Helmstedt. . Mehr als 700 Geflüchtete begannen in unserer Region eine Ausbildung. Spätestens bei der Abschlussprüfung haben aber viele Probleme.

Abdi ist angekommen in Deutschland. Das zeigt schon sein neuer Nachname: Faulhaber, wie seine Gasteltern, die den heute 22-Jährigen inzwischen adoptiert haben. Wenn er gefragt wird, woher er kommt, sagt er Bahrdorf – und strahlt übers ganze Gesicht. In dem Dorf im Kreis Helmstedt hat Abdifitah aus Somalia – Abdi genannt – Freunde gefunden, einen Platz in der Fußballmannschaft und seit kurzem auch einen festen Arbeitsplatz. Als er die Gesellenprüfung bestanden hatte, übernahm ihn sein Ausbildungsbetrieb Bauermeister als Maler und Lackierer. Dabei sah es eine Zeit lang so aus, als würde daraus nichts.

Denn beim ersten Versuch vor einem halben Jahr bestand Faulhaber zwar die praktische Abschlussprüfung, nicht aber die theoretische – trotz Zusatzunterricht, den die Handwerkskammer Braunschweig-Lüneburg-Stade und die Kreishandwerkerschaft gemeinsam mit der Berufsschule organisiert hatten. „Ich habe viel gelernt, aber nicht alle Fragen verstanden“, erzählt Faulhaber. Auch die Antworten seien ihm teilweise schwergefallen, zum Beispiel Begründungen. Besonders mit Fragen zur Politik hat er immer noch zu kämpfen. „Ich wollte es immer schaffen“, sagt der junge Mann. Doch nachdem er durch die Abschlussprüfung gefallen war, überlegte er aufzuhören. Allerdings rief gleich sein Chef Martin Bauermeister an und ermunterte ihn weiterzumachen.

In dessen Augen sind der Knackpunkt die Fragestellungen in der Prüfung. Der Kreishandwerksmeister will nicht das inhaltliche Niveau senken, wie er betont; das fachliche Verständnis sei auch nicht das Problem. Doch die Formulierung der Fragen muss seiner Meinung nach überarbeitet werden. Bei komplizierten Schachtelsätzen hätten selbst Muttersprachler Verständnisschwierigkeiten. Faulhaber fällt es generell schwer, schriftliche Texte zu verstehen – erst recht unter Zeitdruck –, auch wenn er sich flüssig auf Deutsch unterhalten kann.

Manche Prüfungsfragen findet Bauermeister außerdem realitätsfern. Auf der Baustelle nehme Abdi selbst Maß; in der Gesellenprüfung hingegen würden zum Beispiel zwei Maße vorgegeben, das dritte müssten sich die Prüflinge aus dem Text erschließen. Alle anderen geflüchteten Azubis hatten laut Bauermeister ebenfalls Probleme – und fielen durch.

Das Sprachproblem ist den Arbeitsagenturen und Kammern bekannt. Ausnahmen bei der Prüfung seien jedoch nicht möglich, erklärt Günter Neumann, Leiter Berufliche Bildung der Handwerkskammer. Denn nach dem Gleichbehandlungsgesetz würden sonst die übrigen Prüflinge benachteiligt. Doch die Kammer versucht, das Problem auf anderem Weg zu lösen. Innungen und Prüfern – die die Prüfungsfragen formulieren – wurde im vergangenen Jahr in Seminaren gezeigt, wie sie einfacher fragen könnten. „Davon profitieren letztlich alle Prüflinge“, sagt Neumann.

Arbeitsagentur: Auch Geduldete sollten Sprachkurse bekommen

Um in Grammatik besser zu werden, will Faulhaber nun noch einmal einen Sprachkurs belegen. Die Sprache ist laut den Arbeitsagenturen nach wie vor die größte Herausforderung bei der Vermittlung von Flüchtlingen. Vor allem berufliche Fachausdrücke seien die größte Hürde. Deshalb sei es wichtig, dass alle Geflüchteten mit einer hohen Bleibewahrscheinlichkeit von Anfang an intensiv Deutsch lernten. „Sprache ist der Schlüssel zu Ausbildung, Arbeit und damit für gesellschaftliche Integration“, betont der Sprecher der Arbeitsagentur Braunschweig-Goslar. Auch Geduldete – deren Asylantrag abgelehnt wurde, die Abschiebung jedoch ausgesetzt – sollten leichter Deutsch lernen können, sagt die Sprecherin der Helmstedter Arbeitsagentur. Bisher hätten sie keinen Zugang zu Integrations- oder berufsbezogenen Sprachkursen, obwohl viele länger in Deutschland blieben. Nach drei Monaten dürfen sie grundsätzlich arbeiten – was ohne Sprachkenntnisse aber oft nicht möglich sei.

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© Jürgen Runo

„Integration funktioniert nur über den ersten Arbeitsmarkt“, ist auch Bauermeister überzeugt. Für das Handwerk sieht er in den jungen Menschen, die nach Deutschland geflohen sind, ein „Riesen-Fachkräftepotenzial“. „Wir werden mit den Menschen nicht alle Probleme lösen“, weiß der Unternehmer. „Aber sie sind ein Baustein, um Deutschland auf einen guten Weg zu bringen.“ In zehn Jahren würden Schätzungen zufolge eine Million Handwerker fehlen. Es werde immer schwieriger, Auszubildende zu finden, die bis zur Gesellenprüfung bleiben – und diese am Ende auch schaffen, selbst ohne Fluchthintergrund. „Heute gibt es einen Riesen-Wettbewerb um die besten Köpfe“, berichtet der Malermeister. Auch die Arbeitsagentur wirbt dafür, die Potenziale von Flüchtlingen als Fachkräfte zu nutzen; für Unternehmen bietet die Behörde dafür verschiedene Fördermöglichkeiten an.

Bauermeister empfindet seinen Mitarbeiter aus Somalia als Bereicherung für seinen Betrieb. Die Zusammenarbeit mit dem offenen, neugierigen jungen Mann habe immer Spaß gemacht; auch die Kollegen hätten mitgezogen. Probleme mit Kunden blieben ebenfalls aus – im Gegenteil: Vor kurzem erreichte den Helmstedter zum Beispiel eine E-Mail eines Hotels, in dem Faulhaber mit Kollegen übernachtet hatte. Die Betreiber gratulierten Bauermeister zu Faulhabers Anstellung: „Abdifitah spricht gut Deutsch, hat einen positiven und vor allem einen spontanen Auftritt, an dem sich viele deutsche Mitarbeiter ein Beispiel nehmen können.“ Umgekehrt ist Faulhaber ebenfalls dankbar: „Ich danke meinem Chef, dass er mir die große Chance gegeben hat.“

Am häufigsten werden Flüchtlinge in Zeitarbeit und Gastgewerbe fündig

Der hofft, dass die bestandene Prüfung auch ein Signal an andere Flüchtlinge ist: Dass es sich lohne, in Deutschland eine Ausbildung zu machen, auch wenn diese im Vergleich zu anderen Ländern zunächst eine relativ hohe Investition ist, zeitlich wie inhaltlich. Voller Euphorie hatte Bauermeister weitere Afrikaner einstellen wollen. Doch bis zu einer Ausbildung schaffte es keiner der drei Praktikanten mehr. Er sei trotzdem jederzeit bereit, den Weg wieder zu gehen, wenn ein Bewerber Talent und Motivation mitbringe, sagt der Unternehmer.

Immerhin ist es inzwischen leichter geworden, einen Flüchtling einzustellen, wie Bauermeister berichtet. Faulhaber sei seit dem hohen Flüchtlingszuzug ab Herbst 2015 einer der ersten Flüchtlinge gewesen, die in Niedersachsen eine Ausbildung begannen. Damals durften Geflüchtete mit einem Ausbildungsplatz nicht automatisch in Deutschland bleiben – ein Risiko für Unternehmen. Heute wünscht sich Bauermeister neben der Überarbeitung der Prüfungsfragen eine bessere Begleitung von geflüchteten Azubis: von Anfang an, damit Defizite gar nicht erst entstünden. „Einzel-Initiativen wie hier in Helmstedt helfen nicht weiter, wir brauchen eine flächendeckende Begleitung“, findet er, zum Beispiel begleitenden Sprachunterricht.

Der Großteil der Flüchtlinge, die sich bei den Arbeitsagenturen melden, hat laut der Braunschweiger Behörde keine formale Qualifikation, die unserem Bildungssystem entspricht. Unter anderem mit einem bild- und filmgestützten Test versuche die Arbeitsagentur die Kompetenzen, Erfahrungen und Potenziale der Menschen zu erfassen. „Die Arbeitsmarktintegration der Flüchtlinge braucht Zeit, hat aber in den letzten Jahren zusehends an Fahrt gewonnen“, sagt der Sprecher der Behörde in Braunschweig. Die Arbeitsagenturen hatten bereits vor Jahren betont, dass die Integration in Arbeit kein Sprint, sondern ein Marathon sei.

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© Jürgen Runo

Das spiegelt sich nun auch in der Statistik wider. So hat sich die Zahl der sozialversicherungspflichtig beschäftigten Flüchtlinge in unserer Region seit dem Sommer 2016 mehr als verdoppelt: Im vergangenen Juni – jüngere Zahlen liegen noch nicht vor – hatten 2400 Menschen aus den acht nichteuropäischen Ländern, aus denen die meisten Asylbewerber kamen, einen Arbeitsplatz. Über genauere Daten verfügen die Behörden nicht, weil Arbeitgeber zwar die Nationalität, nicht aber den Aufenthaltsstatus ihrer Mitarbeiter angeben müssen.

Fündig wurden die Flüchtlinge nach Angaben der Braunschweiger Arbeitsagentur vor allem in der Zeitarbeit, im Gastgewerbe, im Handel sowie im Bau- und im verarbeitenden Gewerbe. Bundesweit hatten zuletzt 300.000 Menschen aus den genannten Ländern – Afghanistan, Eritrea, Irak, Iran, Nigeria, Pakistan, Somalia und Syrien – eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung. Das waren 91.000 mehr als ein Jahr zuvor, womit sich der Beschäftigungsanstieg deutlich beschleunigt hat – wohl nicht zuletzt, weil die meisten Flüchtlinge ihr Asylverfahren sowie Integrationskurse und andere Maßnahmen beendet haben. Zusätzlich gingen rund 72.000 Geflüchtete einer geringfügigen Beschäftigung nach.

Doch gleichzeitig stieg auch die Zahl der arbeitsuchenden Flüchtlinge in unserer Region auf das Eineinhalbfache,zuletzt gut 6800 – vor allem, weil in den vergangenen Jahren immer mehr Menschen nach Deutschland flohen. Dazu zählen neben knapp 3100 Arbeitslosen auch Menschen, die an Qualifizierungsmaßnahmen wie etwa einem Sprachkurs teilnehmen oder zum Beispiel einen geförderten Job haben. Bundesweit waren zuletzt 456.000 arbeitsuchende Flüchtlinge registriert, davon 189.000 als arbeitslos. Diese Zahlen können die Arbeitsagenturen seit Juli 2016 nach dem Aufenthaltsstatus auswerten; dazu zählen Menschen aus nichteuropäischen Ländern mit einer Aufenthaltsgestattung, -erlaubnis oder Duldung. Die Gruppe stimmt laut der Behörde stark mit der Gruppe aus den acht häufigsten nichteuropäischen Asylherkunftsländern überein.

Immer mehr Flüchtlinge fangen mit einer Ausbildung an

Wie viel Prozent der Flüchtlinge bereits Arbeit gefunden haben, lässt sich ebenfalls nur hochrechnen. Die Arbeitsagentur geht davon aus, dass rund 28 Prozent der nach 2014 aus den genannten Ländern zugezogenen Menschen im erwerbsfähigen Alter inzwischen abhängig beschäftigt sind, knapp 23 Prozent sozialversicherungspflichtig.

Die Arbeitsagenturen setzen auf Qualifizierung, damit Geflüchtete langfristig ihren Lebensunterhalt selbst verdienen können – Hilfstätigkeiten eignen sich hierfür weniger. In vielen Fällen bietet sich daher zunächst eine Ausbildung an, zumal ein großer Teil der Geflüchteten jünger als 35 Jahre ist. In unserer Region haben von Juli 2016 bis Januar 2019 insgesamt 739 Flüchtlinge eine Ausbildung begonnen. Das geht aus einer Auswertung der Braunschweiger Arbeitsagentur für unsere Zeitung hervor, wobei sich die Zählweise auf den Aufenthaltsstatus stützt.

Die Zahl der neuen Azubis stieg dabei in den vergangenen Jahren an. Die Handwerkskammer etwa verzeichnete 2016 noch 32, im Jahr danach schon 85 und schließlich 139 im vergangenen Jahr. Die Kammer kann nur über die acht häufigsten nichteuropäischen Herkunftsländer auswerten.

Allerdings hört auch ein Teil der Lehrlinge wieder auf. Wie viele, können die Kammern – auch die Industrie- und Handelskammer – nach eigenen Angaben nicht auswerten, ebenso wenig wie die Zahl der Flüchtlinge, die ihre Abschlussprüfung nicht bestehen.

Faulhaber hat es geschafft. Als Maler gefällt ihm vor allem die Abwechslung seines Berufs. In seiner Heimat wäre er heute womöglich Soldat. Als er 14 Jahre alt war, verkaufte seine Mutter ihm zufolge ihr Haus, um ihrem Ältesten die Flucht zu ermöglichen – damit er nicht Soldat werden müsse.

Seine Mutter und Geschwister hat er seitdem nicht mehr gesehen, übers Internet schreiben sie sich. Er vermisst sie sehr.