Hannover. Angesichts der Corona-Lage könnte die Auseinandersetzung in Niedersachsen länger dauern. Verdi und Arbeitgeber stehen sich unversöhnlich gegenüber.

Es gilt auch als eine Frage der Wertschätzung für die Leistungen in der Corona-Krise: Die Tarifrunde im Einzelhandel soll den knapp 380.000 Beschäftigten der Branche in Niedersachsen und Bremen mehr Einkommen verschaffen. Gleich zu Beginn gibt es aber erheblichen Streit über Umfang, Zeitpunkt und Verteilung der von Verdi geforderten Lohnerhöhungen. Nach einem noch eher symbolischen Ausstand von Betriebsräten bei Edeka/Marktkauf am Mittwoch könnten Warnstreiks folgen. In Berlin demonstrierten Händler derweil für eine Ausweitung der Hilfen an angeschlagene Betriebe.

Angesichts der weiterhin schwierigen Pandemie-Situation könnten die Tarifverhandlungen zu einer längeren Auseinandersetzung werden. Gewerkschaft und Arbeitgeber stehen sich nach dem Auftakt im Nordwesten relativ unversöhnlich gegenüber. Verdi erklärte, man sei „absolut enttäuscht“ darüber, dass die Gegenseite noch kein konkretes Angebot zu den inzwischen vertagten Gesprächen mitbrachte.

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Vor der Edeka-Regionalzentrale in Minden (NRW), von wo aus zahlreiche Filialen in Niedersachsen mitgesteuert werden, traten Mitglieder des Gesamtbetriebsrats von Marktkauf nach Verdi-Angaben aus Protest in eine „aktive Mittagspause“. Dabei dürfte es nicht bleiben: „Wir mobilisieren für weitere Aktivitäten“, sagte die Verhandlungsführerin der Gewerkschaft, Sabine Gatz. Der Handelsverband Niedersachsen-Bremen erklärte, man müsse zunächst weiter „Positionen austauschen und ein gemeinsames Verständnis entwickeln“.

Gatz war die Arbeitgeber nach der ersten Tarifrunde am Dienstagabend hart angegangen. Die Kolleginnen und Kollegen arbeiteten „unermüdlich und unter enormen Belastungen – und das nicht erst seit Corona“. Die Umsätze im Handel hätten auch 2020 insgesamt deutlich zugelegt.

Faire Gehälter seien wichtig

„Seit der Pandemie kommen allerdings die Angst vor einer Ansteckung oder Einkommensverluste durch Kurzarbeit hinzu“, erklärte Gatz. Faire Gehälter seien wichtig. Zudem gebe es in manchen Firmen „Lohndumping durch Tarifflucht“. Verdi fordert unter anderem 4,5 Prozent mehr Geld plus 45 Euro als zusätzlichen Fixbetrag und einen Mindest-Stundenlohn von 12,50 Euro. Auch Auszubildende müssten mehr verdienen.

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Gespaltenes Bild in der Branche

Die Tarifgeschäftsführerin des Verbands, Karin Schindler-Abbes, verwies auf ein gespaltenes Bild in der Branche. Viele Online- und Lebensmittelhändler seien unbeschadet durch die vergangenen Monate gekommen: „Die wollen auch mehr zahlen, denen geht es gut.“ Ganz anders sei die Lage in kleinen und mittelgroßen Betrieben etwa bei Textilien, Möbeln, Schmuck oder Spielwaren - vor allem in den „so gut wie dichtgemachten“ Innenstädten. „Diesen Händlern können Sie nicht sagen, sie sollen jetzt sofort eine Tariferhöhung zahlen.“

In unserer Region kämpfen viele Händler mit den Folgen der Corona Pandemie. So zum Beispiel eine Meiner Einzelhändlerin oder ein Geschäftsmann aus Salzgitter-Lebenstedt. Derweil eröffnet die Drogeriekette „dm“ ein Schnelltestzentrum in Helmstedt.

Man habe Verdi daher vorgeschlagen, ähnlich wie in der Metall- und Elektroindustrie zunächst Einmalzahlungen anzustreben - dauerhafte Erhöhungen in den Entgelttabellen möglicherweise dann später. „So könnten wir für den Einzelhandel eine Lösung hinbekommen. Diesen Gestaltungswillen hat Verdi bisher aber noch nicht gezeigt.“

Zweite Tarifrunde wohl am 10. Juni

Die Gewerkschaft peilt bei tarifgebundenen Betrieben, denen es wegen Corona schlecht geht, differenzierte Absprachen zur Sicherung der Beschäftigung an. Einzelne Haustarife sieht der Verband kritisch. Verdi betonte, der Flächentarif lasse sich in einigen Punkten öffnen - aber erst, nachdem auf Basis eines Lohn- und Gehaltstarifvertrags für alle die Lage des jeweiligen Betriebs geprüft werde. „Wir wehren uns gegen eine Lösung, die auch als Schlupfloch genutzt werden kann.“ Voraussichtlich am 10. Juni folgt die zweite Gesprächsrunde.

Am Kanzleramt in Berlin machten Vertreter mehrerer Handelsketten auf die Probleme ihrer Branche nach oft monatelangen Schließungen aufmerksam. „Es droht ein Fiasko“, so der Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Deutschland (HDE), Stefan Genth. „Die Obergrenzen bei den Hilfen müssen endlich weg. Ansonsten haben größere Handelsunternehmen, die die Fußgängerzonen bundesweit mit ihren vielen Filialen beleben, keine Chance.“

An der Protestaktion beteiligten sich etwa s.Oliver, KiK und die Buchhandelskette Thalia. Die Initiative fordert unter anderem eine Perspektive für die vollständige bundesweite Öffnung von Geschäften.