Hannover. Niedersachsens Innenminister hält die zugesagte Aufnahme von minderjährigen Flüchtlingen innerhalb der nächsten Tage für „nicht mehr realistisch“.

Die von Deutschland zugesagte Aufnahme von Minderjährigen aus den Flüchtlingslagern in Griechenland verzögert sich weiter. EU-Innenkommissarin Ylva Johansson hatte zuletzt die Hoffnung geäußert, dass die ersten Kinder in dieser Woche in die Aufnahmeländer gebracht werden könnten.

Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius bezeichnete dieses Ziel am Donnerstag allerdings als „nicht mehr realistisch“. Die Modalitäten seien noch nicht geklärt, sagte der SPD-Politiker der Deutschen Presse-Agentur in Hannover. „Angesichts der Pandemie ist das tragisch, weil die Lage in Griechenland sich dadurch noch weiter verschlechtern dürfte.“ Niedersachsen hatte die Aufnahme von Flüchtlingen bereits Anfang März zugesagt.

Deutschland und einige andere EU-Staaten hatten sich bereit erklärt, mindestens 1.600 unbegleitete Kinder und andere Migranten aus den völlig überfüllten Lagern auf den Ägäis-Inseln aufzunehmen. Ein Sprecher von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) versicherte vor einer Woche, dass Deutschland trotz der Corona-Krise dazu stehe.

Pistorius: Niedersachsen hält an Zusage fest

„Auch Niedersachsen ist entschlossen, an der zugesagten Aufnahme festzuhalten, mit klarem Fokus auf unter 14-jährige unbegleitete Kinder“, bekräftigte Pistorius. Der Minister hatte nach einem Besuch auf Lesbos schon im Herbst dafür geworben, die Kinder aus den überfüllten Lagern zu holen – ursprünglich noch vor dem Winter. „Der Bund hat sich dem Druck mittlerweile gebeugt, nachdem sich meiner Initiative immer mehr Bundesländer angeschlossen hatten“, sagte er.

Vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie sei ihm wichtig, dass gesundheitliche Vorgaben wie „gründliche Untersuchungen, gegebenenfalls auch Quarantäne oder Ähnliches“ bei der Einreise eingehalten werden. Gerade jetzt zähle es, denen zu helfen und eine neue Perspektive zu bieten, denen es wirklich schlecht gehe.

Hilfsorganisationen fordern Auflösung der Flüchtlingslager auf Inseln

Zahlreiche Hilfsorganisationen fordern, die Flüchtlingslager auf den griechischen Inseln angesichts der Corona-Ausweitung sofort zu räumen. Am Dienstag wurde dort der erste Corona-Fall gemeldet. Insgesamt leben auf Lesbos, Chios, Samos, Leros und Kos laut griechischem Bürgerschutzministerium rund 40.000 Flüchtlinge und Migranten – bei einer Kapazität von gerade mal 6.000 Plätzen. Seehofer zufolge sind darunter rund 5.000 Kinder und Jugendliche.

Die Städte in Niedersachsen hatten sich bereits vor Wochen vorbereitet gesehen für den Fall, dass wieder mehr Flüchtlinge ins Land kommen. Eine Situation wie 2015, als Flüchtlinge in Turnhallen und anderen öffentlichen Räumen leben mussten, werde sich nicht wiederholen, hieß es in einer Umfrage der Deutschen Presse-Agentur.

Die Landeschefin der Linken, Heidi Reichinnek, bezeichnete die Situation der Flüchtlinge im Land dagegen angesichts von Corona als „skandalös“ – „dauerhafte Unterbringung auf engstem Raum, kein Zugang zum regulären Gesundheitssystem und ständige Behördengänge, um Duldungen zu verlängern, sind nur einige Beispiele für das, was Geflüchtete tagtäglich bewältigen müssen“, sagte sie und forderte Land und Kommunen auf, eine dezentrale Unterbringung voranzutreiben. dpa