Berlin. Zehntausende Skelette haben Archäologen seit Mitte Februar unter Lübeck entdeckt. Was die Forscher über die Toten herausgefunden haben.

  • Mitten in der Stadt haben Archäologen in Lübeck die Überreste von Tausenden Leichen gefunden
  • Inzwischen gibt es Hinweise darauf, wer die Menschen waren, die dort bestattet wurden
  • Besonders ein Fund sorgt für Aufsehen

Der Schauplatz in Lübeck erinnert an den Friedhof der Kuscheltiere aus Steven Kings Roman – nur, dass die Toten nicht mehr zurückkehren. Unter Lübecks Straßen verbirgt sich ein Armenfriedhof. 50.000 Skelette sollen dort liegen.

Über 200 Jahre lang – von 1639 bis 1868 – wurden auf dem Friedhof Menschen bestattet, die zuvor im so genannten Armenhaus oder im benachbarten St. Annenkloster gelebt hatten. Meist waren es arme Menschen, die sich einen "normalen" Friedhof nicht leisten konnten. Ein neuer Fund offenbart nun eine noch tragischere Geschichte eines Leichnams.

Lübeck: Archäologen entdecken Friedhof durch Zufall

Die Entdeckung war ein Zufall: Hätten die Entsorgungsbetriebe Lübecks nicht im Februar 2023 den Regenwasserkanal in der Hüxtertorallee erneuert, wäre der Armenfriedhof nie entdeckt worden, schreibt die Hansestadt Lübeck in einer Pressemitteilung. Wie es für historische Altstädte üblich ist, wurde die Baumaßnahme von Archäologen begleitet, denn: Überall, wo gegraben wird, finden sich Zeugnisse der Vergangenheit.

Einen rund 8000 Quadratmeter großen Armenfriedhof haben Archäologen in Lübeck ausgegraben.
Einen rund 8000 Quadratmeter großen Armenfriedhof haben Archäologen in Lübeck ausgegraben. © Marcus Brandt/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Bereits im Vorfeld war bekannt, dass die Bauarbeiten möglicherweise einen historischen Friedhof vor dem ehemaligen Mühlentor tangieren könnten. "Wir wussten von der Existenz des Armenfriedhofs", sagt Ingrid Sudhoff, Leiterin der Archäologie der Hansestadt Lübeck. So überrascht die Expertinnen und Experten derzeit nicht der Fund an sich, sondern die Anzahl der Gräber.

Großer archäologischer Fund: 50.000 Skelette entdeckt

Seit seiner Gründung wurden auf dem Armenfriedhof durchschnittlich 200 Menschen pro Jahr bestattet. Mit jährlichen Schwankungen dürfte der Friedhof nach Schätzungen der Hansestadt Lübeck auf etwa 50.000 Tote kommen. Bis heute seien etwa 200 Tote geborgen worden, darunter etwa 20 Kleinkinder und Säuglinge, teilt die Stadtverwaltung mit.

Archäologen und Grabungstechniker reinigen mit einem Pinsel das Gebiss eines Schädels auf der Ausgrabungsstätte in Lübeck.
Archäologen und Grabungstechniker reinigen mit einem Pinsel das Gebiss eines Schädels auf der Ausgrabungsstätte in Lübeck.

Teilweise lagen bis zu sieben Särge übereinander. Es handelt sich aber nicht um ein Massengrab im herkömmlichen Sinne, sondern um eine Art Gemeinschaftsgrab", erklärt die Archäologin Katharina Ostrowski. "Die Verstorbenen wurden in großen Gruben bestattet, aber in einzelnen Särgen." Doch nicht nur die Bewohner des Armenhauses fanden hier ihre letzte Ruhe. Auch Beamte, Ärzte und Lehrer des Annenklosters wurden auf dem Friedhof bestattet. "Das erkennt man an den aufwendigeren Särgen", sagt Ostrowski.

Die Geschichte der Lübecker Friedhöfe

Das heute 8000 Quadratmeter große Areal wurde zwischen 1639 und 1868 angelegt. Bis dahin kann Lübeck auf eine lange Friedhofsgeschichte zurückblicken. Früher wurden die meisten Lübecker rund um die Kirchen begraben, schreibt die "Lübecker Zeitung". Denn die Kirche verdiente an den Begräbnissen. Die Pest von 1350 führte dazu, dass 1597 ein Pestfriedhof angelegt wurde. 1832 gab es dann ein Bestattungsverbot innerhalb der Stadt. Bedingt durch die Kriegswirren 1806 und die wachsende Bevölkerung gab es zu viele Tote, die nicht alle innerhalb der Stadtmauern bestattet werden konnten.

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Von allen gefundenen Skeletten werden derzeit Proben aus dem Brust- und Beckenbereich entnommen und im Institut für Klinische Mikrobiologie der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel auf mögliche Todesursachen untersucht. Möglicherweise lässt sich so auch der jüngste Fund aufklären: "Das war ein Skelett mit einem Einschussloch im Schädel, die Kugel lag noch daneben", sagt Sudhoff. "Das ist eine Geschosskugel, die eben gestern oder heute Morgen beim Putzen rausgekommen ist", sagt auch die Archäologin Chiara Engesser dem "Spiegel". Mehr wird die anthropologische Untersuchung in den nächsten Tagen zeigen. (mit dpa)

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