Hannover. Auf Wettportalen können Spieler im Wahlkampf ihr Geld auf Parteien und Kandidaten setzen. Mit der Schwarmintelligenz der Masse machen die Zocker traditionellen Meinungsforschern Konkurrenz.

Fußballergebnisse und Pferderennen waren gestern: Mittlerweile können Wettfreudige auch auf dem politischen Parkett um Geld spielen. Während immer weniger Bürger überhaupt ihre Kreuze machen, bricht unter einigen Internetnutzern im Wahlkampf ein regelrechtes Wettfieber aus. In den USA sind Politikwetten seit Jahren verbreitet. Aber auch auf deutschen Internetportalen wie wahlfieber.de oder prognosys.de setzen Spieler auf Kandidaten, spekulieren mit Parteiaktien und tippen seit Wochen auf die Wahlergebnisse des 22. September.

Auf Wahlwette.net haben in diesem Wahlkampf bereits rund 20.000 Besucher ihre Tipps abgegeben. „Nach dem TV-Duell ist die Zahl explosionsartig in die Höhe geschossen“, erzählt Kommunikationswirt Rolf Kepper, der die Seite zur Bundestagswahl 2009 initiiert hat. Je besser der Spieler das Wahlergebnis tippt, desto höher sind seine Chancen auf einen Fernseher, einen Kurzurlaub oder eine Kiste Wein.

Auf dem PESM-Wahlbörsenportal der Prognose-Firma Prognosys können Zocker seit mehr als zehn Jahren bares Geld auf die Parteien setzen. 250 Börsenfans handeln derzeit lebhaft mit Politik-Wertpapieren. Sind die SPD-Aktien unterbewertet? Müssen CDU-Papiere abgestoßen werden? Wie auf dem Frankfurter Börsenparkett treiben Angebot und Nachfrage die Kurse der fiktiven Aktien - und damit die Prozentpunkte der Parteien. „Wir waren bisher in unseren Ergebnissen meist besser als die Meinungsforschungsinstitute“, meint Geschäftsführer Walter Mohr.

Die Anbieter der Wettportale sagen der klassischen Demoskopie den Kampf an. Die gewinngetriebenen Schätzungen der Spieler spiegeln ihrer Meinung nach die Wählerstimmung besser wider als die Umfragen der Meinungsforscher, die oft im Nachinein noch gewichtet und bearbeitet würden. „Da wird dem Institutschef das Ergebnis auf den Tisch geknallt, und dann werden die Zahlen gedreht“, meint Kepper. Tatsächlich klaffen die Wahlumfragen der Institute und die tatsächlichen Ergebnisse immer wieder weit auseinander, wie bei der niedersächsischen Landtagswahl im Januar.

Während die Meinungsforscher den Bürgern die berühmte Sonntagsfrage stellen, setzen Wahlbörsen und Wettseiten auf die Schwarmintelligenz der Menschen. „Man kann Kommunist und Fan einer Splitterpartei sein, und weiß trotzdem, dass sie keine 30 Prozent bekommt. Es geht bei uns um die Erwartung der Anderen“, ist Kepper überzeugt. Besonders die Politik-Börsianer handeln nicht nach politischen Überzeugungen, sondern setzen ihr bares Geld aufs Spiel. „Viele zerbrechen sich den Kopf, wie die Wahl ausgeht. Am Ende kommt man zu einem gemeinsamen Bild“, beschreibt Mohr das System Wahlbörse.

Auf seiner Börsenplattform rangiert die CDU-Aktie derzeit bei knapp 37 Prozent, bei Infratest und Forschungsgruppe Wahlen kommt die Partei auf 41 Prozent. Die SPD folgt mit einem Börsenkurs von 24 Prozent, rund zwei Prozent weniger als bei den Meinungsforschern. Die Aktie der Alternative für Deutschland (AfD) liegt mit fast sechs Prozent doppelt so hoch wie bei den Meinungsforschern. „Es spielen bei uns viele börsenaffine AfD-Sympathisanten mit“, erklärt Mohr.

„Uns ist völlig egal, was da auf den Markt kommt und versucht mit uns zu konkurrieren“, meint Klaus-Peter Schöppner, Chef des Instituts TNS Emnid. In den Wahlbörsen tummele sich eine sehr eingeschränkte Zielgruppe. „Selbst bei 100 000 Spielern ist es nicht repräsentativ für die Gesellschaft“, meint auch der Bremer Politikwissenschaftler Lothar Probst. Die Wahlbörsen lagen nach Ansicht von Probst aber relativ gut in den vergangenen Wahlen. Und auf die Demoskopen will er sich auch nicht verlassen. „Die Institute vertuschen gerne, dass es eine Fehlertoleranz von bis zu drei Prozent gibt“, sagte Probst.