Salzgitter. Was erleben Streifenbeamte nachts in Salzgitter? Wir begleiteten zwei Polizisten bei ihrem Dienst. Was da passiert ist, lesen Sie hier.

Es ist eine ruhige Nacht. Sagen die Profis. Und doch ist das, was sich da in einer Nachtschicht bei der Polizei in Salzgitter abspielt, für den Beobachter zum Teil harte Kost. Es ereignen sich Dramen in jener Nacht, in der unsere Zeitung mit dem Einsatz- und Streifendienst in Salzgitter mitfahren darf. Für die Beamten Alltag. Für uns ein Einblick in das, was sich in Salzgitter in einer Samstagnacht abspielt. Hinter Wohnungstüren, auf den Straße, in Gaststätten. Wir haben die 27-jährige Polizei-Kommissarin Pia Sauer und den 20-jährigen Polizei-Kommissar-Anwärter Tim Reumann eine Nachtschicht lang begleitet.

Unsere Zeitung darf eine Nachtschicht der Polizei in Salzgitter begleiten

Diese Nacht ist eine besondere, denn gleich zwei Beamte verabschieden sich in den Ruhestand. Der scheidende Leiter Einsatz und Chef des hiesigen Einsatz- und Streifendienstes, Jörg Bodendiek, ist ein letztes Mal mit seinen Kolleginnen und Kollegen in der Nachtschicht unterwegs. Er wird in den nächsten Wochen in den Ruhestand gehen. Und für den 62-jährigen Edwin Gaede ist es nach 44 Jahren bei der Polizei tatsächlich die letzte Schicht. Zuletzt war der Polizei-Hauptkommissar Koordinator der Tatortgruppe.

In einer großen Runde sitzen alle beisammen. Besprechen, was anliegt, tauschen sich aus, planen die Schicht. Dann geht es los. Pia Sauer und Tim Reumann legen die Schutzwesten an. Es geht hinaus in den frühen Samstagabend. In einem VW-Bus sind sie heute auf den Straßen Salzgitters unterwegs. „Wir wissen ja aus der Lagebesprechung, wo es eventuell Auffälligkeiten gibt und wo wir vermehrt gucken sollen“, erklärt die Polizei-Kommissarin das Prozedere. Während sie spricht, hat sie ein wachsames Auge auf das, was auf der Straße los ist. Ebenso wie Praktikant Tim Reumann, der noch die Polizei-Akademie besucht und in der Ausbildung ist. In der „dunklen Jahreszeit“ seien stets Einbrüche ein Thema. Und daher stünden vermehrt auch Wohngebiete im Fokus der Streifenfahrten.

Pia Sauer und Tim Reumann bei der Schreibarbeit.
Pia Sauer und Tim Reumann bei der Schreibarbeit. © FMN | Stefani Koch

Es geht die Neißestraße entlang, dann die Reppnersche Straße. Schließlich stoppen die beiden einen Wagen. Die erste Kontrolle in dieser Nacht. Die allerdings ist schnell erledigt, und es geht weiter zum ersten Einsatz. Fredenberg ist das Ziel. „Streitigkeiten“ lautet das Stichwort. Zwei Einsatzwagen der Kollegen stehen bereits am Einsatzort. Die Beamten diskutieren mit einem Mann, vor der Haustür stehen Taschen. „Hintergrund ist hier häusliche Gewalt“, erklärt Matthias Pintak, Pressesprecher der Polizei in Salzgitter, der mit uns in dieser Nacht unterwegs ist. Das erste Familiendrama in dieser Schicht.

Die Schicht der Polizei in Salzgitter beginnt mit einer Kontrolle und einem Familiendrama

Hier geht es um Mutter und Sohn. „Die Sachlage ist stets so: Wer Ärger macht, geht. Und dieser Mann hat bereits eine Wegweisung aus dem Haus erhalten. Das heißt, es besteht für ihn ein Rückkehr- und Betretungsverbot. Das ist die rechtliche Komponente. Doch es gibt auch immer eine menschliche Komponente“, sagt Pintak. In diesem Fall: Es ist Samstagabend, gegen 20 Uhr. Es ist kalt, die erste Frostnacht des Winters. Der Mann hat keine Bleibe. Und nun? „Schauen wir, wie sein Zustand ist. Eventuell können wir ihn mit zur Wache nehmen und gucken, ob wir eine Möglichkeit für ihn finden“, verdeutlicht Pintak. Übrigens gebe es auch eine städtische Unterbringungsmöglichkeit.

In diesem Fall hat der ein Alkohol-Test 0,0 Promille ergeben. Der Mann will sich selber um eine Unterkunft kümmern. Die Beamten sprechen noch einen Platzverweis aus. Nun darf er sich dem Haus die nächsten 24 Stunden nicht mehr auf 50 Meter nähern. Sie begleiten ihn zur Straße, tragen seine Taschen. Pia Sauer und Tim Reumann rücken ab. Sie werden nicht mehr warten, bis der Mann ins Taxi gestiegen und weggefahren ist.

Ein Vater hat bei der Polizei in Salzgitter angerufen - Er macht sich Sorgen um seine Tochter

Der nächste Einsatz: Ein Mann hat sich gemeldet. Seine Ex-Frau würde die gemeinsame Tochter nicht gut versorgen. Er sorge sich um das Kind. „Wir schauen jetzt nach, ob es der Tochter gut geht“, erklärt Pintak. Es geht nach Lebenstedt. In ein Mehrfamilienhaus. „Der Vater hat angerufen. Er macht sich Sorgen“, erklärt ein Beamter der überraschten Mutter. Es geht ruhig zu an der Wohnungstür, die Beamten gehen schließlich in die Wohnung, um sich ein Bild zu machen. Braucht hier ein Kind Hilfe? Das ist die Frage. Sie sprechen mit dem Mädchen und der Mutter. Auch hier: ein Familiendrama. Die Beamten: plötzlich mittendrin. Blitzschnell müssen sie die Situation bewerten und entscheiden. In diesem Fall bespricht sich Pia Sauer telefonisch kurz mit ihrem Dienstschichtleiter Martin Hartmann. Er teilt ihre Einschätzung, dass es sich hier eher um Sorgerechtsstreitigkeiten handelt. Einen Hinweis wird das Jugendamt aber auf jeden Fall bekommen.

Jörg Bodendiek hat in seiner letzten Nachtschicht überraschend Unterstützung bekommen: Tochter Lena. Auch sie ist Polizistin.
Jörg Bodendiek hat in seiner letzten Nachtschicht überraschend Unterstützung bekommen: Tochter Lena. Auch sie ist Polizistin. © FMN | Stefani Koch

Es ist 20.50 Uhr, und es geht zurück zur Wache. „Maßnahme V“, sagt Pintak lachend. V wie Verpflegung, erklärt er. Die sei ebenso wichtig wie Maßnahme E. E wie Entsorgung. „Wir gehen nicht zur Toilette, wenn wir müssen, sondern wenn wir können“, erklärt Pia Sauer. Denn: „Wer weiß, wann wir das nächste Mal die Gelegenheit dazu haben.“ Nun also erstmal Maßnahme V. Die Kollegen haben die Pizza des Duos in den Ofen gestellt. Dienstroutine bei der Polizei. Denn dass alle pünktlich zu einer gemeinsamen Pause wieder drinnen sind – kaum möglich.

Nach den ersten Einsätzen heißt es in der Nachtschicht der Polizei Salzgitter: Maßnahme V

Zeit, um auch ein paar private Worte zu wechseln, ein wenig zu erzählen, den Dienstalltag kurz auszublenden. Jörg Bodendiek freut sich noch immer über die Überraschung der Kolleginnen und Kollegen. Die hatten nämlich arrangiert, dass seine Tochter pünktlich zum Beginn des Nachtdienstes da war. Und dann gemeinsam mit ihrem Vater ein paar Stunden Dienst tat. Während sein Sohn bei der Berufsfeuerwehr in Braunschweig arbeitet, ist seine Tochter ebenfalls Polizistin geworden.

Auf Tim Reumann und Pia Sauer wartet nun Schreibarbeit. Die Fälle müssen dokumentiert werden. Die Polizei-Kommissarin überlässt dem Anwärter die Schreibarbeit, bespricht sie aber anschließend mit dem jungen Kollegen, beziehungsweise hilft ihm, wenn er Hilfe benötigt. Zeit für Pia Sauer, dem Gast zu zeigen, wie zum Beispiel ein Fall von häuslicher Gewalt dokumentiert wird. Es sind sage und schreibe vier Formulare, die die Beamten bearbeiten müssen. Da wäre die Wegweisung, das Formular für die Mitteilung an die Beratungs- und Interventionsstelle für Opfer häuslicher Gewalt, das an die Beratungsstelle für Täterinnen und Täter häuslicher Gewalt und schließlich noch das zur „Einschätzung bei häuslicher Gewalt“. Dieses soll klären, ob es sich um einen „Hochrisikofall“ handelt. Seitenweise Arbeit für die Beamtinnen und Beamten. Jedoch: „Nicht nur im Zusammenhang mit Fällen häuslicher Gewalt sind die Beamten hoch sensibilisiert und entscheiden äußerst gewissenhaft auf Grundlage der Konzeptionen“, versichert Bodendiek.

Salzgitter hat keine große Disko mehr - Das macht die Nächte für die Polizei Salzgitter ruhiger

Insgesamt aber sei die Nacht bisher ruhig verlaufen, versichert Pia Sauer. Woran das liegt? „Es ist Monatsende. Viele haben kein Geld mehr. Es ist die erste Frostnacht. Und: Salzgitter hat keine Disko mehr und auch keine große Kneipenszene“, erklärt Hartmann, der in der Wache sitzt und alle Einsätze ganz genau im Blick hat. Gegen 23.30 Uhr steigen Pia Sauer und Tim Reumann wieder in ihren VW-Bus. Am Gesellenstieg in Lebenstedt parken zahlreiche Autos auf Sperrflächen. Es ist kaum ein Durchkommen. Die beiden notieren die Kennzeichen. Sie werden die Ordnungswidrigkeiten später ans städtische Ordnungsamt übermitteln. Das wird dann die entsprechenden Verfahren einleiten.

Es besteht für den Mann ein Rückkehr- und Betretungsverbot. Das ist die rechtliche Komponente. Doch es gibt auch immer eine menschliche Komponente.
Matthias Pintak, Pressesprecher der Polizei in Salzgitter

Weiter geht es zum Salzgittersee. In der Nähe des Café del Lago lenkt die Polizei-Kommissarin den Wagen auf den Weg, der um den See führt. „Wir kommen hier mit den Einsatzwagen überall durch“, erklärt die Polizistin, während sie sich konzentriert die Umgebung anschaut. An der Wasserski-Anlage sitzen Gänse in einer langen Reihe am Ufer. Sie fühlen sich durch den Polizeiwagen sichtlich gestört und watscheln in Reihe ins Wasser. Es ist ruhig in dieser Nacht am Salzgittersee. Kaum jemand ist unterwegs. Doch von einer Sekunde zur anderen ist es mit der Ruhe vorbei. „Familienstreitigkeiten in Thiede, zwei Familien beteiligt“, kommt die Nachricht kurz nach Mitternacht per Funk. Pia Sauer schaltet das Blaulicht an und gibt Gas.

Die Polizei Salzgitter im Einsatz.Die Beamten wissen zu Dienstbeginn nie, was sie erwartet. (Symbolfoto)
Die Polizei Salzgitter im Einsatz.Die Beamten wissen zu Dienstbeginn nie, was sie erwartet. (Symbolfoto) © FMN | Rudolf Karliczek

Bis nach Thiede dauert es eine Weile. In schneller Fahrt und mit „Sonder- und Wegerechten“, also Blaulicht und teilweise Martinshorn, geht es durch die Stadt und dann auf die Autobahn. In Thiede sind bereits Kolleginnen und Kollegen vor Ort. Über Funk haben Sauer und ihr junger Kollege das Geschehen verfolgt. Sauer stoppt den Wagen bei den Kollegen. Die beiden informieren sich, wie die Lage ist, fragen, was sie tun können. Ein Mann ist angeblich mit einer Eisenstange irgendwo in der Nähe unterwegs.

Mit Blaulicht geht es aus Thiede zurück nach Lebenstedt - Eine Frau hat die Polizei um Hilfe gebeten

Sauer und Reumann drehen eine Runde in ihrem Einsatzwagen und halten nach dem Gesuchten Ausschau. Nichts. Zurück bei den Kolleginnen und Kollegen, vergewissern sie sich, dass sie nicht mehr gebraucht werden. Es geht weiter. In einem Kleingarten treffen sie auf Kollegen und eine merkwürdige Situation. Jemand hat einen Wagen mit laufendem Motor stehen lassen. Kein Mensch weit und breit, berichtet ein Kollege. „Vielleicht hat jemand den Einsatzwagen kommen sehen und ist geflüchtet“, vermutet jemand. Die weiteren Maßnahmen in Thiede werden von anderen Funkstreifenbesatzungen übernommen.

Zeit zum Grübeln bleibt nicht. Die Polizei-Kommissarin und der Anwärter müssen zurück nach Lebenstedt. Und zwar schnell. Eine Frau hat um Hilfe gebeten. In dem Flur des Hochhauses in der Nähe der Berliner Straße riecht es nach Pizza, vor den Wohnungstüren liegen Abtreter, es ist sauber. Schnell ist die Wohnung der Frau, die um Hilfe gebeten hat, gefunden. Die Frau spricht bereits mit Kollegen. Ihr Mann sei gewalttätig, bereits im Sommer habe sie bei der Polizei um Hilfe gebeten, den Strafantrag jedoch zurückgezogen. Nun sei er wieder handgreiflich geworden, habe ihr das Telefon weggenommen, gedroht und habe die Wohnung verlassen.

Die Polizeibeamten suchen den geflüchteten Ehemann in Lebenstedt und werden schnell fündig

„Dann machen wir uns mal auf die Suche nach dem Täter“, sagen zwei Beamte und machen sich auf den Weg. Sie sind schnell erfolgreich, finden den Gesuchten und bringen ihn zur Wache. Pia Sauer und ihr Kollege sprechen mit der Frau. Fragen nach den Geschehnissen und den Hintergründen der Ehe. Neben der Eingangstür stehen bereits einige Tüten und Taschen mit seinen Sachen. Irgendwo im Haus hämmert jemand. Sehr laut. Und ausdauernd. Es ist 1.30 Uhr am Sonntagmorgen. „Das gibt gleich den nächsten Einsatz“, mutmaßt Pintak, der die Szenerie mit der Reporterin beobachtet. Schließlich sind seine Kollegen mit der Befragung der jungen Frau fertig. Es geht zur Wache. Die Polizistin und ihre Kollegen schnappen sich die Tüten mit den Habseligkeiten des Mannes und tragen sie zum VW-Bus. Jetzt erschließt sich, warum Pia Sauer zu Beginn der Schicht mit einem Augenzwinkern gesagt hatte, manchmal seien sie und ihre Kollegen auch eine Art Umzugsunternehmen.

Dieser Fall ist einer, wie ihn die Beamten oft erleben. Frauen, die von ihren Männern misshandelt oder gedemütigt werden. Frauen, die dann die Anzeigen am liebsten wieder zurückziehen wollen, ihre Männer wieder zurück in ihr Leben lassen. „Das geht eine Weile gut, dann geht es wieder los“, sagt Pia Sauer und zuckt mit den Schultern. Für die Polizistin und ihren jungen Kollegen bedeutet das in diesem Fall wieder reichlich Schreibarbeit. Und nach der Rückkehr zur Wache die Vernehmung des Mannes. Das wird dauern. Diese Nacht ist zwar relativ ruhig. Zu tun aber gibt es für die Beamten immer genug.