Boberg. Das Haus von Familie Rieckmann wurde beim Hochwasser im Mai verwüstet (erschienen im Hamburger Abendblatt im Juni 2018)

Es sollte ihre Altersvorsorge sein. Ihr eigenes, kleines Idyll. Bis zur Rente wollten sie ihren Kredit abbezahlt haben. Sorglos und schuldenfrei sollte sie sein, ihre Zukunft. Doch aus ihrem Traum vom eigenen Haus wurde innerhalb weniger Stunden ein Albtraum. Als an Christi Himmelfahrt ein Unwetter wütete und in Teilen Hamburgs und Schleswig-Holsteins schwere Schäden anrichtete, verloren Dirk und Britta Rieckmann fast alles. Nicht nur ihr Haus, auch ihre Hoffnung. Von dem frisch renovierten Einfamilienhaus auf dem 2700 Quadratmeter großen Grundstück in Hamburgs Südosten steht nur noch der Rohbau. Das Haus ist unbewohnbar, während sie weiter ihren Kredit abzahlen müssen.

Im Herbst 2017 hatte das Ehepaar aus Hamburg ein Grundstück mit Bungalow in Boberg, direkt an der Landesgrenze zu Schleswig-Holstein, erworben. „Wir waren so glücklich, zentral etwas Bezahlbares gefunden zu haben“, sagt Britta Rieckmann. Das Paar hatte zuvor in der Nähe von Buchholz gewohnt. Zusammen mit ihrem 21 Jahre alten Sohn Tim wollten sie das neue Heim beziehen. Die Eltern in der linken, der Sohn in der rechten Haushälfte. Das Glück schien perfekt, doch es hielt nur neun Tage.

Versicherung zahlt nur bei Elementarschutz

Vier Wochen lang haben die Rieckmanns in der Endphase gestrichen, Böden und Decken erneuert, eingerichtet und geputzt. „Wir haben beide unseren gesamten Jahresurlaub genommen“, sagt Dirk Rieckmann. Am 1. Mai war alles fertig. Die Familie zog ein. Am 9. Mai, einen Tag vor dem Unwetter, hatten die Rieckmanns einen Termin mit einem Versicherungsmakler. Sie wollten die Gebäudeversicherung des Voreigentümers durch eine neue ersetzen und mit Elementarschutz aufstocken. Zusätzlich schlossen sie eine Hausratversicherung bei der Barmenia ab – ebenfalls mit Elementarschutz.

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Ein von der Überschwemmung verwüstetes Zimmer im Haus der Familie Rieckmann. 
Ein von der Überschwemmung verwüstetes Zimmer im Haus der Familie Rieckmann.  © HA | Privat

ine Elementarversicherung deckt Schäden durch bestimmte Naturgewalten wie Hochwasser und Überschwemmungen, Schnee oder Erdrutsche ab. Sie kann sowohl zusammen mit einer Gebäude- als auch mit einer Hausratversicherung abgeschlossen werden. Gut ­beraten ist, wer im Falle eines solchen Unwetters den kompletten Elementarschutz hat. Das wollten auch die Rieckmanns. „Wir wollten rundum gut versichert sein“, sagt Britta Rieckmann. „Dass der Versicherungsmakler genau an diesem Tag da war, war Zufall.“ Zufall, der sich im ersten Moment nach einem Glücksfall anhört.

Der Beginn von Familie Rieckmanns neuer Gebäudeversicherung war auf den 1. Juni datiert. Die Hausratversicherung allerdings sollte ab Mitternacht wirksam werden. So stand es im Vertrag. Die Familie wähnte sich in Sicherheit. Und dann kam der Regen. Beide erinnern sich noch genau an den Moment, als es losging. Bilder, die sie nicht vergessen können und die sie auf Papier gebannt haben. Britta Rieckmann blättert durch ein Fotoalbum, in dem sie die Geschehnisse dokumentiert hat. Chronologisch angeordnete Fotos, fein säuberlich mit Uhrzeiten versehen, machen das Ausmaß der Katastrophe, die über die Familie hereinbrach, deutlich. Der Schmerz steht ihr beim Betrachten der Bilder ins Gesicht geschrieben.

Zwei Feuerwehren fühlten sich nicht zuständig

Der 10. Mai war ein sehr heißer Tag. „30 Grad und Sonnenschein“, erinnert sich Britta Rieckmann. „Ich hatte Besuch von einer Freundin. Wir waren im Haus, haben Kaffee getrunken.“ Ihr Mann werkelte im Garten. „Plötzlich kam der Hagel“, sagt Dirk Rieckmann. „Es ging alles so schnell.“ Und es hörte nicht auf. „Das Wasser kam von allen Seiten“, sagt der 51-Jährige. Vom Bahndamm im Süden, von der angrenzenden, abschüssigen Straße, von oben. Als das Entengehege im Garten komplett unter Wasser stand, rief Britta Rieckmann ihren Sohn an. „Kommt zurück, wir saufen hier ab!“, waren ihre Worte. Er war mit seiner Freundin unterwegs.

Erst als das Wasser über die Eingangsschwelle trat, versuchte die medizinische Fachangestellte, über den Notruf die Feuerwehr zu alarmieren. „Mir wurde gesagt, so ein Einsatz sei gebührenpflichtig“, erzählt sie fassungslos. „Das war mir echt so was von egal in der Situation!“ Doch keine Wehr habe sich für das kleine Haus, das genau auf der Grenze zwischen zwei Orten liegt, zuständig gefühlt. Als sie das zweite Mal anrief, stand das Wasser bereits im Haus. „Es kam wie ein Wasserfall durch die Tür. Am Anfang haben wir noch geschippt. Dann hat es nichts mehr gebracht“, sagt sie. Auch beim zweiten Anruf wurde sie abgewimmelt. „Ich sollte mir eine Nummer notieren, die ich anrufen könnte“, erzählt sie kopfschüttelnd. „Aber ich stand zu dem Zeitpunkt knietief im Wasser, ich hatte nichts mehr zum Schreiben.“

Mit Boot aus dem Schlafzimmerfenster gerettet

Glück im Unglück: Die Feuerwehr aus Reinbek, die auf dem Weg zu einem anderen Einsatz war, stand an der Straße und wurde auf die Notsituation der Familie aufmerksam. „Die haben mich und meine Freundin mit einem Schlauchboot aus dem Schlafzimmerfenster gerettet“, so die 51-Jährige. Ihr Mann sei in einer Wathose hinterhergewatet. „Als die Feuerwehr kam, konnte ich mir noch eine unserer Katzen schnappen, die andere haben wir nicht gefunden“, sagt sie. „Ein Feuerwehrmann meinte dann zu mir: ,Nehmen Sie das Wichtigste mit!‘“ In diesem Moment sei ihr das Ausmaß der Katastrophe bewusst geworden.

Wenn Sekunden darüber entscheiden, was man aus seinem alten Leben retten kann, was nimmt man da mit? Britta Rieckmann entschied sich für Ordner. „Ich habe so viele genommen, wie ich tragen konnte“, sagt sie. „Papiere halt. Ich dachte, die seien wichtig.“ Ihre Stimme bricht ab.

Nach der Rettung wartete sie mit ihrer Freundin im Feuerwehrauto. Ihr Mann versuchte noch ein letztes Mal, die zweite Katze zu finden. Vergeblich. „Wir durften aus Sicherheitsgründen eigentlich nicht mehr auf unser Grundstück“, sagt er. Wie lange sie in Obhut der Feuerwehr waren, daran erinnern sich beide nicht. Auch nicht, wie lange das Unwetter insgesamt wütete. „Eine Stunde, vielleicht zwei“, sagt Dirk Rieckmann. Aber: „In so einem Moment geht jedes Zeitgefühl verloren.“

Katze versteckte sich stundenlang im Schrank

Der Garten von Familie Rieckmann stand nach dem Unwetter an Christi Himmelfahrt komplett unter Wasser.
Der Garten von Familie Rieckmann stand nach dem Unwetter an Christi Himmelfahrt komplett unter Wasser. © HA | Privat

Eine weitere Freundin habe sie schließlich zu Britta Rieckmanns Mutter nach Horn gebracht. Dem Ort, in dem das Paar bis heute untergekommen ist. Drei Personen, drei Zimmer. „Schon merkwürdig, nach 30 Jahren wieder zu Hause einzuziehen“, sagt der Kraftfahrer. Sohn Tim ist bei den Eltern seiner Freundin in Brunsbek untergekommen. Bis zum Morgen nach dem Unwetter war das Technische Hilfswerk mit Abpumpen beschäftigt. „Dann war das Wasser weg. So, als wäre nichts gewesen“, sagt Dirk Rieckmann.

Doch im Haus wartete ein Bild der Zerstörung auf die Familie. Berge schlammverschmierten Mobiliars. Alles durcheinandergespült, zerbrochen, verschmutzt. Doch nicht nur das Inventar haben die Wassermassen zunichtegemacht. „Die Heizung muss neu gemacht werden. Die Elektrik auch. Der Fußboden samt Estrich muss raus. Die Tapeten, einfach alles“, sagt der 51-Jährige. Er kann es bis heute nicht fassen. Auch die beiden Autos, eins gehörte dem Sohn, sind schrottreif. Die zweite Katze saß verstört im Schrank, eine Ente lag tot im Garten.

Und: Bis jetzt ist nicht geklärt, wie stark die Schäden am Gebäude sind. Die Wände sind durchfeuchtet, in manchen Zimmern hat sich schon Schimmel gebildet. Die Rieckmanns wähnten sich jedoch versichert. „Am Freitag, dem Tag nach dem Unwetter, hat mein Mann den Schaden gemeldet“, erzählt Britta Rieckmann. Eine Woche später kam der Gutachter. „Knapp drei Stunden war er da“, sagt ihr Mann.

Versicherungsschutz war zunächst ungeklärt

Nach einem Telefonat mit der Zentrale habe der Gutachter das Paar beglückwünscht. „Er meinte, wir hätten einen Top-Schutz ohne Selbstbeteiligung“, sagt Britta Rieckmann. Hoffnung keimte auf. Doch nur einen Tag später kam die Hiobsbotschaft: Die Versicherung erteilte eine Ablehnung per ­E-Mail. Sie könne für den Schaden nicht aufkommen. Denn: Eine Klausel im Vertrag besagt, dass der Schutz erst 14 Tage nach Abschluss in Kraft tritt.

Doch warum gibt es diese Klausel? „Diese Vorgehensweise ist üblich“, sagt Martina Seidel, Sprecherin der Barmenia, auf Abendblatt-Anfrage. Versicherungen schützen sich damit vor Akut-Versicherern. Es soll verhindert werden, dass jemand bei drohendem Unwetter schnell noch eine Versicherung abschließt. „Das ist, wie ein Haus zu versichern, wenn es schon brennt“, so Seidel. Doch es gebe Ausnahmen. „Wenn Versicherungsschutz besteht und ein neuer Vertrag bei einem anderen Anbieter abgeschlossen wird, setzt die Klausel aus, und die Wartezeit entfällt“, erklärt Seidel.

In ihrer Verzweiflung schaltete Familie Rieckmann einen Anwalt ein, wandte sich an die Stadt Hamburg. „Wir haben es in alle Richtungen ausgestreut, um darauf aufmerksam zu machen“, sagt Britta Rieckmann. Mit Erfolg. Die Hausratversicherung zahlt nun doch. „Die Leistung hat sich aus dem Vertrag ergeben“, sagt Barmenia-Sprecherin Seidel und betont: „Das ist keine Kulanzleistung.“ Der Grund für die ursprüngliche Ablehnung? „Die Sachlage war noch nicht abschließend geklärt.“ 35.000 Euro hat Familie Rieckmann für den Hausrat bekommen. Doch auf dem Gebäudeschaden bleibt sie sitzen. Schlimmer noch: Die Versicherung hat den Vertrag widerrufen. „Nach dem, was passiert ist, hat sie uns gar nicht erst aufgenommen“, sagt Britta Rieckmann.

Nur Hausratsversicherung hat gezahlt

Das Haus ist jetzt nur über die Gebäudeversicherung des Voreigentümers bei der Feuerkasse versichert – ohne Elementarschutz. „Wir freuen uns sehr, dass jetzt wenigstens die Hausratversicherung zahlt“, sagt Dirk Rieckmann. „Aber leider ist es nur ein Tropfen auf dem heißen Stein.“

Die Familie steht vor einem Dilemma. Nimmt sie das Geld für die Sanierung, fehlt das Geld für neue Möbel. Schafft sie sich Letztere an, kann sie das Haus gar nicht erst sanieren. Hinzu kommt, dass die Rieckmanns am liebsten nicht wieder einziehen würden. „Das wird der blanke Horror, sobald es einmal regnet“, sagt Britta Rieckmann. Erst im Nachhinein hat die Familie erfahren, dass das Grundstück akut überschwemmungsgefährdet ist.

Das Haus ist umgeben von Stellen, die Wasser ungehindert auf das Grundstück laufen lassen. Selbst das Regenauffangbecken hinter der Bahnüberführung, die an das Grundstück grenzt, sei zu klein. Bei dem Unwetter lief es innerhalb weniger Minuten über. Zudem wurde der Graben neben der Straße, die am Haus vorbeiführt, durch die Wassermassen eingedrückt und bislang nicht wieder verbreitert.

Grundstück war schon mehrfach überflutet

Die Rieckmanns fühlen sich betrogen. Nachbarn erzählten ihnen, das Grundstück sei in der Vergangenheit mehrfach überschwemmt worden. Weder der Voreigner noch die Maklerin hätten sie jedoch darüber in Kenntnis gesetzt. „Hätten wir davon etwas gewusst, hätten wir das Haus niemals gekauft“, sagt Britta Rieckmann. Gegen den Voreigner hat das Ehepaar auf nachträgliche Kaufpreisminderung geklagt. Viel Hoffnung besteht jedoch nicht. „Selbst wenn wir vor Gericht gewinnen, heißt es nicht, dass das Geld zwei Tage später auf unserem Konto ist“, sagt Dirk Rieckmann. „Außerdem kann sich so eine Klage über zwei bis vier Jahre ziehen.“

420.000 Euro hat das Paar in das Grundstück und die Renovierung investiert. „Alles, was wir hatten, steckt da drin“, sagt Britta Rieckmann, während ihr Tränen in die Augen steigen. Der Kummer der vergangenen Wochen hat deutliche Spuren in ihrem Gesicht hinterlassen.

Die Feuerwehren mehrerer Kommunen waren vonnöten, um die Lage im Hamburger Osten und im Oststeinbeker Ortsteil Havighorst in den Griff zu bekommen
Die Feuerwehren mehrerer Kommunen waren vonnöten, um die Lage im Hamburger Osten und im Oststeinbeker Ortsteil Havighorst in den Griff zu bekommen © HA | HA

Von der Stadt Hamburg hat die Familie kostenlos einen Gutachter geschickt bekommen. „Dafür sind wir sehr dankbar“, sagt die medizinische Fachangestellte. Finanzsenator Andreas Dressel und der Bergedorfer Bezirksamtsleiter Arne Dornquast haben die Familie Anfang Juni besucht. „Auf das Gutachten warten wir noch. Das Gemäuer ist wohl zu retten“, so die 51-Jährige weiter. „Das war meine größte Sorge. Es war ja schon nicht mehr in optimalem Zustand.“

Um das Haus vor künftigen Überschwemmungen zu schützen, müsste es jedoch erhöht werden. „Eine Erhöhung von zehn Zentimetern würde 7500 Euro kosten. Wir bräuchten aber mindestens einen Meter“, sagt ihr Mann. Dazu kämen der Abriss und der Neubau des Hauses. „Die Kosten gehen ins Unermessliche. Das können wir uns nicht leisten.“

Die Familie ist auf Hilfe angewiesen

Ein Verkauf komme aufgrund des Wertverlusts nicht infrage. „Ich will hier nicht mehr wohnen, aber wir sind in dieser Situation gefangen“, sagt Britta Rieckmann mit zittriger Stimme. Auch eine Mietwohnung für die Zeit der Renovierungsarbeiten kann sich das Paar nicht leisten. Denn: „Der Kredit läuft wie ein Wasserhahn“, so Dirk Rieckmann. Hinzu kommen die Nebenkosten. „Wir haben kein Zuhause mehr. Nur eine temporäre Unterkunft. Es ist ein schreckliches Gefühl.“

Sie könnten auch nicht auf Dauer bei Britta Rieckmanns Mutter wohnen. Doch eine Renovierung würde mindestens drei Monate dauern. „Das Haus und das Grundstück sind wie eine Fußfessel“, sagt Dirk Rieckmann. Baulich dürften sie an dem Haus zudem nichts verändern, denn es befindet sich in einem Landschaftsschutzgebiet. „Wir hängen komplett in der Luft. Wir wollen unserem Sohn ja auch keinen Haufen Schulden hinterlassen“, sagt Britta Rieckmann resigniert.

Die Familie ist auf Hilfe angewiesen. „Handwerks- oder Baufirmen, die uns ein Angebot zu günstigeren Konditionen machen könnten, würden zum Beispiel schon helfen“, so Britta Rieckmann. Bis zum Gutachten heißt es für die Familie jetzt abwarten – immer mit der Angst im Nacken vor dem nächsten Starkregen und vor dem finanziellen Ruin.„Es ist das Erste, womit ich aufwache und das Letzte, womit ich ins Bett gehe“, sagt Britta Rieckmann. Es ist ein Albtraum.

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Über die Autorin

Joana Ekrutt, geboren am 10. Oktober 1987 in Hamburg, Master in Journalistik und Kommunikationswissenschaft an der Universität Hamburg, seit Januar 2018 Volontärin beim Hamburger Abendblatt