42 Jahre, drei Kinder, Leibniz-Preisträgerin – Petra Schwille studierte in Göttingen, promovierte in Braunschweig

BRAUNSCHWEIG. Sie klettert gern – im Harz und im Ith und natürlich auch im Elbsandsteingebirge bei Dresden, ihrer neuen Heimat. Und jetzt hat die Biophysikerin Petra Schwille, die in Braunschweig promovierte, auch in der Wissenschaft einen neuen Gipfel erklommen: Leibniz-Preisträgerin!

Montagabend erhielt die 42-Jährige in Berlin die Auszeichnung der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), die als deutscher Nobelpreis gilt und für jeden der zehn Preisträger mit jeweils 2,5 Millionen Euro dotiert ist.

Ein großer Moment für Petra Schwille, die die längste Zeit ihrer steilen Karriere in Göttingen verbrachte, wo sie bei ihrem Doktorvater Professor Manfred Eigen studierte und forschte. Der deutsche Chemie-Nobelpreisträger ist bereits seit 1965 auch Honorarprofessor an der TU Braunschweig.

So kommt Braunschweig in den mit zahlreichen Höhepunkten gespickten Lebenslauf der jungen Frau, die bereits mit 34 Professorin wurde, drei Kinder hat und heute im Biotechnologischen Zentrum (Biotec) der TU Dresden die 40-köpfige internationale Forschergruppe der Biophysik leitet – das "Schwille Lab".

Sie werden gefeiert wie Stars bei der Preisverleihung in der Berliner Akademie der Wissenschaften, sie sind die die Top-Ten der deutschen Wissenschaft – doch am nächsten Tag ist Petra Schwille zurück im Dresdener Labor und jagt von einer Gruppensitzung zur nächsten.

Die Moleküle in lebenden Zellen im Visier

Längst nehmen neue Projekte die Frau in Beschlag, die in der Tradition deutscher Nobelpreisträger wie Gerd Binnig steht, der das Rastertunnel- und das Rasterkraftmikroskop entwickelte.

Petra Schwille gilt als Pionierin schlechthin einer Technik, mit der wir wie mit einem Mikroskop in die molekularen Prozesse in Körperzellen hineinblicken können. Und entdecken können, wie dort beispielsweise körpereigene Reparaturprozesse ablaufen

Der unaussprechliche Name dafür heißt "Fluoreszenskorrelationsspektroskopie", und das kann sich natürlich kaum jemand merken.

Sie lacht, aber wie man da hinkommt, das ist doch eigentlich ganz einfach. "Physik habe ich immer gekonnt – und Biologie hat mich immer interessiert", erzählt sie. Aha. Das reicht natürlich noch nicht, im Physik-Studium an der Uni Göttingen ist dann auch noch Philosophie dabei gewesen.

Die Doktorprüfung in Braunschweig 1996 drehte sich in erster Linie um Festkörperphysik – aber der Fokus war klar auf das Lebendige gerichtet. Bis 2002 forscht und lehrt die Humboldt-Stipendiatin am Göttinger Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie.

Gewissermaßen im Hausflur ihrer Göttinger Mietwohnung trifft Petra Schwille ihren Mitbewohner Ulrich Braun, damals Pfarrer in der Evangelischen Kirchengemeinde Nikolausberg. Die beiden werden ein Paar.

2002 geht die erfolgreiche Biophysikerin, die mittlerweile die bedeutendsten Preise abräumt, als eine der jüngsten deutschen Professorinnen nach Dresden. Drei Jahre später folgt ihr der Partner.

Das ist interessant zu lesen, weil es heute immer noch keine Selbstverständlichkeit ist, dass eine Frau in der Forschung absolute Höhenregionen erklimmt – und gleichzeitig Familie und Kinder damit unter einen Hut bringt.

Dies gilt mittlerweile sogar als eigenes Gebiet der Forschung, auf dem etwa die renommierte Braunschweiger Zellbiologin Brigitte Jockusch entscheidende Pflöcke eingeschlagen hat.

"Die gesellschaftliche Akzeptanz von karriere-bewussten, berufstätigen Müttern ist leider immer noch sehr gering – und für die adäquate Kinderbetreuung wird immer noch zu wenig getan". erklärt sie. Aber es tut sich etwas – die familienfreundliche Hochschule gilt mittlerweile als akademisches Qualitätsziel, so auch in Braunschweig.

Und in Dresden traf Petra Schwille in den neuen Bundesländern auf ausgezeichnete Strukturen der kommunalen Kinderbetreuung. "Sonst wäre es wohl nicht gegangen", erklärt sie unmissverständlich.

Während die Spitzen-Forscherin in Berlin beifallumrauscht den Leibniz-Preis in Empfang nimmt, kümmert sich zuhause ihr Mann um den Nachwuchs. Ulrich Braun versorgt die Kinder Berenike, Henriette und Leonore – 5 Jahre, 3 Jahre und 4 Monate alt.

Zwar hat er in Sachsen keine neue Pfarrstelle bekommen, doch Ulrich Braun lehrt Medizinethik an der Medizinischen Fakultät der TU Dresden. "Nur durch das Zusammenspiel mit ihm und die gute Kinderbetreuung hier in Dresden kann ich so erfolgreich sein", sagt Petra Schwille.

Bitte nicht an den Mädchen vorbei unterrichten

Sie hat keinen Zweifel daran, dass Frauen wie sie auf ihrem Weg an die absolute Weltspitze der Wissenschaft dabei auch Modellfunktion für andere haben, vielleicht sogar Hoffnungsträger sind. Also, Alt-Väter wie Eigen und Binnig sind ja auch keine schlechten Vorbilder ...

Wenn man übrigens bei "Google" die Begriffe "Physik" und "Nobelpreisträgerin" eingibt, dann kommt von der Suchmaschine eine entwaffnende Antwort: "Meinten Sie: Physik Nobelpreisträger?" Nein.

Immerhin gibt es dann doch noch zwei Treffer – Marie Curie (1903) und Maria Goeppert-Mayer (1963). Der Rest sind Herren. 186 Mann.

Was könnte man für andere Zahlen tun? Petra Schwille hat sich darüber ihre eigenen Gedanken gemacht. Natürlich fängt das in der Schule an. Tatsächlich hält auch sie gerade Physik für ein Schlüsselfach. "Ein tolles Fach, aber vielleicht wird es an den Mädchen vorbei unterrichtet."

Als Millionärin fühlt sie sich jetzt trotz des Leibniz-Preisgeldsegens nicht, höchstens vielleicht als Forschungs-Millionärin – denn laut Statuten ist das Geld nicht frei verfügbar, sondern soll von den Gewinnern nach eigener Entscheidung für wissenschaftliche Arbeiten verwendet werden.

An dieser Geschichte ist noch manches schön, zum Beispiel die Liebe der Forscherin zur Musik. Streifen wir ihre Begeisterung für Richard Wagner nur kurz, um noch zu bemerken, dass sie selbst Bratsche und Geige in einem Streichquartett spielt. Klingt alles gut.