an die Sonne heran und kann komplett aktiviert werden.“

Rosettas Wecker ist auf den 20. Januar 2014 um 11 Uhr mitteleuropäischer Zeit gestellt. Sie soll dann ihre Hauptantenne zur Erde ausrichten, um am frühen Abend mit dem Kontrollzentrum der Europäischen Weltraumbehörde in Darmstadt Kontakt aufzunehmen. „Wir sind alle nervös“, sagt Glaßmeier. „Wenn da etwas schiefgeht, waren viele Jahre Arbeit vergebens. Ich beschäftigte mich zum Beispiel seit fast 25 Jahren mit dieser Mission. Die ersten Planungen begannen sogar schon Ende der 1980er Jahre.“ Beträchtlich sind auch die Kosten der Mission: Die Europäische Weltraumbehörde beziffert sie mit etwa einer Milliarde Euro. Deutschland trägt ein knappes Drittel davon.

Dass Rosetta so lange unterwegs ist, liegt an der weiten Entfernung des Kometen und seiner hohen Geschwindigkeit. Es gibt keine Trägerrakete, die Rosetta auf direktem Weg zum Kometen hätte schicken können. Stattdessen haben die Fachleute der Europäischen Weltraumbehörde einen Spezialweg berechnet: Rosetta musste mehrmals dicht an der Erde und am Mars sowie an zwei Asteroiden vorbeifliegen – an deren Schwerkraftfeldern konnte sie zusätzlichen Schwung holen, sozusagen Gas geben. Nun geht es auf die Zielgerade.

Glaßmeier vergleicht die Mission mit einer Ralley: Es gibt zwar einen detaillierten Plan, aber teilweise ist das Ganze eine Art Blindflug. Hinter jeder Kurve kann plötzlich ein Baumstamm oder eine Pfütze auftauchen. „Wir betreten hier absolutes Neuland und schaffen Wissen.“

Damit zunächst einmal das Aufwecken am kommenden Montag gelingt, haben die Braunschweiger Wissenschaftler und ihre Studenten gestern vor dem Physikgebäude der TU einen wenige Sekunden langen Spaßfilm gedreht. Mit dem Beitrag beteiligen sie sich an einer Aktion der Europäischen Weltraumbehörde, die um witzige Aufweck-Ideen gebeten hatte. Die Braunschweiger versammelten sich vor dem Physikgebäude der TU und riefen laut gen Himmel: Rosetta, wake up – Rosetta, wach auf!

ROSETTA-MISSION

Im März 2004 ist die Raumsonde Rosetta vom Weltraumbahnhof Kourou in Französisch-Guayana zum Kometen Churyumov-Gerasimenko gestartet. In wenigen Monaten soll sie ihn erreichen, filmen, ein Landegerät auf die Oberfläche schicken, Messungen durchführen, Materialproben entnehmen. So ein Manöver gab es noch nie. Ende 2015 wird die Mission voraussichtlich beendet sein.

Die Mission ist ein Projekt der Europäischen Weltraumbehörde (ESA) mit Wissenschaftlern aus Europa und den Vereinigten Staaten. Die TU Braunschweig und das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) beteiligen sich maßgeblich.

Das Ziel ist es, mehr über den Aufbau des Kometen und sein Verhalten im Weltall zu erfahren. Dies soll Rückschlüsse auf die Entstehung unseres Sonnensystems vor mehr als 4,5 Milliarden Jahren ermöglichen.

Die Braunschweiger TU-Wissenschaftler vom Institut für Geophysik und extraterrestrische Physik haben zwei Messinstrumente mitentwickelt. Damit wollen sie das Magnetfeld des Kometen und seine physikalischen Eigenschaften messen. Fachleute vom Institut für Datentechnik und Kommunikationsnetze haben einen Instrumentenrechner entwickelt, der zur Analyse flüchtiger Bestandteile genutzt werden soll. Außerdem waren sie für Teile der Multifunktionskamera zuständig, die detaillierte Bilder liefern soll. Am Institut für Theoretische Physik werden numerische Simulationen zur Physik der Kometen durchgeführt, die auch für die Planung der Flugmanöver in Kometennähe benötigt werden.

Das Braunschweiger DLR-Institut für Faserverbund-Leichtbau und Adaptronik hat die Struktur des Landegeräts entwickelt, sozusagen die Karosserie.

Am 20. Januar wird Rosetta aus dem „Winterschlaf“ geweckt: Sie aktiviert ihre Energieversorgung und nimmt Kontakt zur Europäischen Weltraumbehörde in Darmstadt auf. Im Haus der Wissenschaft in Braunschweig werden die spannenden Minuten ab 17.30 Uhr live verfolgt. Gäste sind willkommen. Die beteiligten Wissenschaftler informieren über die Mission.

Der Name der Mission geht zurück auf den ägyptischen Ort Rosetta. Dort wurde 1799 eine Stele gefunden, in der ein Text in drei Sprachen eingemeißelt war: in Demotisch, in Griechisch und in ägyptischen Hieroglyphen. Der Text half bei der Entschlüsselung der Hieroglyphen.

Der Komet ist nach den russischen Wissenschaftlern benannt, die ihn 1969 entdeckt haben: Klim Ivanovich Churyumov und Svetlana Ivanovna Gerasimenko.

Bei der Ankunft der Sonde wird der Komet 480 Millionen Kilometer von uns entfernt sein – das ist die dreifache Distanz zwischen Erde und Sonne.