Berlin. Martin Schulz verspricht in einer TV-Fragerunde einen „Neustart in der Pflege“. Gesundheits-Experten fordern eine langfristige Planung.

Es waren markige Worte, die Martin Schulz am Montagabend fand. In der „Wahlarena“ der ARD, in der sich der SPD-Kanzlerkandidat den Fragen von Bürgern stellte, versprach Schulz nicht weniger als einen „Neustart in der Pflege“. Sollte er die nächste Bundesregierung führen, dann werde die Pflege von alten und kranken Menschen zur „Staatsaufgabe Nummer Eins“. Gleich in den ersten 100 Tagen im Kanzleramt werde er sie anpacken.

Schulz sprach davon, dass in der Altenpflege „die Würde des Menschen mit Füßen getreten“ werde und davon, dass das ein „Skandal“ sei. Es gebe zu wenig Personal, das besser bezahlt werden müsse. Mindestens 30 Prozent mehr Gehalt solle es geben, so der SPD-Politiker.

Als Andreas Westerfellhaus die Forderungen von Schulz vernahm, traute er seinen Ohren nicht. Der Pflege-Experte, der in der Geschäftsleitung des Deutschen Pflegetages sitzt und jahrelang die Verbände der Pflegebranche vertreten hat, kann nicht verstehen, warum das Thema Pflege erst auf den letzten Metern des Wahlkampfes eine Rolle spielt. Wenn die Fernsehsendungen mit der Bundeskanzlerin und ihrem Herausforderer Schulz etwas gezeigt hätten, dann dies: „Die Politik hat den Ernst der Lage noch immer nicht erkannt“, so Westerfellhaus.

Mit einem 100-Tage-Programm wie es der SPD-Politiker verspreche, erreiche man gar nichts. „Was wir brauchen, ist ein Zehn-Jahres-Programm“, sagt Westerfellhaus. Mit Pflege-Assistenten oder Hilfskräften, wie Schulz sie erwähnt habe, komme man auch nicht weiter: „In Krankenhäusern und Altenheimen fehlen hochqualifizierte Mitarbeiter mit dreijähriger Ausbildung. Die kommen nicht binnen weniger Tage.“ Mehr Ausbildungsplätze, mehr Geld für die Ausbildungsstellen und eine Obergrenze für die Zahl der Patienten seien nötig. Dazu eine angemessene Bezahlung: „Es kann nicht sein, dass eine ausgebildete Altenpflegerin mit nur 1800 Euro brutto im Monat in ihren Beruf startet“, sagt der Pflegeexperte.

Er gesteht zu, dass die Große Koalition und Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) eine umfassende Pflegereform umgesetzt haben, die den Patienten mehr Leistungen verschafft und zumindest den Versuch unternommen hat, die Arbeitsbedingungen zu verbessern. Aber: „Wer soll die Menschen denn pflegen?“ Diese Frage beantworte bislang keine Partei.

Tatsächlich haben alle Parteien mehr oder weniger wolkige Formulierungen in ihren Programmen stehen, wie die Situation in Pflegeberufen verbessert werden kann. Ob damit nur die Altenpflege oder auch die Krankenpflege gemeint ist, ist dabei nicht immer klar zu unterscheiden. So will die CDU „die Arbeitsbedingungen unserer Pflegekräfte weiter verbessern“. Die SPD verlangt, dass „der Pflegeberuf gerecht bezahlt, flexibler wahrnehmbar und mit mehr Aufstiegschancen versehen werden muss“. Ganz ähnlich steht es bei Linken, Grünen und der FDP im Wahlprogramm. Die AfD, die bei vielen anderen Themen eher unkonkret bleibt, macht einen detaillierten Vorschlag: „Die AfD fordert einen verbindlichen, länderübergreifenden Mindestpersonalschlüssel für das Pflegepersonal, der auch bei den Krankenhausentgelten Berücksichtigung finden muss.“

Ebenfalls in den Wahlprogrammen enthalten: Zahlreiche Forderungen, wie den Angehörigen von pflegebedürftigen Menschen das Leben erleichtert werden kann. Denn erfahrungsgemäß interessieren sich Menschen erst dann für das Thema Pflege, wenn sie in ihrem unmittelbaren Umfeld davon betroffen sind.

Die Gewerkschaft Verdi bestreikte am Dienstag Kliniken in sechs Bundesländern, darunter auch Niedersachsen, um auf die schlechte Personalausstattung aufmerksam zu machen. Sie fordert eine tarifvertraglich festgelegte Mindestpersonalausstattung und eine bessere Ausbildung.