Berlin. Das Familienministerium hat übersehen, dass mit dem Asylpaket II minderjährigen Flüchtlingen für zwei Jahre der Anspruch verwehrt wird, ihre Eltern nachzuholen.

Der Passus im Gesetzentwurf sei aufgefallen, seine Tragweite aber „anders eingeschätzt“ worden, räumte die Sprecherin des Ministeriums, Verena Herb, am Montag in Berlin ein. Der zuständige Staatssekretär sei informiert worden, mahnte aber keine Korrekturen am Gesetz an. Er trage auch die Verantwortung, stellte sie klar. Zur Frage möglicher personeller Konsequenzen bemerkte sie knapp, „da würde ich jetzt nicht von ausgehen, nein“. Ministerin Manuela Schwesig (SPD) befindet sich derzeit in Mutterschutz.

„Sie sehnen sich nach Mama und Papa. Es wäre fatal, wenn Flüchtlingskinder jetzt die Aussicht verlören, ihre Eltern jemals wiederzusehen.“
Barbara Küppers, Kinderrechtsexpertin von terre des hommes

Inzwischen forderten die Grünen den Rücktritt de Maizières. Er sei mit der Lösung des Flüchtlingsproblems überfordert, sagte Grünen-Chefin Simone Peter der Agentur Reuters. „Merkel sollte über einen Wechsel im Kabinett nachdenken“, fügte sie hinzu. Bisher hatte die Partei den Minister geschont.

Derweil möchte die SPD das Asylpaket II nachverhandeln. Ihr Unterhändler: Justizminister Heiko Maas (SPD). Große Erfolgschancen werden ihm in den Verhandlungen mit Innenminister Thomas de Maizière (CDU) nicht eingeräumt. De Maizière will den Familiennachzug für Flüchtlinge mit „subsidiärem Schutz“ ausnahmslos aussetzen. „Man könne davon ausgehen, dass Gesetzentwürfe aus unserem Haus so gemeint sind, wie sie in die Ressortabstimmung gegeben werden“, sagte sein Sprecher. Nach drei Tagen hat der Streit – zum Ärger der Koalitionäre – eine neue Dimension angenommen. Es geht nicht nur um eine Sachfrage, sondern um Professionalität, Zusammenhalt, Vertragstreue zwischen Partnern. Vizeregierungssprecherin Christiane Wirtz versicherte, „Zweifel am fairen Umgang in der Bundesregierung habe ich nicht“.

Unklar ist, wie viele Kinder vom Asylpaket II betroffen wären. Im Jahr 2015 wurden 105 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge mit subsidiärem Schutz registriert. Ihre Zahl dürfte steigen, weil insgesamt 14 439 minderjährige Flüchtlinge allein eingereist sind, aber bisher nur 3000 Entscheidungen getroffen worden sind. Das Gros der Anträge wurde noch nicht bearbeitet. Man muss annehmen, dass der Anteil der Kinder mit subsidiärem Schutz steigen wird. Sie wären die Leidtragenden, weil sie ihre Eltern erst mal nicht nachholen dürfen.

Das Kinderhilfswerk „terre des hommes“ ist entsetzt. „Sie sehnen sich nach Mama und Papa. Da wäre es fatal, wenn sie jetzt die Aussicht verlören, ihre Eltern jemals wiederzusehen“, sagte die Kinderrechtsexpertin der Organisation, Barbara Küppers.