Braunschweig. Davon ist die Schulleiterin Jutta Menke überzeugt. Der bisherige Ausbildungsberuf wird in Deutschland nun auch zum Studium.

Gleich zu Beginn eine Info: Auch Männer können Hebamme werden. Dann heißt die Berufsbezeichnung „Entbindungspfleger“. Allerdings gibt es zurzeit bundesweit sehr wenige Männer in dem Beruf, sagt Jutta Menke, die Leiterin der Braunschweiger Hebammenschule.

Das aber könnte sich bald ändern, denn Hebamme ist ein Beruf im Umbruch. Bislang absolvierte, wer Hebamme werden wollte, eine dreijährige duale Ausbildung mit Berufsschule und praktischer Ausbildung in Kliniken, privaten Praxen und Geburtshäusern. Wer wollte, konnte ein Bachelorstudium anhängen. Bis zum 18. Januar 2020 wird nun aber auch in Deutschland, als letztem Mitglied der EU, die Ausbildung durch ein Studium ersetzt. Und diese Akademisierung könnte, sagt Menke, auch mehr Männer in den Beruf ziehen.

Allerdings: Den Stichtag wird Niedersachsen, anders als beispielsweise Bremen und Hamburg, wohl nicht schaffen, hier diskutieren die Beteiligten aus Ministerien, Universitäten, Ärzteschaft und Hebammenverband derzeit noch über Standorte für das Studium. „Wir Hebammen fordern vier Standorte für Niedersachsen, eine regionalisierte Lösung für unser Flächenland“, sagt Hilke Schauland, zweite Vorsitzende des Hebammenverbands Niedersachsen

Die Berufsaussichten sind „hervorragend“, sagt die Braunschweiger Schulleiterin Menke und zählt gleich die Hintergründe auf: In Niedersachsen gehen in den nächsten Jahren 500 Hebammen in Rente, 800 neue werden gebraucht. Die Differenz ergibt sich aus dem jetzt schon großen Bedarf – und aus veränderten Lebensentwürfen: „Früher haben alle in Vollzeit gearbeitet, heute wollen aber viele lieber Teilzeit haben, damit Beruf und Familie zusammen möglich sind.“

Schauland nennt weitere Zahlen: 25 Prozent der Hebammen gehen in den kommenden acht Jahren in Rente. Daraus ergebe sich ein Bedarf von 40 Studienplätzen pro Standort, also insgesamt 160. „Und das allein, wenn wir von den bisherigen Zahlen ausgehen. Denn man muss wissen: In Großbritannien betreut eine Hebamme 30 Geburten im Jahr, in Deutschland bis zu 130. Wenn wir den Betreuungsschlüssel herunterholen wollten, brauchten wir deutlich mehr Plätze.“

Wesentlich mehr Bewerber als Ausbildungsstellen gibt es seit Jahrzehnten. Schulleiterin Jutta Menke berichtet von ihrer eigenen Bewerbung vor 20 Jahren in Bochum, als auf 20 Plätze 2000 Bewerbungen kamen. Die Helios-Kliniken in Salzgitter bilden derzeit 13 junge Frauen aus. Und in Braunschweig gibt es sonst 200 Bewerbungen, für dieses Jahr waren es sogar 350 auf die auf 16 aufgestockten Ausbildungsplätze. Hintergrund: Für 2019 reicht noch ein Realschulabschluss, bevor ab 2020 mindestens 12 Jahre Schule erforderlich sind.

Aber bereits heute hat die Hälfte der fertig ausgebildeten Hebammen studiert, sagt Schulleiterin Menke. Ihre Schule, die zum Klinikum Braunschweig gehört, hat eine Kooperation mit der Hochschule Osnabrück. Dort können die Braunschweiger Hebammenschülerinnen ausbildungsbegleitend drei Module des Bachelor of Science in „Midwifery“ (zu deutsch: Geburtshilfe) absolvieren und nach dem Abschluss der Ausbildung mit einem anderthalbjährigen Vollzeitstudium den Bachelor of Midwifery machen.

Dass die Ausbildungen so verschieden sind, hängt auch mit den erheblichen Unterschieden unter den Schülerinnen zusammen. „Bei uns gibt es eine Altersspanne zwischen 17 und 47 Jahren“, berichtet Menke. Darunter sind auch viele Mütter, für die ein Studium an einem anderen Ort schwierig wäre. Außerdem gebe es immer mal wieder auch Berufsumsteigerinnen. „Wir hatten eine Soldatin und Leute, die vorher Wirtschaft studiert hatten.“ Darum sei es gut, wenn jemand vor der Bewerbung ein Praktikum absolviert habe, um sich den Berufsalltag anzuschauen.

Denn dieser Alltag ist anspruchsvoll. „Man muss sich bewusst sein, dass man die Verantwortung für zwei Menschen hat, zwei unterschiedliche noch dazu: einen Säugling und eine Mutter“, betont die Schulleiterin. „Empathie ist wichtig, man muss Beziehungen zu anderen Menschen eingehen können, flexibel sein und ein hohes Arbeitspensum vertragen.“ Genau das ist es, was Nicole Gahre an dem Beruf so gefällt: „Ich finde faszinierend, wie schnell man der frau nahekommt. Das ist eine sehr intime Situation, und es ist schön zu erleben, wie sie sich gleich sehr viel sicherer fühlt.“ Zugleich brauche man viel medizinisches Wissen, sagt die 26-Jährige, die in Braunschweig im 3. Lehrjahr ist. Insgesamt sei das sehr herausfordernd, „aber man bekommt dafür sehr viel Dankbarkeit“. Und in den sogenannten Externaten, drei jeweils vierwöchigen Praktika bei niedergelassenen Hebammen oder Geburtshäusern, bekomme man viel Einblick in Arbeitsfelder jenseits der Kliniken.

Während die Tage in der Schule festgelegt sind, gibt es im Klinikalltag wenig Planbarkeit: „Man weiß nie, was einen im Kreißsaal erwartet, ob eine oder fünf Geburten.“ Dort sei maximale Flexibilität gefordert. Die 26-Jährige kann sich vorstellen, zum Berufseinstieg als Hebamme an eine kleine Klinik zu gehen. „Langfristig will ich aber freiberuflich arbeiten.“

Fakten

Ausbildungsvergütung: Im 1. Jahr verdienen Hebammenschülerinnen im öffentlichen Dienst 1090,69 Euro, im 2. Jahr 1152,07 Euro und im 3. Jahr 1253,38 Euro. Hinzu kommen Schichtzulagen und tarifliche Zulagen.

Einstiegsgehalt: Ausgebildete Hebammen im öffentlichen Dienst bekommen zwischen 2711 und 3544 Euro (laut berufenet.arbeitsagentur.de)

Private Kliniken/kirchliche Träger/Selbständige: dort gelten eigene Gehälter/Arbeitsvertragsrichtlinien