Nove Mesto. Marco Alles zur Biathlon-Begeisterung in der tschechischen Provinz und woher diese rührt.

Wenn man sich abends auf der Silnice 19 dem Städtchen Nove Mesto nähert, wird man fast magisch angezogen von dem riesigen Lichtkegel, der gen Himmel strahlt. Inmitten der dunklen Wälder und schroffen Hügel wirkt es fast so, als sei ein Raumschiff mit gleißenden Scheinwerfern gelandet. An Bord hat es ein paar hundert junge Frauen und Männer, die auf schmalen Latten ei­nem Kunstschnee-Band folgen und mit einer hölzernen Waffe regelmäßig auf kleine, schwarze Scheiben zielen. Beobachtet werden sie dabei von einer farbenfrohen, schunkelnden Menge, die je nach Gefühlslage verschiedene Laute von sich gibt.

Marco Alles, Sportchef der Funke Medien Thüringen
Marco Alles, Sportchef der Funke Medien Thüringen © Erfurt | Marco Schmidt

Wer nichts mit Biathlon am Hut hat, mag sich dieser Tage im mährischen Hochland wie in einer verkehrten Welt fühlen. Überall begegnen einem durchtrainierte Sportler mit einem geschulterten Gewehr: auf Plakaten und Fahnen, an vorbeifahrenden Autos und natürlich in den Schaufenstern der Geschäfte. Am Ortseingang von Nove Mesto sitzt eine lebensgroße Puppe auf einer Holzbank vor einem Fanshop und zieht die Blicke auf sich: In der einen Hand die Ski, in der anderen die Stöcke, auf der Brust prangt die Startnummer 25. Für viele Fans ein beliebtes Fotomotiv.

Gabriela Soukalova macht Biathlon in Tschechien salonfähig

Der 10.000-Einwohner-Ort zwischen Prag und Brünn erlebt in diesen Tagen einen Ansturm der Massen. Was umso erstaunlicher ist, da die einheimischen WM-Starter gar nicht zu den Besten der Szene gehören. Der neunte Platz in der Verfolgung von Marketa Davidova war das herausragendste Ergebnis bisher. Aber spätestens seitdem Gabriela Soukalova einst die Bühne betrat, boomt der Biathlon in Tschechien. Die Schönheit aus Jablonec avancierte zwischen 2012 und 2017 zum gefeierten Star und beherrschte auch nach der großen Karriere die Schlagzeilen der bunten Blätter: Essstörungen, Playboy-Fo­tos, die gescheiterte Ehe mit dem prominenten Badminton-Spieler Petr Koukal. Soukalova war allgegenwärtig.

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Als sie durch die Vysocina-Arena schreitet, steigt der Lärmpegel, der nicht selten die 100-Dezibel-Marke überschreitet, nochmals an. „Gabi, Gabi“, brüllen die Zuschauer – und die heutige TV-Moderatorin winkt fast schüchtern zurück. Auch sie scheint von der Wucht, die von den prall gefüllten Rängen in den Innenraum schwappt, beinahe überwältigt. Das kompakte Stadion, dessen steile Tribünen an einen Fußball-Tempel erinnern, wird bei den Titelkämpfen seinem Ruf als lauteste Biathlon-Stätte der Welt vollauf gerecht.

Investitionen von 20 Millionen Euro vor der WM

Es wird gejubelt, geschrien, getrötet und gepfiffen. Ohne Unterlass. Die Begeisterung ist ansteckend. An den bisherigen fünf Wettkampftagen begrüßten die Organisatoren bereits rund 120.000 Fans. Und noch stehen vier Tage aus. Zum Vergleich: Zur Weltmeisterschaft nach Oberhof kamen im vergangenen Jahr insgesamt 152.000 Zuschauer. Nove Mesto wird wohl auch hierbei neue Maßstäbe setzen. Es wäre eine Belohnung für die nicht unumstrittene Modernisierung der Anlage.

Wie am Rennsteig wurde nämlich auch im Ochozawald kräftig investiert. Insgesamt flossen mehr als 20 Millionen Euro in die neue Infrastruktur: Mehrzweckgebäude für Sportler und Servicetechniker wurden errichtet; ein Teil davon soll später als Fitnessstudios genutzt werden. Feste Tribünen wurden gebaut, riesige Mengen an Datenkabeln verlegt und eine LED-Beleuchtungsanlage in Betrieb genommen. Deren Flutlicht verleiht den WM-Rennen eine ganz spezielle Atmosphäre. Man darf sicher sein: Das Raumschiff wird in Zukunft noch häufiger in Nove Mesto landen.