Braunschweig. Immer mehr Fans dürfen wieder in Stadien und Sporthallen. Doch ausverkauft sind die Kontingente selten. Das sagen die Chefs von Eintracht, VfL und Co.

Die Rückkehr der argentinischen Fußballfans in die Stadien sorgte vor gut einer Woche für einen Skandal: Statt der zugelassenen 36.000 Menschen im Stadion von River Plate jubelten Medienberichten zufolge mehr als 50.000 Fans ihrem Team frenetisch zu.

Mal abgesehen von den Ansteckungsrisiken durch das Brechen der Hygieneregeln: Von solch einer überbordenden Ticket-Nachfrage können die meisten Klubs in Deutschlands Profisport derzeit nur träumen – sei es „König Fußball“ oder auch Vereine aus anderen Sportarten.

Wer glaubte, die Tickets für Stadien und Sporthallen würden nach der monatelangen Corona-Durststrecke überall und schnell wieder reißend nachgefragt, irrte. So setzte in der Fußball-Bundesliga der VfL Wolfsburg beim letzten Heimspiel beispielsweise nur 12.845 statt zugelassener 18.000 Karten ab. Eine ähnliche Quote erzielten zuletzt sowohl im Handball die SG Flensburg-Handewitt als auch im Eishockey die Düsseldorfer EG.

Renommierter Fanforscher: „Sport ist als Unterhaltung austauschbar geworden“

„Bei einigen Klubs wäre es vor zwei Jahren noch unvorstellbar gewesen, das Kartenkontingent nicht ganz zu vergeben“, sagt Fanforscher Harald Lange von der Universität Würzburg. Er vertritt nicht als einziger Experte die These, dass Teile der Sportfans sich während der Corona-Zeit von ihrem Fan-Sein entwöhnt haben: „Als Unterhaltung ist der Sport austauschbar geworden. Viele haben sich Alternativen gesucht.“

Noch hinzu komme eine generelle Enttäuschung vieler Supporter vom Profisport, gerade dem Fußball: „Der Fakt, dass der Kommerz mittlerweile dominiert, dass der Profifußball sich von seinen Fans entfernt, ist längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen.“

Ist das Wegbleiben der Sportfans ein deutsches Problem? „Mein Eindruck ist, dass die Fanrückkehr international fast überall stockt – aber in Deutschland besonders. Die Erwartungen der Fankultur sind hier einfach besonders hoch“, sagt Lange. Der Blick nach Argentinien, aber auch in die Premier League, stützt seine Einschätzung. Dort sind viele Partien seit mehreren Spieltagen – und seit Aufheben der Corona-Regeln – ausverkauft. Auch eine Untersuchung des Meinungsinstituts Bundesliga-Barometer deutet auf die Maskenpflicht und die Abstandsregeln als Grund des Fernbleibens einiger Fans hin.

Hier geht es zum vollständigen Interview mit Professor Lange

Wird ein 2G-Konzept in den Sportstätten also zum Matchwinner der Vereine, um die Ränge voller zu machen und die Atmosphäre wiederherzustellen? „Zumindest passt das zum Tenor in der Gesellschaft“, sagt Fanforscher Lange – auch wenn sich in einigen Fanlagern Widerstand gegen das Ausschließen von Nichtgeimpften rege.

Lange empfiehlt dementsprechend Transparenz und Kommunikation mit den Fans, um das bestmögliche Konzept vor Ort auszuhandeln. „Dann werden die Menschen auch wieder in die Stadien kommen, da bin ich mir sicher. Die nächsten Monate werden entscheidend sein für die Zukunft und den Stellenwert des Sports.“

Denn eines ist auch klar: Volle Ränge bedeuten nicht nur eine größere Sogwirkung für mehr Fans, sondern sind auch ein Signal an Sponsoren und TV-Sender. Wichtige Einnahmen, vor allem für Vereine fernab des großen Fußballs.

Wie aber machen das die Vereine aus der Region?

Wie handhaben die großen Sportvereine der Region die Auslastung der heimischen Stadien und Hallen? Wir haben bei den Zugpferden aus Braunschweig und Wolfsburg nachgehakt.

Eintracht Braunschweig: Die Hoffnungen bei der Eintracht sind groß, dass zum Spiel gegen Borussia Dortmund II erstmals wieder mehr als 10.000 Fans ins Stadion an die Hamburger Straße kommen. „Das würde uns pushen“, sagt Trainer Michael Schiele. Die Löwen hatten bei den Punktspielen bisher einen Zuschauerschnitt von 6.900, keine der fünf Partien war dabei ausverkauft. Zum Vergleich: In der Drittliga-Saison 2018/19, der letzten ohne Corona-Einfluss, kamen im Durchschnitt zu jedem Heimspiel 18.000 Zuschauer, obwohl die Blau-Gelben gegen den Abstieg spielten.

Das Spiel am Samstag gegen den BVB ist die erste Partie, in der die Braunschweiger auf einen Mix aus 2G- und 3G-Konzept setzen. Auf der Haupttribüne, der Gegengerade sowie in der Südkurve gilt das 2G-Prinzip, also nur geimpft und genesen. Dafür sind in diesem Bereich Maskenpflicht und Abstandsregeln aufgehoben, und es gibt auch keine Sektorentrennung mehr im Umlauf sowie an den Eingängen. In der Nordkurve und im Gästebereich gilt dagegen weiter 3G. Dafür besteht hier weiterhin Maskenpflicht bis zum Platz sowie die Einhaltung der Abstandsregeln.

VfL Wolfsburg:Mark van Bommel macht sich „überhaupt keine Sorgen“, dass auf Sicht in den Stadien viele freie Plätze bleiben könnten. Der Trainer des VfL Wolfsburg verweist auf die Zeit vor der Pandemie. „Da waren die Stadien in Deutschland immer ausverkauft. Und jetzt dauert es ein wenig, bis alles wieder in Gang kommt. Es ist einfach eine Gewöhnungssache.“

Mark van Bommel zeigt, wo es langgeht: Der Trainer des VfL Wolfsburg will zurück in die Erfolgsspur – gerne auch mit mehr Fans im Rücken. 
Mark van Bommel zeigt, wo es langgeht: Der Trainer des VfL Wolfsburg will zurück in die Erfolgsspur – gerne auch mit mehr Fans im Rücken.  © Regios24 | Darius Simka

Der Bundesligist lässt seit Anfang September nur noch Geimpfte oder Genesene ins Stadion, bisher noch mit verringerten Kapazitäten. Keine Partie war unter den Bedingungen bislang ausverkauft. Vom nächsten Heimspiel gegen den SC Freiburg an (23. Oktober) kann die Volkswagen-Arena wieder voll ausgelastet werden. 30.000 Zuschauer wären von da an in Wolfsburg wieder möglich – dann schauen nur Geimpfte oder Genesene auf den Sitz- und Stehplätzen der Arena zu. Auch die Maskenpflicht soll dann aufgehoben sein.

Was für Wolfsburgs Männer gilt, gilt auch für die VfL-Frauen im viel kleineren AOK-Stadion. Schon zwei Mal hätte der VfL alle 5200 Plätze belegen dürfen, mit der 2G-Regel, aber ohne Maskenpflicht.

In der Liga gegen Aufsteiger Köln und in der Champions League gegen Genf kamen allerdings etwas weniger als 1000 Zuschauer. Dazu muss man sagen: Ausverkauft war das Stadion bisher erst einmal. Im März 2019 mit 4445 Fans gegen Olympique Lyon. In der Spielzeit 2019/20 hatten im Schnitt 1935 Zuschauer die sieben Partien, bei denen Fans noch erlaubt waren, besucht.

Basketball Löwen: Die Braunschweiger steigen an diesem Wochenende von 3G auf 2G um und erhoffen sich dadurch einen Schub. Denn fürs Publikum fallen Masken- und Abstandspflicht im Schachbrettmuster sowie die zuletzt praktizierte Sektorentrennung in der VW-Halle weg. Auf diese Regeln hatte Geschäftsführer Nils Mittmann zunächst gesetzt, weil er ein „hohes Sicherheitsbedürfnis der Menschen“ vermutete.

Es waren zu den ersten beiden Heimspielen allerdings nur knapp 1600 Fans erschienen, 3357 Tickets durften verkauft werden. „Und 95 Prozent waren ohnehin geimpft oder genesen“, betont Mittmann, der mit den dürftigen Besucherzahlen in der BBL nicht alleine dasteht. Nur die Standorte Ulm, Oldenburg, Chemnitz kamen mit der Auslastung zuletzt ihrer Kapazität nahe.

Die steigt nun in Braunschweig ab dem Samstags-Heimspiel gegen Chemnitz auf erlaubte 5000. Die Basketballer nutzen dies jedoch nicht, sondern hängen die Kurven wie vor Corona ab, um mehr Stimmung zu schaffen. Zudem sparen sie mit 2G Aufwand und Ordner und können wieder ihren Fantalk im Foyer anbieten. Neben mehr Komfort für die Zuschauer, mehr Atmosphäre und weniger Organisationskosten erhoffen sich die Löwen natürlich, dass es so bald voller wird. „Wir müssen uns die vollen Ränge erst wieder erarbeiten“, weiß Mittmann. Aber auch, dass dies für seine finanzschwachen Organisation nicht mehr allzu lange dauern darf.

Grizzlys Wolfsburg: Bei den Grizzlys Wolfsburg in der Deutschen Eishockey-Liga gilt die 2G-Regel. Nur Geimpfte und Genesene dürfen in die Eis-Arena. Eine Ausnahme gibt es bei Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren, die nichts vorweisen müssen. Allerdings empfehlen die Grizzlys, dass diese Altersgruppe vor einem Stadionbesuch getestet werden sollten. Weitere Einschränkungen gibt es nicht. Die Halle (4503 Plätze) darf wieder voll ausgelastet werden, eine Maskenpflicht gibt es nicht.

Julian Melchiori von den Grizzlys Wolfsburg feiert den 6:5 Heimsieg nach dem Spiel zwischen den Grizzlys Wolfsburg gegen die Augsburger Panther am 8. Oktober.
Julian Melchiori von den Grizzlys Wolfsburg feiert den 6:5 Heimsieg nach dem Spiel zwischen den Grizzlys Wolfsburg gegen die Augsburger Panther am 8. Oktober. © Grizzlys Wolfsburg / oh | City-Press GmbH

Der Besuch hielt sich bislang noch in Grenzen. In den ersten sechs Heimspielen des stark gestarteten Vizemeisters kamen im Schnitt 1400 Zuschauer. Saison-Rekordbesuch waren zuletzt die 1810 Besucher beim 6:5 n. V. gegen Augsburg am 8. Oktober.

„Von der Atmosphäre her ist es wieder ein Heimspiel-Event“, sagt Simon Drühmel. Er ist Leiter Marketing und Sales bei den Grizzlys. Seine Kollegin Ann-Katrin Springer, Leiterin Ticketing und Merchandising, sagt: „Die Einschränkungen, die man während des Besuches in der Eis-Arena hat, sind minimal, sodass man davon sprechen kann, dass es fast so wie früher ist.“

Knapp 600 Dauerkarten haben die Grizzlys bisher abgesetzt. „Wir sind froh“, sagt Springer, „dass wir überhaupt wieder Zuschauer begrüßen dürfen. Mit dem Schnitt sind wir selbstverständlich noch nicht zufrieden.“ Drühmel ergänzt: „Durch unsere vorsichtige Zuschauerkalkulation sind wir jedoch in der guten Lage, abwarten zu können.“

Im Allerpark können sie gut nachvollziehen, dass sich einige Fans noch in Zurückhaltung üben „aus Angst vor und Unsicherheit wegen Corona“ (Springer). Die Einführung der 2G-Regel habe aber nach Meinung der Grizzlys bisher nicht zu nennenswerten Zuschauerverlusten geführt. Springer: „Wir haben keine einzige Dauerkarte deswegen zurücknehmen müssen.“