Berlin. Die SPD will eine Reform im Gesundheitswesen. Die CDU betont ihr besseres Wahlergebnis. Bei einem Scheitern drohen Neuwahlen.

Kurz vor der Aufnahme von Sondierungen über ein Regierungsbündnis haben Politiker von Union und SPD Wünsche für
eine Zusammenarbeit angemeldet. Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) macht das Zustandekommen einer erneuten Koalition mit CDU/CSU von einer Verständigung auf Reformen für die Europäische Union und das Gesundheitswesen abhängig. Gabriel meinte in der „Bild“-Zeitung: „Nun müssen CDU und CSU mal sagen, was sie eigentlich für Deutschland tun wollen.“

Der stellvertretende SPD-Vorsitzende Ralf Stegner warnte die Union vor „Muskelprotzerei“. „Wenn CDU-Politiker wie Frau Klöckner nun die SPD öffentlich ermahnen und unter Druck setzen wollen, schadet das den Sondierungen bereits, bevor sie beginnen“, sagte Stegner der Zeitung „Die Welt“. Es brauche vielmehr Ernsthaftigkeit und reflektierte Gespräche.

Die stellvertretende CDU-Vorsitzende Julia Klöckner hatte gesagt: „Unser Wahlergebnis liegt mehr als zwölf Prozentpunkte über dem der SPD. Das muss sich niederschlagen, wenn es zu einer Koalition kommt.“

Die SPD müsse in einer Regierung die Renten sichern sowie Rentenkürzungen und Altersarmut verhindern, sagte der Vorsitzende des SPD-Landesverbandes von Nordrhein-Westfalen, Michael Groschek, dem „Tagesspiegel“. Zudem müssten die skandalösen Zustände bei der Pflege beendet werden. „Außerdem brauchen wir handlungsfähige Kommunen, die finanziell so ausgestattet sind, dass sie sich selbst auch wirklich verwalten können.“ Auf die Frage, ob dafür die schwarze Null, also der Staatshaushalt ohne neue Schulden, geopfert werden müsse, antwortete der Chef des mitgliederstärksten Landesverbandes der SPD: „Vom Sparen allein wird niemand reich. Langfristige Investitionsprogramme auf lokaler, nationaler und europäischer Ebene sind überfällig.“

Die saarländische Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) erteilte in der „Welt“ der von Gabriel unterstützten Idee des französischen Präsidenten Emmanuel Macron eine Absage, einen Euro-Haushalt mit einem eigenen europäischen Finanzminister aufzustellen. Denkbar sei aber der Aufbau eines europäischen Währungsfonds, sagte Kramp-Karrenbauer, die auch im CDU-Präsidium sitzt. Sie plädierte zudem für einen schrittweisen Abbau des Solis und eine Einkommensteuerreform.

Uneins zeigte sich die CDU bei der Frage des Familiennachzugs von Flüchtlingen. Während NRW-Ministerpräsident Armin Laschet sich dafür aussprach, in Härtefällen den Nachzug nächster Familienangehöriger zuzulassen, plädierte Kramp-Karrenbauer für ein Festhalten am Einreiseverbot.

Die Schwierigkeiten bei der Regierungsbildung lassen den Rückhalt für Kanzlerin Angela Merkel in der Bevölkerung bröckeln. Nach einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov wünscht sich inzwischen fast jeder Zweite (47 Prozent), dass die CDU-Vorsitzende bei einer Wiederwahl zur Regierungschefin ihren Posten vor Ende der Wahlperiode 2021 räumt. Nur 36 Prozent wollen sie weitere vier Jahre im Amt sehen. Kurz nach der Bundestagswahl war die Unterstützung für Merkel noch deutlich größer. In einer YouGov-Umfrage Anfang Oktober hatten sich nur 36 Prozent für einen vorzeitigen Abgang Merkels ausgesprochen. 44 Prozent waren dafür, dass sie ihren Posten bis 2021 behält.

Am Mittwoch hatte Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP) im Gespräch mit unserer Zeitung Angela Merkel
vorgeworfen, nie ein Jamaika-Bündnis von Union, Grünen und Liberalen angestrebt zu haben.
Er forderte eine Erneuerung der CDU. Deren Partei-Vize Julia Klöckner wies die Kritik als unfair und durchschaubar zurück. Alles auf Merkel abladen zu wollen, entspreche nicht der Faktenlage, sagte Klöckner dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.

Der Rückhalt der Kanzlerin im eigenen Lager ist einigermaßen stabil: Von den Unionswählern sind nur 17 Prozent dafür, dass sie früher geht. 75 Prozent wünschen sich dagegen eine vierjährige Amtszeit. Bei den Wählern des möglichen Koalitionspartners SPD sieht das ganz anders aus:
64 Prozent wollen die Kanzlerin vorzeitig loswerden. Bei den Grünen sind es 40 Prozent, im FDP-Lager 55 Prozent, bei der Linken 67 und bei der AfD 82 Prozent.

Am 7. Januar beginnen die Sondierungsgespräche zwischen Union und SPD über eine Regierungsbildung. Bei einem Scheitern bleiben nur die Möglichkeiten einer Minderheitsregierung oder Neuwahlen. red