Lichtenberg. In Lichtenberg bietet sich am Wochenende eine historische Chance, und Sie können dabei sein. Wie, erfahren Sie hier.

Das hat es seit Jahrhunderten nicht mehr in der Region gegeben vermutet Pfarrer Hagen Rautmann. Ganz sicher sei er sich zwar nicht. Doch sei es durchaus möglich, dass die letzten Glocken, die in unserer Region direkt an Ort und Stelle gegossen wurden, die Glocken des Braunschweiger Doms waren. Das war im Jahr 1502. Nun, selbst wenn irgendwann in den gut 500 Jahren dazwischen doch einmal irgendwo Glocken direkt an ihrem späteren Einsatzort gegossen wurden: Das, was sich am Wochenende in Lichtenberg abspielen wird, ist ein echtes Ereignis. Die Glockengießerei Schmitt aus der Eifel wird auf der Wiese vor der Lichtenberger Kirche eine Glocke für den Friedhof der Ortschaft herstellen. Und wer mag, kann diesen Prozess hautnah verfolgen.

In Lichtenberg wird nach uralter Handwerkstradition eine Glocke gegossen

„Wir haben auf dieses Ereignis jahrelang hingearbeitet und lange Geld dafür gesammelt“, sagt Pfarrer Rautmann, der seit 2009 in Lichtenberg ist. Seit 30 Jahren ist er Pastor – doch einen Glockenguss vor Ort, den habe auch er noch nicht erlebt. „Ab Samstagfrüh können Interessierte gerne vorbeischauen“, sagt Marion Herfort, Kirchenvorstands-Vorsitzende in Lichtenberg. Dann könnten die Menschen die Arbeit der Glockengießer verfolgen. Eine jahrhundertealte Kunst, an der sich bis heute nicht viel geändert habe.

Viel Koks wird benötigt, um die Bronze im Gussofen herzustellen. Schließlich wird der Schmelztiegel von den Glockengießern freigelegt.
Viel Koks wird benötigt, um die Bronze im Gussofen herzustellen. Schließlich wird der Schmelztiegel von den Glockengießern freigelegt. © FMN | Sebastian Wamsiedler

Gewünscht hatten sich die Lichtenberger eine Glocke für den Friedhof, weil die Kirchenglocken bei Beerdigungen – je nach Windrichtung – oft nicht zu hören sind, erklärt Marion Herfort. Die Glocke soll zukünftig mit dem Schlagton „fis²“ bei einem Gewicht von 120 Kilogramm erklingen und ist damit auf das Geläut der Kirche St. Petrus musikalisch abgestimmt.

„Man kann sich den Aufbau der Formen vorstellen wie drei Becher, die übereinandergestülpt sind. Der mittlere Becher wird dann herausgenommen. In diesen Hohlraum wird die Bronze gegossen.
Sebastian Wamsiedler, Glockensachverständiger

Möglich ist der Guss in Lichtenberg nur, weil die Glocke mit 120 Kilogramm nicht allzu schwer ist, erklärt Sebastian Wamsiedler, Glockensachverständiger aus Bruchmachtersen. Er hatte die Kirchengemeinde überhaupt erst auf die Idee gebracht, dass der Guss nicht in der Eifel, sondern direkt in Lichtenberg stattfinden kann. „Kleinere Glocken kann man vor Ort gießen“, sagt Wamsiedler. Rund viermal im Jahr rückt das Team der Glocken- und Kunstgießerei Schmitt aus Brockscheid aus, erklärt Hermann Schmitt, der mit Sohn und Enkel die neue Glocke für den Lichtenberger Friedhof fertigen wird.

Rund 120 Kilogramm schwer wird die Glocke sein - sie ist für den Lichtenberger Friedhof bestimmt

Die Form ist bereits fertig. „Die Technik ist dieselbe wie vor 200 Jahren. Das ist ein altes Handwerk. Wir kommen ganz ohne Computer aus“, sagt Schmitt. Sechs Wochen habe die Fertigung der Form gedauert. Sie besteht aus drei Teilen, erklärt der Experte: Kern, Modell und Mantel. Auf den Mantel sollten Besucher in Lichtenberg am Samstag achten, denn dort ist – spiegelverkehrt – die Inschrift zu sehen, die die Glocke zieren wird. „Man kann sich den Aufbau der Formen vorstellen wie drei Becher, die übereinandergestülpt sind“, erklärt Wamsiedler. „Der mittlere Becher wird dann herausgenommen. In diesen Hohlraum wird die Bronze gegossen.“

Die Grube, in der die Form versenkt und mit Erde bedeckt wird, entsteht genau vor der Lichtenberger St. Petrus-Kirche. Damit alle Zuschauer die Arbeiten gut verfolgen können, wird die Kornstraße gesperrt. Die Grube ist nötig, erklärt Wamsiedler, damit die Form dem Druck des flüssigen, etwa 1150 Grad heißen Metalls beim Guss standhält. Zudem wird auf dem Gelände vor der Kirche der Gussofen gemauert. Das geschieht schon am Samstag. In dem Ofen wird dann am Sonntag die Glockenbronze entstehen, ein Gemisch aus Kupfer und Zinn.

Spektakulär ist ein Glockenguss anzusehen. Die Handwerkskunst ist Jahrhunderte alt.
Spektakulär ist ein Glockenguss anzusehen. Die Handwerkskunst ist Jahrhunderte alt. © FMN | Sebastian Wamsiedler

Befeuert wird der Gussofen übrigens mit Koks. Und was lag näher, als bei der Salzgitter AG zu fragen, ob die nicht den Koks für den Glockenguss spenden könnte. „Die Kirchengemeinde hat angefragt, und die Salzgitter AG hat sofort zugesagt“, freut sich Wamsiedler. Angeheizt wird der Gussofen am Sonntag. „Zuerst kommt das Kupfer hinein, erst ganz zum Schluss Zinn. Die erfahrenen Handwerker wissen dann genau, wann das Gemisch die richtige Temperatur hat. Nach einer Probe beginnt dann am Sonntagabend der eigentliche Guss“, erklärt der Glockenexperte. Der Gießvorgang sei wirklich spektakulär, verspricht Wamsiedler. Das Prozedere sei extra so geplant worden, dass der Guss voraussichtlich am Sonntagabend gegen 19 Uhr in der Dämmerung stattfinden wird. Bis Dienstag kühlt die Glocke aus, bevor sie aus der Grube und der Form befreit wird und dann zum ersten Mal erklingen kann.

Die Salzgitter AG hat den Koks für den Lichtenberger Glockenguss gespendet

Begleitet wird das Ereignis übrigens mit zwei Andachten: Einmal am Sonntag, mit „der Bitte, dass der Guss gelingen möge“, sagt Rautmann, einmal am Dienstagmorgen um 10 Uhr, wenn die Glocke dann zum ersten Mal zu sehen und zu hören ist.

Geradezu mystisch ist ein Glockenguss. Seit Jahrhunderten fasziniert dieses Handwerk. Kein Werk zeigt das besser als Friedrich Schillers Meisterwerk „Das Lied von der Glocke“...

Fest gemauert in der Erden
Steht die Form aus Lehm gebrannt.
Heute muß die Glocke werden!
Frisch, Gesellen, seid zur Hand!
Von der Stirne heiß
Rinnen muß der Schweiß,
Soll das Werk den Meister loben;
Doch der Segen kommt von oben.