Berlin. Eine Mutter und ihr Kind sind auf einer Ostsee-Fähre über Bord gegangen und ertrunken. Behörden haben jetzt Video-Material ausgewertet.

  • Auf dem Weg einer Ostseefähre von Polen nach Schweden gingen eine Mutter und ihr Sohn über Bord
  • Die Behörden haben bestätigt, dass es sich nicht um ein Unglück handelt
  • Die schwedische und polnische Staatsanwaltschaft ermitteln in dem Fall

Es müssen dramatische Szenen gewesen sein, die sich am Donnerstag an Bord der Fähre "Stena Spirit" auf dem Weg von Polen nach Schweden abgespielt haben: Kurz nach 16 Uhr ging ein siebenjähriges Kind über Bord und fiel in die Ostsee. Die Mutter sprang daraufhin ebenfalls ins Meer.

Sofort wurde ein großer Rettungseinsatz mit Hubschraubern und Booten eingeleitet. Am frühen Abend – rund eine Stunde nach dem Unglück – konnten die beiden polnischen Staatsbürger schließlich aus dem Wasser gerettet und in ein Krankenhaus gebracht werden. Nachdem zunächst noch Hoffnung bestand, gibt es inzwischen Gewissheit: Die beiden sind tot, sagte ein Sprecher der polnischen Polizei dem Sender TVN24.

Ostsee: Behörden ermitteln nun in Mordfall

Die dänische maritime Havariekommission hat mittlerweile die Überwachungsaufnahmen durchgesehen und bestätigt, dass es sich bei dem Sturz nicht um ein Unglück handelt, wie ein Ermittler der Behörde der Deutschen Presse-Agentur in Skandinavien sagte. Damit bestätigte er einen Bericht des schwedischen Radiosenders P4 Blekinge, wonach es sich bei dem dramatischen Vorfall um eine vorsätzliche Handlung handelte. Da die Fähre unter dänischer Flagge fährt, hatte die dänische Behörde eine Untersuchung angestellt. Diese Untersuchung wird nach Senderangaben nun eingestellt.

Die polnische Staatsanwaltschaft geht von einem Verbrechen aus. Ermittelt werde wegen des "Mordes an einem Kind und des Selbstmordes der Mutter", sagte eine Sprecherin der Bezirksstaatsanwaltschaft Danzig der Deutschen Presse-Agentur. Weitere Details nannte sie nicht. Am Freitag hatte bereits die schwedische Staatsanwaltschaft bekanntgegeben, dass sie Vorermittlungen zum Tatbestand Mord eingeleitet habe, aber nicht nach einem Verdächtigen suche.

Wie es genau zu dem Vorfall auf der Fähre "Stena Spirit" kam, darüber gab es unterschiedliche Angaben. Zunächst hatte es geheißen, das Kind sei ins Wasser gefallen und die Mutter hinterhergesprungen. Später war in polnischen Medien auch davon die Rede, dass beide zeitgleich über Bord gegangen seien.

Ostsee: Unterkühlung ist die größte Gefahr

Dass Menschen über Bord gehen, kommt in den deutschen Gewässern der Nord- und Ostsee "vergleichsweise selten" vor, wie die Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS) auf Anfrage dieser Redaktion mitteilt. Im vergangenen Jahr retteten die Seenotretter 91 Menschen aus Seenot. Viele, aber nicht alle von ihnen wurden unmittelbar aus dem Wasser geborgen.

Im Ernstfall sei es wichtig, Ruhe zu bewahren. "Und sich nicht etwa Kleidung zu entledigen, weil man fälschlicherweise annimmt, sie zöge einen Menschen unter Wasser", so Pressesprecher Christian Stipeldey. Das Gegenteil sei der Fall: "Jede zusätzliche Schicht Kleidung bringt auch eine zusätzliche Schicht Luft mit sich und verlangsamt dadurch die drohende Unterkühlung – die größte Gefahr auf See." Bei Wassertemperaturen von 18 bis 20 Grad Celsius, wie sie die Ostsee derzeit hat, könne es schon in kurzer Zeit gefährlich werden. "Aus demselben Grund sollten hektische Schwimmbewegungen vermieden werden, um möglichst wenig Energie zu verbrauchen."

Das Manöver "Mann über Bord" ist übrigens Grundbestandteil der seemännischen Ausbildung. Wenn ein Mensch in Seenot gerät, muss über die international einheitlichen Seefunkkanäle ein "Mayday"-Ruf abgesetzt werden. Im Fall von Passagierschiffen legen die Reedereien in der Regel zusätzlich eigene Sicherheitskonzepte fest. Dennoch ist die Rettung im Ernstfall ein Rennen gegen die Zeit: "Ein über Bord gestürzter Mensch ist, ohne Schutzkleidung und Hilfsmittel, auf See in jedem Fall in Lebensgefahr."

Zum Zeitpunkt des Unglücks befand sich die Fähre etwa auf halbem Weg zwischen dem polnischen Gydnia und der südschwedischen Stadt Karlskrona. Das Schiff war zu diesem Zeitpunkt rund 70 Kilometer von der schwedischen Insel Öland entfernt. (nfz/pcl/dpa/afp)

Anmerkung der Redaktion: Aufgrund der hohen Nachahmerquote berichten wir in der Regel nicht über Suizide oder Suizidversuche, außer sie erfahren durch die Umstände besondere Aufmerksamkeit. Wenn Sie selbst unter Stimmungsschwankungen, Depressionen oder Selbstmordgedanken leiden oder Sie jemanden kennen, der daran leidet, können Sie sich bei der Telefonseelsorge helfen lassen. Sie erreichen sie telefonisch unter 0800/111-0-111 und 0800/111-0-222 oder im Internet auf www.telefonseelsorge.de. Die Beratung ist anonym und kostenfrei, Anrufe werden nicht auf der Telefonrechnung vermerkt.