Braunschweig. Kurz nach Semesterbeginn fallen Lehrveranstaltungen zur Verkehrsplanung komplett aus. Studenten fühlen sich im Stich gelassen.

Unter der Überschrift „Wir gestalten die Zukunft“ wirbt die TU Braunschweig auf ihrer Internetseite für ihre vier Forschungsschwerpunkte. Ganz oben auf dieser nicht alphabetischen Liste steht „Mobilität“, gefolgt von „Metrologie“, also der Wissenschaft des Messens, „Engineering for Health“, gemeint ist die Entwicklung medizinischer Wirkstoffe, und „Stadt der Zukunft“. Ausgerechnet im Top-Schwerpunkt Mobilität herrscht derzeit große Unruhe, fühlen sich Studentinnen und Studenten von der Hochschulleitung im Stich gelassen, wie sie unserer Zeitung berichten. Spielt die TU mit ihrem guten Ruf?

Der Reihe nach: Vor einigen Tagen erreichte unsere Redaktion eine Mail aus der Studentenschaft des Instituts für Verkehrswesen, Eisenbahnbau und -betrieb (IVE), aus der große Sorge spricht. Die Absender berichten, dass der Lehrstuhl für Planung und Betrieb öffentlicher Verkehrssysteme nach dem Ausscheiden des bisherigen Lehrstuhlinhabers zumindest vorerst nicht nachbesetzt wird.

Lehrveranstaltungen an der TU Braunschweig fallen aus

Die Konsequenz: Wichtige Lehrveranstaltungen zur nachhaltigen Mobilität und zum Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) würden nicht mehr angeboten – und das ausgerechnet kurz nach Semesterbeginn. Gerade die vertiefenden Lehrangebote zu nachhaltiger Mobilität und zum ÖPNV gäben den Ausschlag, dass auch auswärtige Studentinnen und Studenten an die TU kämen.

Wegen des Ausfalls des Lehrangebotes würden sie nun erwägen, an andere Hochschulen zu wechseln. Und: Betroffen seien nicht nur angehende Verkehrsingenieurinnen und -ingenieure, sondern auch Bauingenieure, Umwelttechniker und Maschinenbauer, die sich über die vertiefenden Angebote zusätzliches Know-how aneignen wollten.

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Die Absender der Mail verweisen darauf, dass die Beschäftigten der Fakultät sich bislang weit über das erwartbare Maß hinaus dafür eingesetzt hätten, den Lehrbetrieb aufrechtzuerhalten. Dafür hätten sie zum Teil die Arbeit an ihren eigenen Promotionen zurückgestellt. Zudem habe der zuständige Professor bereits im vergangenen Jahr in Ruhestand gehen wollen.

Studenten sauer: Uni informiert nicht

Stattdessen sehen die Absender die Versäumnisse bei der Hochschulleitung und beim Hochschulrat, einer Art Aufsichtsgremium der Uni. Des Weiteren kritisieren sie, dass sie nicht, beziehungsweise sehr kurzfristig über die Einschränkungen im Lehrangebot informiert worden seien – wie gesagt: erst vor wenigen Tagen und damit kurz nach Beginn des neuen Semesters. Auch fehlten die Perspektiven, wie es für sie und die Fakultät nun weitergehe. Das Verhalten der TU sei nicht nachvollziehbar und schwäche die Bahnregion Braunschweig, in der Unternehmen wie Siemens Mobility, Alstom, Stadler Signalling vertreten seien.

Mit den Vorwürfen konfrontiert, antwortet die TU auf die Anfrage unserer Redaktion, dass es keine weitreichenden oder großflächigen Ausfälle von Lehrveranstaltungen gebe. Betroffen seien eine Pflichtveranstaltung aus dem Bachelorstudiengang sowie Wahlpflicht-Angebote, die es auch in anderen Masterstudiengängen gebe. Auf der Homepage des IVE werden elf Lehrangebote aufgeführt, von denen demnach acht entfallen. Darunter auch jene, die von den Absendern der Mail als besonders attraktiv und wichtig beschrieben werden.

TU beklagt: Ausfall wurde erst vergangene Woche mitgeteilt

Die TU spielt den Ball der Verantwortung zurück an die Fakultät. „Wir arbeiten bereits an einer Lösung in Absprache mit der Fakultät. Da der Wegfall erst Ende letzter Woche von Lehrenden an die Fakultätsleitung kommuniziert wurde, gab es bisher keine Möglichkeit, kurzfristigen Ersatz zu finden“, heißt es in der Stellungnahme der Hochschule. Soll heißen: Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.

Allerdings sind die Ruhestandsabsichten des bisherigen Lehrstuhlinhabers nach Angaben der Mailverfasser schon länger bekannt. Zudem stellt sich die Frage, warum das Problem nicht vor Semesterbeginn gelöst wurde. Nach Angaben der TU ist der Lehrstuhlinhaber seit dem zurückliegenden Sommersemester im Ruhestand, hat aber das Lehrangebot kommissarisch weitergeführt. Nun, zum neuen Semester, habe er seine Tätigkeit beendet. Die Beschäftigten des Instituts hätten angeboten, freiwillig mehr zu unterrichten. Auf diesen Aspekt weisen auch die Verfasser der Mail hin.

Instituts-Mitarbeiter machten Rückzieher

In der vergangenen Woche haben die Instituts-Mitarbeiter laut TU jedoch angekündigt, dass sie für zusätzliche Lehrangebote nicht mehr zur Verfügung stehen. Aus der Studentenschaft heißt es dazu, dass sie sich nicht mehr benutzen lassen wollten, um die Löcher im Angebot zu stopfen. Zumal sie dafür ihre eigenen Interessen hätten zurückstellen müssen – etwa die bereits erwähnten Doktorarbeiten.

Doch steht hinter der Entscheidung der Instituts-Beschäftigten noch ein tiefer gehender Konflikt. Dazu schreibt die TU: „Die Mitarbeitenden wollen damit ihre Unzufriedenheit mit der Entscheidung des Hochschulrats zum Ausdruck bringen, der derzeit vorliegenden Berufungsliste zur Wiederbesetzung der Institutsleitung nicht zuzustimmen.“ Es hat also einen oder mehrere Bewerber für die Nachfolge des ausgeschiedenen Professors gegeben, der oder die aber vom Hochschulrat abgelehnt wurden.

TU Braunschweig hält sich bedeckt

Zu den Gründen der Ablehnung will die TU keine Details nennen. Nur so viel: „Es gab Fragen zum Berufungsverfahren.“ Das lässt viel Raum für Spekulation. Dass sich das Problem ins neue Semester zieht, begründet die Universität damit, dass Berufungsverfahren zeitlich sehr aufwendig seien.

Zugleich betont die TU: „Es handelt sich dabei um eine reguläre und rechtmäßige Entscheidung des Hochschulrats.“ Die Hochschulleitung und der Hochschulrat hätten aber bereits Gespräche mit der Fakultät sowie dem Vorsitzenden der Berufungskommission aufgenommen, „um die Situation in Bezug auf die Wiederaufnahme der Lehre und den weiteren Berufungsprozess zu klären“.

Vollständiges Lehrangebot erst im neuen Jahr

Auch das kann dauern. Wie es von der TU weiter heißt, soll das Lehrangebot erst im Sommersemester des nächsten Jahres wieder vollständig sein. „Aufgrund der Kurzfristigkeit wird das Lehrangebot im Wintersemester 2023/24 nicht aufrechterhalten werden können. Für Pflichtveranstaltungen wird es Alternativen geben, an denen die Fakultät intensiv arbeitet.“ Die Antwort befriedigt die Studentinnen und Studenten nicht. „Wir hängen in der Luft. Von wem soll das Lehrangebot übernommen werden?“, fragt einer unserer Gesprächspartner.

Nach Angaben der TU soll immerhin das Master-Studium regulär fortgeführt werden können. „Die Fakultät arbeitet momentan an einer Lösung und wird diese kommunizieren, sobald sie vorliegt. Aufgrund der bereits erwähnten Kurzfristigkeit war dies bislang noch nicht möglich.“ Auch bei diesem Punkt bleiben die Studenten skeptisch. „Das klingt schön, aber wesentliche Elemente fallen weg.“

Studenten: TU Braunschweig verliert an Attraktivität

Damit verliere das Studium an der TU erheblich an Attraktivität. „Ohne Neubesetzung wird es schwierig.“ Gleichwohl betont die TU, dass sich die Fakultät „intensiv“ damit befasse, ein Abwandern von Studentinnen und Studenten zu verhindern. „Zunächst stehen aber die Auswirkungen für die aktuell eingeschriebenen Studierenden im Fokus. Wir arbeiten an individuellen Lösungen für unsere Studierenden, um ihnen den Studienabschluss in der Regelstudienzeit zu ermöglichen.“

Dass die Studentinnen und Studenten erst sehr kurzfristig über den Ausfall im Lehrangebot unterrichtet wurden, begründet die Universität mit dem kurzfristigen Rückzug der Instituts-Beschäftigten. Sie hätten ihre Entscheidung erst in der vergangenen Woche mitgeteilt.

Klare Antworten haben die angehenden Ingenieurinnen und Ingenieure weiterhin nicht. Nur den Hinweis, dass an Lösungen gearbeitet wird. Längst verbreiten sich daher über den Flurfunk an der Uni Gerüchte. Etwa dass das Brot-und-Buttergeschäft der Ingenieursausbildung an Bedeutung verliert, weil mit ihm keine prestigeträchtigen Preise zu gewinnen seien. Ein Aspekt, den die Universität zurückweist.