Peine. Alkohol bestimmte sein Leben, bis eine Entscheidung alles änderte. Wie ein Peiner dem Teufelskreis entkam und heute anderen hilft.

In seinen schlimmsten Zeiten trank er sogar Parfüm, als kein Alkohol mehr im Haus war. Als all seine Versuche, mit dem Trinken aufzuhören, scheiterten, hat Michele Weidlich seine Hoffnung längst verloren. Dunkel war es draußen, und dunkel war es in dem Peiner, als er an den Bahngleisen stand und auf den nächsten Güterzug wartete. „Ich wollte mich umbringen. Ich wollte es wirklich“, sagt der 41-Jährige. Heute sieht niemand dem lässigen Mann mit den Rasta-Zöpfen und dem karierten Hemd an, dass Jahre der Alkoholsucht hinter ihm liegen.

Gründe für die Alkoholsucht des Peiners

Seine Geschichte begann dort, wo viele dieser Geschichten beginnen – in der frühen Kindheit. Sein leiblicher Vater sei gestorben, als er zwei Jahre alt war. Der Stiefvater habe zwar keine körperliche Gewalt angewandt, dafür aber seelische. Selbstbewusst habe Weidlich sich nie gefühlt. Dann – mit 15 oder 16 Jahren – der erste Schluck Alkohol und damit einhergehend ein noch nie erlebtes Gefühl von Selbstbewusstsein.

Was mit ein oder zwei Bieren begann, eskalierte schon bald zu rauschhaften Exzessen. Anfangs nur am Wochenende, später jeden Tag, wobei schnell zehn Halbliter den Abend füllten. Es folgte ein Umzug nach Braunschweig, eine Trennung, ein Job-Verlust, noch mehr Alkohol. „Mein Leben drehte sich nur noch ums Trinken“, gesteht er. Zu Höchst-Zeiten habe er kaum noch gegessen, nur geraucht und Alkohol konsumiert, dann sei auch noch Kokain dazu gekommen.

Vergebliche Versuche der Alkoholsucht zu entkommen

Es folgten Entzüge, mehre, doch keiner führte zu einer langfristigen Abstinenz. Schließlich sei es nur noch darum gegangen, den Alkoholpegel stabil zu halten, um Entzugserscheinungen wie das ständige Zittern zu minimieren. „Ich wurde beinahe wahnsinnig, wenn ich nicht trinken konnte“, versucht Weidlich das zu beschreiben, was gemeinhin als Suchtdruck bezeichnet wird. Wenn dieser Druck einsetze, dominiere der Gedanke an Alkohol alles andere. „Das Einzige, was dann zählt, ist, so schnell wie möglich zu trinken“, so Weidlich.

Ein einschneidendes Erlebnis gab den Ausschlag im Kampf gegen die Alkoholsucht

Dieser Moment auf der Bahnschiene sei schließlich der prägende gewesen. „Da habe ich zum ersten Mal gespürt, dass ich es will: leben. Vom Alkohol wegkommen“. Was er dann getan habe, bezeichnet er heute augenzwinkernd als „etwas ganz Verrücktes“: Er habe den Rat seiner Therapeutin befolgt und sich einer Selbsthilfegruppe angeschlossen,

Erst half der ehemalige Alkoholiker sich selbst, dann anderen

Es folgten Ausbildungen zum Suchthelfer, Stress- und Mental-Coach und zum betrieblichen Gesundheitsmanager. Auch eine eigene Selbsthilfegruppe habe er übernommen und leitet sie bis heute gemeinsam mit seiner Frau. Nun bietet Weidlich auch Einzelcoachings und Workshops für Unternehmen an zu den Themen, mit denen er sich gut auskennt: Stress, Sucht, Burnout. Er gehe auch in Schulen, um dort Präventionsarbeit anzubieten, zum Beispiel ins Julius-Spiegelberg-Gymnasium in Vechelde.

Dieses Tattoo soll Michele Weidlich täglich an die fatalen Folgen seiner Alkoholsucht erinnern. 
Dieses Tattoo soll Michele Weidlich täglich an die fatalen Folgen seiner Alkoholsucht erinnern.  © FMN | Mandy Falke

Rückfallrisiken lassen ehemaligen Alkoholiker vorsichtig sein

„Genaugenommen bin immer noch Alkoholiker, nur trocken“, erklärt Weidlich. Die ständige Gefahr eines Rückfalls begleite einen Alkoholiker ein Leben lang. Nur durch dauerhafte Vorsicht könne die Krankheit langfristig in Schach gehalten werden. Auf dem Peiner Weihnachtsmarkt habe er einmal Senf probiert und sofort gemerkt: Hier stimmt etwas nicht. „In dem Senf war Cognac drin!“, erzählt Weidlich. Sofort habe er den Senf ausgespukt, seinen Mund ausgespült und „noch gleich einen Liter Wasser hinterhergetrunken, nur um sicher zu gehen.“

Ehemaliger Alkoholiker hinterfragt gesellschaftliche Akzeptanz von Alkohol

„Leider ist Alkohol eine voll akzeptierte Gesellschaftsdroge“, meint Weidlich kopfschüttelnd. Sogar auf Einschulungsfeiern oder Kindergeburtstagen werde Sekt oder Bier angeboten. Die Gefahren, so Weidlich, würden dabei vollkommen verharmlost werden. Gerade Kinder würden Alkoholgenuss dann als etwas Normales und zum Leben Dazugehörendes kennenlernen, ohne das Gefahrenpotential richtig einschätzen zu können.

Ehemaliger Peiner Alkoholiker findet Glück in Abstinenz vom Alkohol

Weidlich erlebe mittlerweile eine zufriedene Abstinenz, er vermisse den Rausch nicht. Meditation und Gespräche mit Freunden würden ihm heute das geben, was er früher im Alkohol gesucht habe. Seit neun Jahren ist der Peiner nun trocken – „und jeder Tag, der dazu kommt, ist ein Erfolg“, sagt er.

Alkoholismus stellt ernstzunehmende Gefahr dar

In Deutschland ist der Umgang mit Alkohol ein ernstzunehmendes Gesundheitsproblem: Schätzungen zufolge nutzen 7,9 Millionen Menschen im Alter zwischen 18 und 64 Jahren Alkohol auf eine Weise, die gesundheitliche Risiken birgt. Darüber hinaus zeigt sich bei etwa neun Millionen Menschen dieser Altersgruppe ein problematisches Konsumverhalten, das die Grenzen eines verantwortungsvollen Umgangs überschreitet.

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