Braunschweig. Chefredakteurin Kerstin Loehr sprach mit ihren Kolleginnen und Kollegen aus dem Führungsteam der Braunschweiger Zeitung über unsere Region.

Kennen Sie das? Wenn einem etwas oder jemand besonders am Herzen liegt, reagiert man ziemlich empfindlich auf jedwede Form von Kritik – sei sie gerechtfertigt oder nicht. Einzig man selbst darf prüfend Hand anlegen und den wertvollen Schatz mit leichten Kratzern versehen…

… und nun habe ich mir aus eigenen Stücken dieses Interview hier eingebrockt. Ich, das „Kind der Region“, das bis auf ein Studiensemester in Buenos Aires und die üblichen Urlaubsreisen in die sehenswerten Ecken Europas leidenschaftlich gern zwischen Harz und Heide zu Hause ist und die meisten Standorte unserer Zeitung aus dem Arbeitsalltag kennt, möchte Ihnen heute die frisch bzw. etwas länger schon Zugereisten in unserem Zeitungs-Führungsteam vorstellen: Tatjana Biallas (34), unsere neue Geschäftsführerin, Nancy Klatt (45), Verlagsleiterin und Geschäftsführerin des Harzkuriers, und Christian Klose (50), der mit mir als Doppelspitze die Chefredaktion bildet.

Der erste Gedanke zu Braunschweig und der Region?

Alle drei sind aus ganz unterschiedlichen Welten in unsere Region zwischen Braunschweig und Wolfsburg, Salzgitter und Gifhorn, Wolfenbüttel, Peine und Helmstedt gekommen – und doch ist die eine oder andere Einschätzung verdammt ähnlich. Insbesondere, was den allerersten Gedanken zu Braunschweig und unserer ganzen Region angeht.

Nancy Klatt, die aus Cottbus stammt und seit mittlerweile drei Jahren führend für die Verlags- und Marktentwicklung in Braunschweig zuständig ist, erinnert sich: „Ganz ehrlich, mein erster Gedanke: Braunschweig – habe ich mal gehört und bin auch mal dran vorbeigefahren, kenne ich aber nicht.“ Christian Klose, gebürtiger Ulmer, der mitten in der Pandemie hier gelandet ist, „ist an Braunschweig bisher immer nur vorbeigefahren: entweder auf der Autobahn in Richtung Norden oder mit dem Zug“.

Geschäftsführerin Tatjana Biallas.
Geschäftsführerin Tatjana Biallas. © Privat

Am frischesten ist die Entscheidung für Braunschweig bei Tatjana Biallas – und mit Blick auf zehn Jahre Leben und Arbeiten in London auch eine der einschneidendsten. Ihr ging es genauso: „Mit Braunschweig direkt konnte ich gar nichts anfangen – weder im Positiven noch Negativen. Ich kannte das Dreieck Hannover, Braunschweig, Magdeburg, das war’s.“

Liebe erst auf den zweiten Blick?

Tja, also keine Liebe auf den ersten Blick mit unserer kleinen Welt hier. Oder doch? Die 34-jährige Medienmanagerin, die zuvor das Online-Portal GoFeminin.de geleitet hat, jedenfalls sagt und strahlt dabei: „Ich war überrascht, wie schön es hier ist. Wie lebenswert.“ Und fügt an: „Ich bin stolz, hier zu leben.“ Seit Tag 1 ist sie auf Erkundungstour in unserer Region, „will einfach alles entdecken“.

Verlagsleiterin Nancy Klatt.
Verlagsleiterin Nancy Klatt. © Walter Schoenenbroecher

Das hätte Christian Klose gern auch schon im Mai 2020 gemacht, insbesondere weil ihm sein „früherer Verleger in Bremerhaven, Matthias Ditzen-Blanke, der aus Braunschweig stammt, immer von seiner Heimatstadt vorgeschwärmt hatte“.

Zu Recht, wie wir wissen. Ging aber nicht, denn Klose hatte sich die wahrlich schwierigste Zeit für seinen Umzug ausgesucht. Immer wieder gern erzählt er, wie er bei eisigen Temperaturen als fast einziger Gast im Zug hier ankam: „im tiefsten Lockdown, alles dunkel, alles geschlossen.“ Aber auch bei ihm wurde es dann schnell „immer heller, schöner und spannender“.

Auch bei Nancy Klatt, die sich klar als Stadtkind sieht, hatte es einst schneller gefunkt als gedacht: „Als ich das erste Mal hierher kam, hatte ich sofort das Gefühl, hier kannst Du Dich wohlfühlen. Ich bin durch die Braunschweiger Innenstadt spaziert, fand die historische Kulisse, die vielen inhabergeführten Geschäfte und das vielfältige Angebot an Gastronomie beeindruckend. Und die Menschen – sie strahlten eine freundliche, positive Lebensart aus, die mir sofort gefallen hat.“

Unser Lebensgefühl?

Ja, die Menschen hier. Die Zeiten, in denen man gern in „Broonschwaaich“ nebst Umland über unser „klares A“ scherzte, sind vorbei, genauso die, in denen man sich hier zuweilen ein wenig in Zonenrand-Komplexen erging. Im Gegenteil: Die meisten genießen es heute, hier zu leben. Und das scheinen wir auch auszustrahlen, denn wie Nancy Klatt aus ihrem ja schon größeren Erfahrungsschatz schöpft: „Man schätzt hier, was man hat, ist aber dennoch offen für Neues.“ Und ein bisschen schwärmerisch: „Mindestens samstags hat man auf dem Kohlmarkt das Gefühl von Dolce Vita.“

Chefredakteur Christian Klose.
Chefredakteur Christian Klose. © BZV | Christian Klose

Tatjana Biallas, für die lange Zeit London Heimat war, formuliert es aus jener Perspektive: „Die Anonymität der Großstadt führt zum Wegschauen. Hier dagegen schaut man sich um. Hier wird man Teil der Community. Hier ist es nicht egal, was bei den Nachbarn geschieht.“

Dazu passt auch eine Erfahrung, die Christian Klose in den vergangenen Monaten gemacht hat: „Bei meiner privaten Unterstützung, dass zwei junge Gastronominnen das Café Fiets übernehmen und weiterführen können, habe ich gespürt, dass man in Braunschweig auch in der Gastronomie zusammenhält und nicht im Konkurrenzdenken lebt. Es ging mit anderen örtlichen Gastronomen nur darum, schöne und wichtige Angebote für die Stadt im Gesamten zu sichern, um das Angebot in der Stadt für alle Gäste attraktiv zu halten. Dieser positive Geist des Zusammenhaltens in der Betreiberszene hat mich sehr beeindruckt.“

Unser Potenzial?

Doch es wird auch Kritik laut. Klose: „Die Braunschweiger lieben ihre Stadt, machen sie aber aus meiner Sicht zu wenig nach draußen bekannt.“ Ihm fehlt ganz klar „Marketing nach außen“: „Ich frage mich etwa, warum es in der Wissenschafts- und Forschungshauptstadt Braunschweig keinen hoch angesehenen, internationalen Kongress für Experten und Normalmenschen gibt, der Braunschweig und die ganze Region zumindest bundesweit bekannt macht?“

Chefredakteurin Kerstin Loehr.
Chefredakteurin Kerstin Loehr. © Darius Simka Regios24

Mahnend ist auch Tatjana Biallas unterwegs – als Stimme der Generation Y findet sie: „London ist eine multikulturelle Stadt, es gibt kein besseres Aushängeschild für Diversity. Dort kannst du auch in deiner Optik ausdrücken, wie du bist. Da ist Braunschweig eindimensionaler. Wir brauchen hier mehr Diversity. Auch in unserer Zeitung.“

Aber nicht nur das ist Biallas’ Mission. Es ist auch der Lokaljournalismus mit seiner Bedeutung für die Gesellschaft, betont sie und erklärt: „Ich möchte, dass die kommenden Generationen genau wie meine Generation Zeitung lesen können. Und was mich dabei triggert: Junge Zielgruppen sollen auch weiterhin Meinungsvielfalt haben, lokale News sollen weiterbestehen – und Relevanz haben.“