Berlin. Die Bundesforschungsministerin verteidigt in einer Sondersitzung ihre Standortentscheidung. Salzgitter gehörte zu den Top drei der Bewerber.

Bundesforschungsministerin Anja Karliczek hat ihre umstrittene Entscheidung für Münster als Standort für eine „Forschungsfertigung Batteriezelle“ am Mittwoch im Forschungs- und Bildungsausschuss des Bundestags verteidigt. Die Sondersitzung hatte die Opposition beantragt. Wie unsere Zeitung aus Teilnehmerkreisen erfuhr, bekräftigte die CDU-Politikerin darin erneut, dass weder die beratende sogenannte Gründungskommission noch die Fraunhofer-Gesellschaft als Betreiberin der Forschungsfabrik eine Empfehlung für einen bestimmten Standort abgegeben hätten. Sie hätten auch keine Ranglisten der Bewerberstandorte erstellt.

Anderslautende Medienberichte, nach denen Ulm in Baden-Württemberg von der Gründungskommission empfohlen wurde, seien falsch. Sie selbst habe in ihrem Ministerium zudem keinen Einfluss auf den Verfahrensverlauf und die Standortentscheidung genommen. Karliczek hat ihren Wahlkreis in der Region Münster. Niedersachsen gehörte nach Informationen unserer Zeitung mit dem Standort Salzgitter zu den drei favorisierten Bundesländern – gemeinsam mit Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen mit Münster.

Nach der Sitzung kritisierten Vertreter von FDP, Linke und Grünen, dass die Ministerin die Antwort schuldig geblieben sei, wie die Deutsche Presse-Agentur berichtete. FDP und Grüne forderten von Karliczek die Herausgabe interner Dokumente, um die Entscheidungsprozesse offenzulegen, die zur Wahl von Münster führten. Sie sicherte das zu: „Ich habe im Ausschuss versprochen, dass wir alle Unterlagen, die wir rechtlich sicher zur Verfügung stellen können, dem Ausschuss zur Verfügung stellen werden.“

Die Entscheidung für Münster hatte direkt nach Bekanntgabe Ende Juni massive Kritik hervorgerufen. Unter anderem forderten die Ministerpräsidenten der Autoländer Niedersachsen, Bayern und Baden-Württemberg in einem Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), dass die Kanzlerin die Entscheidung prüfe und nachvollziehbar darlege. Niedersachsens Umweltminister Olaf Lies (SPD) nannte die Standortwahl eine „Fehlentscheidung“.

Die Forschungsfertigung in Münster fördert das Bundesministerium bis 2022 mit insgesamt 500 Millionen Euro. Ziel dabei ist, eine Massenfertigung von Batteriezellen für Elektroautos in Deutschland zu ermöglichen. In die Münsteraner Forschungsfabrik sollen sich auch alle anderen Bewerberstandorte mit einbringen – und vom Fördergeld profitieren. Zu den weiteren Bewerbern gehören Sachsen mit Dresden, Schleswig-Holstein mit Itzehoe und Bayern mit München.

Für Ulm steht bereits eine Fördersumme von mehr als 50 Millionen Euro im Raum. Die Braunschweiger Forscher rund um Professor Arno Kwade, Sprecher der Battery-Lab-Factory in Braunschweig, benötigen nach eigenen Angaben rund 60 Millionen Euro für ihr Vorhaben. „Das ist die Größenordnung, die wir uns vorstellen“, sagte Kwade. Eine Zusage durch das Bundesforschungsministerium gebe es noch nicht.

Die Wissenschaftler wollen ihr Know-how in der Kreislaufproduktion von Batteriezellen einbringen und legen dabei Schwerpunkte auf Verfahrenstechnik, die digitale und nachhaltige Produktion von Batteriezellen sowie Recyclingverfahren. Auch die Einrichtung eines Batterie-Bildungszentrums am Standort Salzgitter gehört zu ihren Vorschlägen. Die Gespräche mit dem Bundesforschungsministerium bezeichnete Kwade als „konstruktiv“. Das Land Niedersachsen würde die Forschung zusätzlich mit der Finanzierung von Gebäuden unterstützen.

Der Braunschweiger TU-Professor befand sich bis Mittwoch auf einer Batterie- und Energiespeicher-Konferenz in Glasgow in Schottland. Dort traf er auch mit Forschern einiger anderer Bewerberstandorte zusammen. Das Thema Forschungsfertigung sei dort sehr präsent gewesen. „Es gibt eine gewisse Furcht, dass die politischen Streitereien der Batterie-Forschung schaden“, berichtete Kwade unserer Zeitung. Die Wissenschaftler wollten gemeinsam Forschung betreiben, „nicht Politik“.

Auch eine Sprecherin des niedersächsischen Wissenschaftsministeriums betonte am Mittwoch unserer Zeitung gegenüber das Gemeinsame: Es gehe nun darum, die jeweiligen Stärken der Standorte so zu bündeln, dass für alle dabei „ein möglichst großer Gewinn“ herauskomme. Zudem wolle man dem Bund nun erst einmal die Gelegenheit geben, die Kompetenzen der einzelnen Standorte zu bewerten. Gespräche zwischen niedersächsischen Vertretern und dem Bundesforschungsministerium hatte es bereits gegeben. Es gebe aus Berlin Signale, dass der Bund auf die Länder zukomme.

Karliczek erläuterte den Ausschussmitgliedern, wie zu hören war, dass die Kriterien im Auswahlverfahren noch einmal differenziert worden seien, weil nur einer der drei Standorte Ulm, Salzgitter und Münster den Zuschlag habe erhalten können.Die Fraunhofer-Gesellschaft hatte dafür folgende Kriterien vorgeschlagen: die Kompetenz der Wissenschaftler, ökologische Aspekte und volkswirtschaftlicher Nutzen. In allen drei Punkten sei Münster, das sich gemeinsam mit Aachen beworben hatte, führend gewesen.

Ihr Haus habe die Entscheidung zudem im engen Austausch mit dem Bundesforschungsministerium getroffen. Dieses sollte vor allem die „Passfähigkeit der Konzepte in die Gesamtstrategie der Bundesregierung“ und den „erwarteten volkswirtschaftlichen Nutzen“ bewerten. Wie es aus Teilnehmerkreisen heißt, votierte das Wirtschaftsministerium unter besonderer Berücksichtigung der weiterer Förderpläne für Münster. Fraunhofer habe die Entscheidung ebenfalls begrüßt.

Das Wirtschaftsministerium unter Peter Altmaier (CDU) will eine europäische Batteriezellfertigung fördern und stellt dafür bis 2021 eine Milliarde Euro zur Verfügung. 37 Vorschläge von Autobauern, Zulieferern und Batterieherstellern sind laut Ministerium dafür eingegangen. Ein deutsch-französisches Konsortium aus Peugeot, Opel und dem Batteriehersteller Saft hat sich bereits gebildet. Ein bis zwei weitere sollen bis Jahresende dazukommen. Auch Volkswagen hatte mitgeteilt, „Interesse an der Forschungsförderung beim Bundesministerium für Wirtschaft und Energie bekundet“ zu haben. Forschungsgelder dieses Fördertopfes, der sogenannten „Altmaier-Milliarde“, finden also möglicherweise noch ihren Weg nach Niedersachsen.