Athen. Auf Massenkundgebung: Der türkische Präsident provoziert mit neuen anti-israelischen Tiraden. Israels Außenminister reagiert umgehend.

Erdogan hatte gerufen, und seine Anhänger sind zu Hunderttausenden gekommen. Bei einer Massenkundgebung auf dem Gelände des früheren Istanbuler Flughafens Atatürk demonstrierte der türkische Staatschefs Recep Tayyip Erdogan am Samstagnachmittag seine Solidarität mit den Palästinensern und verschärfte seine Kritik an Israel. „Wir werden Israel vor der ganzen Welt als Kriegsverbrecher anklagen“, kündigte Erdogan an. „Israel begeht seit 22 Jahren Kriegsverbrechen, aber die westlichen Führer rufen nicht einmal zu einer Waffenruhe auf“, sagte der türkische Präsident. „Der Hauptschuldige hinter den Massakern, die sich in Gaza abspielen, ist der Westen“, so Erdogan. An die Adresse Israels gerichtet, rief er: „Der Westen steht in Eurer Schuld, aber die Türkei schuldet Euch nichts. Deshalb sprechen wir, ohne zu zögern, Klartext.“

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Israel könne seine „Grausamkeiten nur begehen, weil es die Unterstützung des Westens hat“, sagte Erdogan. Er wiederholte, dass die Türkei die Hamas nicht als Terrororganisation betrachte, sondern als „Befreiungsbewegung“. Erdogan hat führenden Figuren der Hamas in den vergangenen Jahren türkische Pässe ausstellen lassen und beherbergt sie in der Türkei. Israel nannte er in seiner Rede eine „Besatzungsmacht“. Erdogan kritisierte die türkischen Oppositionsparteien, weil sie zögerten, den israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu als „Terroristen“ zu bezeichnen.

Israel ruft Diplomaten zurück

Die Antwort aus Israel ließ nicht auf sich warten: Am Samstagabend rief das israelische Außenministerium seine Diplomaten aus der Türkei zurück. Außenminister Eli Cohen schrieb auf der Plattform X: „Angesichts der Erklärungen aus der Türkei habe ich die Rückkehr aller unserer diplomatischen Vertreter und eine Überprüfung der Beziehungen zwischen Israel und der Türkei angeordnet.“

Der türkische Staatschef hatte zur Massendemo aufgerufen, seine Anhänger sind zu Hunderttausenden gekommen.
Der türkische Staatschef hatte zur Massendemo aufgerufen, seine Anhänger sind zu Hunderttausenden gekommen. © DPA Images | Tolga Ildun

Veranstalter des „Büyük Filistin Mitingi“, des „Großen Palästina-Treffens“, war Erdogans islamisch-konservative Gerechtigkeits- und Entwicklungspartei (AKP). Erdogan selbst hatte über die sozialen Medien die Nation zur Teilnahme an der Veranstaltung aufgerufen. Begrüßt wurden Erdogan und seine Frau Emine von einem Meer aus türkischen und palästinensischen Fahnen. Viele Teilnehmer trugen Stirnbänder mit Aufschriften wie „Wir alle sind Palästinenser“, „Beendet den Völkermord“ und „Wir sind die Stimme der Kinder Palästinas“. Die Flaggen der Türkei und Palästinas fanden sich als Motive auch auf dem Seidenschal wieder, den Erdogan bei seinem einstündigen Auftritt trug.

Erdogans Parteinahme für die Hamas ist allerdings in der Türkei nicht unumstritten. Das zeigt eine in der vergangenen Woche veröffentlichte Umfrage des angesehenen Meinungsforschungsinstituts Metropoll. Danach sagten nur elf Prozent der Befragten, sie unterstützten die Hamas. 34 Prozent meinten, die Türkei solle in dem Konflikt Neutralität wahren. 27 Prozent sprachen sich dafür aus, ihr Land solle vermitteln.

Die gerade erst reparierten Beziehungen stehen vor dem Bruch

Der Islamist Erdogan hat schon in der Vergangenheit aus seiner Unterstützung für die Palästinenser nie einen Hehl gemacht. Er ist einer der schärfsten Kritiker Israels und beschuldigte das Land oft des „Staatsterrorismus“. Das führte 2010 zum Bruch. Beide Länder zogen ihre Botschafter ab. Erst 2022 verständigte man sich wieder auf volle diplomatische Beziehungen. Die Annäherung war Teil der Bemühungen Erdogans, die wachsende politische und wirtschaftliche Isolierung der Türkei zu überwinden.

Aber nun stehen die gerade erst reparierten Beziehungen wieder vor dem Bruch. Damit dürfte auch Erdogans Hoffnung gescheitert sein, sich als Vermittler zur Freilassung der von der Hamas gehaltenen Geiseln ins Gespräch zu bringen. Bei den bisherigen Freilassungen von insgesamt vier Geiseln scheint die Türkei keine Rolle gespielt zu haben. Jordanien und Katar agierten offenbar im Hintergrund als Vermittler.