Berlin. Sechs Monate nach der Wahl unterzeichnen CDU, CSU und SPD den Koalitionsvertrag. Reicht die Gemeinsamkeit für vier Jahre?

Um 14.21 Uhr ist es geschafft. Nach 169 Tagen setzen die Parteichefs ihre Unterschrift unter den Koalitionsvertrag. Im Paul-Löbe-Haus, einem Nebengebäude des Bundestages, wird geklatscht. In der ersten Reihe erleichterte Gesichter: Andrea Nahles, die starke Frau der SPD, sitzt zwischen dem neuen Innenminister Horst Seehofer (CSU) und Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU). Vor den Oberchefs durften die Fraktionsvorsitzenden das 177 Seiten lange Vertragswerk unterzeichnen. Bei CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt streikt im ersten Anlauf der Füller. Nahles bietet dem Bayern ihren an. Dobrindt winkt ab. Er hat einen Reservestift im Sakko.

Bundeskanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel sagt, sie hoffe, die Regierungspartner würden eine gewisse Portion Freude am Gestalten mitbringen. Das kann als Hinweis an die Sozialdemokraten gedeutet werden. Die zerrissene SPD brauchte auf dem Weg in die Groko zwei Parteitage, eine Mitgliederbefragung und eine neue Parteispitze. Martin Schulz, der dabei auf der Strecke gebliebene Vorsitzende, ist im Paul-Löbe-Haus übrigens nicht dabei, ebenso fehlt der scheidende Außenminister Sigmar Gabriel. Merkel plaudert länger mit Franziska Giffey, die den größten Karrieresprung macht. Die ostdeutsche SPD-Politikerin steigt von der Berlin-Neuköllner Bezirksbürgermeisterin zur Familienministerin auf. Wächst da nun zusammen, was eigentlich gar nicht mehr zusammen finden sollte?

Horst Seehofer sorgt für viele Lacher bei der Pressekonferenz

Bei der Pressekonferenz vor der Unterzeichnung macht Merkel klar, dass ihr Kabinett nun schnell starten müsse: „Wir müssen Tempo machen bei der Arbeit.“ Die Große Koalition wolle ihr Wohlstandsversprechen erneuern. „Der Wohlstand muss bei allen Menschen ankommen“, betont die noch geschäftsführende Kanzlerin, die am Mittwoch vom Bundestag dann zum vierten Mal gewählt werden soll. Hält sie volle vier Jahre durch, würde sie ihre Vorgänger Konrad Adenauer über- und Helmut Kohl einholen.

Die originellsten Sätze liefert CSU-Chef Seehofer. Während der kommissarische SPD-Vorsitzende Olaf Scholz davon redet, regieren sei für seine Partei nie „Selbstzweck“, bringt Seehofer die Mission der Großen Koalition auf den Punkt: „Es ist ein Vertrag für die kleinen Leute.“ Denselben Ausdruck verwendete 2013 der damalige SPD-Chef Gabriel. Für Seehofer ist es der erste große Auftritt in der neuen Rolle als kommender Innenminister. „Ich habe eine kleine Wehmut im Herzen, dass mit der Unterschrift, die ich heute leiste, der ganze Vorgang irreversibel ist – auch für mich persönlich. Aber ich komme gerne nach Berlin“, sagt er unter Gelächter. Seehofer wäre nicht Seehofer, wenn er nicht noch einen Stolperer einbauen würde. So verhaspelt er sich bei seinem Herzensanliegen: „Ich hab’ das Heimatmuseum, äh, das Heimatministerium, das Heimatministerium in Bayern gegründet.“

Ansonsten sehen Merkel, Seehofer und Scholz zufrieden aus. Nicht euphorisch, dafür war das Zustandekommen der Koalition zu wackelig. Aber sie alle haben gewonnen: Merkel wird Kanzlerin, Seehofer hat als Chef eines aufgewerteten Innenministeriums seinen Abgang hinausgezögert und Scholz wird Vizekanzler und Finanzminister.

Die drei haben persönliche Animositäten hinter sich gelassen. Merkel und ihr Duzfreund Seehofer haben wieder zusammengefunden, nachdem ihr Zerwürfnis über die Flüchtlingspolitik ein Grund für das schlechte Abschneiden der Union bei der Bundestagswahl war. Seehofer zeigt, dass er die Machtkonstellation verstanden hat. Durch ihre Richtlinienkompetenz ist Merkel unbestrittene Chefin im Kabinett. Sicher nicht einfach für die beiden, aber Seehofer ist gewillt. Der Kabinettsposten ist seine Chance, nicht in Ungnade aus der Politik zu scheiden. Die Frage ist, wie lange er die Rollenverteilung aushält.

Die Kanzlerin baut ihren beiden Partnern Brücken: Sie sei sehr froh darüber, dass mit Scholz und Seehofer zwei erfahrene Länderchefs in ihr Kabinett einziehen. Merkel und ihr künftiger Vizekanzler Scholz strahlen ohnehin eine gewisse Harmonie aus. „Die vierte Große Koalition in Deutschland ist jetzt nicht von Anfang an als Liebesheirat losgegangen“, frotzelt Scholz. Noch in den Koalitionsverhandlungen haben die beiden sich nichts geschenkt. Doch nun sind sie am Ziel. „John Wayne ist kein Vorbild für die Politik“, sagt Scholz über die Zusammenarbeit mit der Union. Wayne war für seine Rollen als Westernheld berühmt, der schnell zur Waffe griff.