Braunschweig. Ein Jahr nach der Katastrophe im Ahrtal: Fluten halten sich nicht an Ländergrenzen, sagt der Braunschweiger Experte Wolfgang Büchs im Interview.

Professor Wolfgang Büchs (68) vom Institut für Biologie und Chemie der Uni Hildesheim ist in diesen Tagen bundesweit ein gefragter Experte zu Ursachen und Konsequenzen aus der Hochwasserkatastrophe im Ahrtal vor einem Jahr. Der Biologe und frühere wissenschaftliche Mitarbeiter am Braunschweiger Institut für Pflanzenbau und Bodenkunde des Julius-Kühn-Instituts ist parteilos, sitzt für die Grünen im Braunschweiger Stadtbezirksrat Nordstadt-Schunteraue. Wir sprachen mit ihm.

Sie legen bundesweit den Finger in die Wunde in Sachen Hochwasserschutz. Was ist Ihre wichtigste Botschaft?

Man muss der Bevölkerung reinen Wein einschenken, welche Hochwasserschutzmaßnahmen insbesondere in den Hochwasserentstehungsgebieten getroffen werden! Für die Bewohner des Ahrtals ist es extrem schwierig, Entscheidungen zum Wiederaufbau zu treffen, wenn man gar nicht weiß: Was tut der Landkreis? Was tut das Land? Wo und in welchem Umfang werden etwa Hochwasserschutzbecken eingerichtet und andere Hochwasserschutzmaßnahmen umgesetzt?

Wo liegt also in letzter Konsequenz der Hase im Pfeffer?

Beim Land, das die Planungshoheit übernehmen muss. Es ist die einzige Institution mit zugeordneten Behörden, die die notwendige Expertise besitzt, das notwendige Personal stellen kann. Oder einstellen muss, das muss man klarsehen. Die Behörden sind ausgelastet und haben zu wenig Leute, um eine solche große Aufgabe erfüllen zu können – und schon gar nicht nebenbei...

Und es muss länderübergreifend betrachtet werden.

Genau richtig. Wir haben im konkreten Fall der Ahr-Katastrophe in Rheinland-Pfalz vor einem Jahr die Quellregion in Nordrhein-Westfalen zu betrachten, die muss einbezogen werden. Die Quellregion ist immer Hochwasserentstehungsgebiet, ein entscheidendes Areal.

Wir hatten gedacht, das wüsste man auf politischer Ebene schon. Krankt es tatsächlich an dieser länderübergreifenden Zusammenarbeit?

Es gibt im konkreten Fall zwar eine Hochwasserpartnerschaft Ahr, die bereits 2014 gegründet wurde, dann aber nicht sehr intensiv betrieben wurde, nicht einmal seit dem Hochwasser 2016. Sie hatten kaum Sitzungen, zugegeben, es lag zum Teil auch an der Corona-Pandemie. Jetzt, nach der Katastrophe vor einem Jahr, ist die Hochwasserpartnerschaft wieder intensiviert worden. Es geht um einen Zusammenschluss und Zusammenarbeit aller Gemeinden, die im Wassereinzugsgebiet der Ahr liegen, egal in welchem Bundesland.

Nur ein Thema für Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen?

Nein, das Thema ist für alle Mittelgebirgsregionen entscheidend. Es gibt auch positive Beispiele, blickt man etwa nach Sachsen. Seit der Flut vor zwei Jahrzehnten ist dort sehr viel getan worden, worauf man jetzt an der Ahr zurückgreifen kann. Aber insgesamt muss man sagen: Es geht nicht schnell genug!

Starkregenereignisse von solcher Gewalt kommen schneller und öfter.

Ja, die Prozesse zum Schutz müssen deshalb beschleunigt werden. Vor allem, weil man sich bereits vor 115 Jahren sehr viele Gedanken über den notwendigen Hochwasserschutz in der Ahr-Region gemacht hatte. Da gab es bereits Pläne für ein ausgeklügeltes und weit über das gesamte Einzugsgebiet gefächertes System an Hochwasserrückhalteflächen. Davon ist leider nichts realisiert worden. Es verschwand in den Schubladen.

Was sagen Sie zur Lage in Niedersachsen und in unserer Region?

Da sieht es tatsächlich günstiger aus, weil wir im Harz sehr große Rückhalte-Kapazitäten mit den Talsperren haben. Die Harzwasserwerke sind vorbildlich mit Braunschweig und der Region verknüpft. Im Hochwasserfall kann kontrolliert Wasser abgelassen werden. Mögliche schlimmere Folgen lassen sich so besser kontrollieren, regulieren. Hier sind wir insgesamt besser organisiert.

Aber gegen Starkwetterereignisse sind wir doch auch hier nicht gefeit.

Nein, natürlich nicht. Aber wir haben bessere funktionierende Sicherungsmaßnahmen als im Ahrtal. Dennoch ist es überall wichtig, auch bei uns, die gesamte Landschaft und die gesamte Landnutzung zu betrachten, das wiederhole ich gebetsmühlenartig.

Wir haben etwa Nutzpflanzen wie Mais, die besonders erosions- und abflussgefährdend sind. Die Grünlandnutzung muss extensiviert, viel mehr Grünland geschaffen werden. Denn es kann mehr Wasser aufnehmen. Vielfalt statt Monokulturen in den Wäldern beugt Bodenerosion und Starkregenabfluss vor.

Städte müssen zu Schwammstädten werden. Das heißt, wo immer es geht und mit welchen Maßnahmen auch immer, wird Wasser aufgesogen, gebunden. Das ist das Gegenteil der Versiegelung, die wir leider überall noch sehen. Da geht es etwa um Dach- und Fassadenbegrünungen. Grünflächen! Wasserdurchlässige Oberflächen von Straßen und Wegen; Park- und Sportplätze als temporäre Rückhaltebecken. Alles ist bekannt – man muss es nur umsetzen.