Vilnius. Zum ersten Mal werden kampfbereite deutsche Soldaten dauerhaft im Ausland stationiert. Es gibt jetzt schon mehr Freiwillige als Plätze.

Ein modernes Großraumbüro im Zentrum von Vilnius: Auf einigen Etagen sind diverse Start-ups eingezogen, im sechsten Stock stehen neue Schreibtische und Stühle im Raum verteilt, an der Wand lehnen noch nicht ausgepackte Kartons. „Etwas aus dem Nichts zu schaffen, ist einmalig“, sagt Oliver K. Der Oberstleutnant ist einer der ersten 21 Soldaten, die in der litauischen Hauptstadt sind, um die neue deutsche Kampfbrigade Litauen aufzubauen.

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Oliver K. ist Bauingenieur, seine Aufgabe ist die Planung der Infrastruktur. „Das ist eine ganz, ganz besondere Aufgabe, die wir hier wahrnehmen dürfen“, sagt der 42-Jährige. Deutschland ist derzeit mit knapp 800 Soldaten in Litauen präsent, die jedoch immer wieder ausgetauscht werden. Für die neue Panzerbrigade 45 sollen bis 2027 etwa 4800 Soldaten und 200 zivile Bundeswehrangehörige dauerhaft vor allem in Rudninkai nahe der Grenze zu Weißrussland stationiert werden und dann voll einsatzbereit sein.

Kurz erklärt: Die Bundeswehr-Brigade in Litauen

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    Deutschland kümmert sich um die Soldaten und das Gerät. Litauen übernimmt die militärische und zivile Infrastruktur. Dazu gehören nicht nur Unterkünfte, Straßen und Depots, sondern auch Schulen und Kitas. Die Soldaten sollen ihre Familien mitbringen können. „Wir machen unsere Hausaufgaben“, versichert Litauens Verteidigungsminister Laurynas Kasciunas. Schießstände und 30 Kilometer Straße seien bereits gebaut.

    Deutschland baut militärische Präsenz im östlichen Nato-Gebiet massiv aus

    Je schneller Litauen die Voraussetzungen schafft, desto eher soll die Brigade mit voller Stärke vor Ort sein. Aus litauischer Sicht kann es nicht schnell genug gehen. Spätestens seitdem Russland 2014 die ukrainische Krim annektiert hat, ist die Angst in den früheren Sowjetrepubliken im Baltikum vor Putins Machthunger groß.

    Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) beim Truppenbesuch in Litauen: Deutschland baut seine militärische Präsenz an der Ostflanke des Nato-Gebiets massiv aus.
    Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) beim Truppenbesuch in Litauen: Deutschland baut seine militärische Präsenz an der Ostflanke des Nato-Gebiets massiv aus. © FUNKE Foto Services | Maurizio Gambarini

    Der Rückhalt in der Bevölkerung für die Stationierung der deutschen Kampfbrigade sei überwältigend, berichtet Verteidigungsminister Kasciunas. Bis zu einer Milliarde Euro will das kleine Land mit seinen gut 2,8 Millionen Einwohnern ausgeben, um die Bundeswehr unterzubringen. Kasciunas lobt die deutsche „Führungsstärke“ und den persönlichen Einsatz von Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD). „Historisch“ sei die Stationierung der Kampfbrigade: „Das ist Abschreckung, die wirklich funktionieren wird.“

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    „Das ist Neuland für uns“, räumt Pistorius ein. Deutschland baut seine militärische Präsenz an der Ostflanke des Nato-Gebiets massiv aus. Erstmals werden kampfbereite Soldaten dauerhaft im Ausland stationiert. Für den Ernstfall, für den Krieg. Sollte Russlands Herrscher Wladimir Putin das Baltikum angreifen, sind die deutschen Soldatinnen und Soldaten da, um die Verbündeten ohne Verlegungszeit sofort zu unterstützen.

    Deustsche Soldaten in Litauen: Jetzt verbreiten sich Fake News über die Kampfbrigade

    Russland beobachtet die Pläne der Bundeswehr genau. Es gebe in den sozialen Medien auf Litauisch bereits „sehr viel negative Berichterstattung“ und „Desinformation“, die mutmaßlich aus Russland gesteuert werde, sagt Jakob Ningelgen vom Cyber Innovation Hub der Bundeswehr. Es werde etwa behauptet, dass die deutschen Soldaten für sehr viele Verkehrsunfälle verantwortlich seien oder keine Lust hätten, nach Litauen zu kommen. Der Cyber Innovation Hub hat Programme entwickelt, um solche Fake News über die Kampfbrigade frühzeitig zu erkennen. Der Krieg wird auch digital geführt.

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    Seit April sind Oberstleutnant Oliver K. und weitere 20 Spezialisten als Vorkommando vor Ort. Im Oktober soll ein Aufstellungsstab von rund 120 Männern und Frauen folgen. Der Rest der Truppe soll in den kommenden beiden Jahren ankommen. Pistorius spricht von einem ambitionierten Zeitplan. Zumal der Minister noch einige große Brocken aus dem Weg räumen muss. Die Kosten für die Kampfbrigade könnten einen zweistelligen Milliardenbetrag erreichen, müssen laut Pistorius aber noch endgültig errechnet werden: „Die Arbeiten laufen.“

    Boris Pistorius nahm bei einem Truppenbesuch auch an einer Gefechtsübung teil.
    Boris Pistorius nahm bei einem Truppenbesuch auch an einer Gefechtsübung teil. © FUNKE Foto Services | Maurizio Gambarini

    Anfangs gab es zudem Zweifel, ob sich genug Freiwillige finden, die für mehrere Jahre nach Litauen ziehen wollen. „Hätten Sie Interesse?“, frage er immer die Soldaten, berichtet Pistorius. „Ich habe noch kein einziges Mal Nein gehört.“ Der Chef der neuen Kampfbrigade, Oberst André Hastenrath, bestätigt das. Für die 120 Dienstposten im Aufstellungsstab habe es 1200 Bewerbungen gegeben. „Die Flamme ist am Lodern“, freut sich Hastenrath über das Interesse.

    Wohnmöglichkeiten, Verdienst der Soldaten – Viele Details noch ungeklärt

    Doch viele Details, die darüber entscheiden, ob ausreichend deutsche Soldatinnen und Soldaten in den kommenden Jahren nach Litauen wollen, sind ungeklärt. Ist der Einsatz finanziell interessant? „Noch nicht“, antwortet Oberstleutnant Oliver K. offen. Es geht um Zuschläge oder Kosten für Schulen. K. überlegt, mit seiner Partnerin und dem fast 8-jährigen Kind nach Litauen zu kommen, gerne für die gesamte Schulzeit. „Die Schule muss passen. Die Schule muss Deutsch anbieten können“, sagt K. Wenn die Familie eher nach Deutschland zurückkommen sollte, soll das Kind problemlos auch hier wieder in die Schule gehen können.

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    Offen sind auch noch viele Fragen zu Heimflügen und Wohnmöglichkeiten. Die meist jungen Mannschaftssoldaten sollen auf einem Militärgelände untergebracht werden, Soldaten mit Familien sollen in Vilnius oder Kaunas wohnen können. Oberst Hastenrath macht deutlich, dass es ihm am liebsten wäre, wenn seine Leute soviel wie möglich in Litauen sind. „Am Ende kann das hier keine Pendlerbrigade werden“, die nur von Dienstag bis Donnerstag vor Ort sei, weil am Montag und Freitag die Flüge in die Heimat günstig seien. In erster Linie gehe es schließlich darum, eine kriegstüchtige Brigade zur Abschreckung Russland aufzubauen.