Brüssel. Der Anschlag auf schwedische Fußballfans in Brüssel erschüttert Menschen in ganz Europa. Der Terrorist war bereits polizeibekannt.

Der Attentäter ruft „Allahu Akbar“, während er mit seinem automatischen Sturmgewehr mehrmals auf der Straße in der Brüsseler Innenstadt um sich feuert. Dann verfolgt Abdesalem L. zwei schwedische Fußballfans, die gerade aus einem Taxi in ein nahes Gebäude rennen, und schießt aus nächster Nähe auf sie. Sie sterben noch am Tatort, der Taxifahrer überlebt schwerverletzt. Schließlich rast der 45-jährige Tunesier auf seinem Motorrad davon, bekennt sich später in einem Video auf Facebook zur Terrororganisation Islamischer Staat (IS).

14 Stunden später ist auch der Attentäter tot: Bei seiner Festnahme in einem Cafe im Brüsseler Norden am Dienstagmorgen strecken ihn Polizeibeamte mit einem Schuss in die Brust nieder, im Krankenhaus erliegt er seinen Verletzungen. Bei seiner Festnahme drei Kilometer vom Tatort entfernt hat der Tunesier noch das automatische Gewehr bei sich, mit dem er das Attentat verübt hatte.

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Attentat in Brüssel: Angst vor einer Terrorwelle

Der Schock in Brüssel ist groß: Die EU-Metropole war vor sieben Jahren Schauplatz islamistischer Attentate auf den Flughafen und die U-Bahn, bei denen 32 Menschen getötet und 340 verletzt wurden. Einige der inzwischen verurteilten Attentäter gehörten dem IS an. Die Polizei in Brüssel ist entsprechend sensibilisiert: Schon kurz nach dem neuen Attentat wird die Terrorwarnstufe von zwei auf die höchste Stufe vier heraufgesetzt, Ministerpräsident Alexander de Croo persönlich ruft die Bürger zur großer Wachsamkeit auf. Regierung und Polizeichefs kommen am Dienstagnachmittag zu einer Sitzung des nationalen Sicherheitsrats zusammen.

Die Bedrohung durch islamistischen Terror sei noch nicht verschwunden, erklärt die Polizei. Die Befürchtung: Der Anschlag könnte der Beginn einer neuen Terrorwelle im Zusammenhang mit dem eskalierenden Nahost-Konflikt sein. Alarmiert reagieren deshalb auch die Sicherheitsbehörden in Frankreich, wo ohnehin schon 7000 Soldaten auf den Straßen patrouillieren, seit am vorigen Freitag ein als islamistischer Gefährder bekannter Jugendlicher einen Lehrer im nordfranzösischen Arras niedergestochen hat. Die Sicherheitsvorkehrungen für das Testspiel der französischen Fußball-Nationalmannschaft gegen Schottland am Dienstagabend in Lille in der Nähe von Belgien werden verstärkt, ebenso die Grenzkontrollen zu Belgien.

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Polizei hatte den Attentäter zuvor tragisch falsch bewertet

Am Dienstag wurde noch nach möglichen Komplizen von Abdesalem L. gefahndet, doch ging die Polizei vorläufig davon aus, dass er ein Einzeltäter war. Auf Arabisch behauptet er nach der Tat in einem Video, ein „Kämpfer für Allah“ zu sein. Er habe die Tat verübt, „um die Muslime zu rächen“. Die Sicherheitsbehörden hatten den Täter, der in dem teils von muslimischen Migranten geprägten Stadtteil Schaerbeek wohnte, bereits auf dem Radar, aber tragisch falsch bewertet: Beamte eines Terror-Ermittlungszentrums hatten nur wenige Tage vor der Tat Kontakt zu ihm.

Zuvor hatte der Mann einen Asylbewerber bedroht, der ihn den Behörden als in Tunesien verurteilten Terroristen gemeldet hatte. Polizeibeamte gingen dem Hinweis nach, stellten aber „keine akute terroristische Bedrohung“ fest, weil er tatsächlich wegen zivilrechtlicher Vergehen verurteilt worden war, wie Justizminister Vincent Van Quickenborne zähneknirschend einräumte. Trotzdem hatten Experten der belgischen Bundespolizei am Dienstag über einen möglichen Terrorverdacht gegen den Mann beraten wollen.

Abdesalem L. war der Polizei aber wegen Menschenhandel, illegalem Aufenthalt und Gefährdung der Staatssicherheit bekannt. Bereits 2016 erhielten die Sicherheitsbehörden Hinweise eines ausländischen Geheimdienstes, der vor der Radikalisierung des Mannes warnte und berichtete, er sei bereit, in einem Konfliktgebiet für den Dschihad zu kämpfen. Die Polizei reagierte aber nicht, da die Beamten seinerzeit täglich „Dutzende“ solcher Berichte erhielten, erklärte Justizminister Quickenborne. Weil keine konkreten Anzeichen für eine Radikalisierung gesehen wurden, wurde der Mann nicht als Terrorverdächtiger eingestuft.

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Schwedische Fußballfans waren keine Zufallsopfer

Der Tunesier beantragte im November 2019 Asyl in Belgien, elf Monate später wurde der Antrag abgelehnt, eine Ausweisung stand bevor. Doch dazu kam es nicht mehr: „Kurz darauf verschwand er vom Radar“, berichteten Ermittler. Dass er sich schwedische Fußballfans als Opfer aussuchte, war wohl kein Zufall: In einem zweiten Video hatte er – offenbar mit Blick auf die Koranverbrennungen in Schweden – erklärt, dass der Koran für ihn „eine rote Linie“ sei, er sei zu Opfern bereit. Die Staatsanwaltschaft äußert deshalb die Vermutung, dass die Vorfälle in Schweden ein Motiv gewesen sein könnten.

Hinweise auf einen Zusammenhang mit dem Konflikt in Israel und dem Gazastreifen gebe es dagegen nicht. Schwedens Ansehen in der muslimischen Welt habe sich durch mehrere islamfeindliche Aktionen, etwa wiederholte öffentliche Koranschändungen, seit mehreren Jahren erheblich verschlechtert, meinte der Kriminologe Michaël Dantinne von der Universität Lüttich im belgischen Fernsehen. Zur Tatzeit trat die schwedische Fußballnationalmannschaft beim EM-Qualifikationsspiel gegen Belgien an. Das Spiel wurde wegen des Attentats vorzeitig abgebrochen. Der schwedische Ministerpräsident Ulf Kristersson erklärte, sein Land sei der „größten Sicherheitsbedrohung seit dem Zweiten Weltkrieg“ ausgesetzt. Der französische Präsident Emmanuel Macron sagte nach dem Anschlag: „Europa wird erschüttert“.