Hannover. Polizei und Regierungskoalition sehen den Islamismus als Grund für mehr Rechte bei der Gefahrenabwehr. Normale Bürger seien nicht betroffen, heißt es.

Die Führung der Polizei ließ keine Zweifel aufkommen. „Zwingend erforderlich“ nannte Landespolizeipräsident Axel Brockmann vom Innenministerium die „Erweiterung der polizeilichen Befugnisse“ im neuen Polizeigesetz des Landes. Und der neue Präsident des Landeskriminalamtes, Friedo de Fries, wies bei einer Anhörung im Innenausschuss des Landtags auf rund 75 islamistische Gefährder hin, die in Niedersachsen bekannt seien, dazu weitere 40 „relevante Personen“. Das bisherige Gesetz sei auf eine analoge Welt zugeschnitten, betonte Göttingens Polizeipräsident Uwe Lührig. In seinem Amtsbereich waren 2017 zwei Islamisten erst festgesetzt und später ausgewiesen worden. Von glücklichen Umständen sprach Lührig. Seinerzeit hatte das Gesetz den sogenannten Unterbindungsgewahrsam auf 10 Tage begrenzt, im neuen Gesetz sollen es bis zu 74 sein.

Für FDP und Grüne im Landtag, aber auch für Datenschützer und Bürgerrechtler ist der Entwurf zum neuen Polizeigesetz ein Horrorkatalog. Zumal es im Polizeirecht nicht um Strafverfolgung, sondern um Gefahrenabwehr geht. „Wir erreichen hier einen Bereich unterhalb der Gefahrenschwelle“, sagte etwa der Verfassungsrechtler Jörn Ipsen, früherer Präsident des Staatsgerichtshofs, zum neuen Gesetz. Die Befugnisse, die neu kommen oder ausgeweitet werden, reichen von dem 74-Tage-Gewahrsam über elektronische Fußfessel bis zu online-Durchsuchungen und mehr Videoüberwachung. Bisher, so die Landesdatenschützerin Barbara Thiel zum letzten Punkt, seien Bildaufzeichnungen der Polizei nur an Orten erlaubt, an denen mit erheblichen Straftaten zu rechnen sei. Künftig sollten sie bei jeder in Frage kommenden Straftat zulässig sein, heißt es in einer Stellungnahme Thiels. Die Landesdatenschützerin begrüßte zwar, dass für den umstrittenen Einsatz von „Bodycams“ bei der Polizei oder auch Videoüberwachung in Arrestzellen nun wenigstens eine Rechtsgrundlage geschaffen werden solle. „Der Entwurf zum neuen Polizeigesetz schießt weit über das Ziel hinaus“, sagte Thiel aber. Die Eingriffsschwellen würden gesenkt, alle nur erdenklichen Möglichkeiten an die Hand gegeben. Thiel wies außerdem auf erhebliche technische Probleme bei der Telekommunikationsüberwachung schon in der Vergangenheit hin. Dies hätten FDP-Landtagsanfragen offengelegt. Darin ging es um Softwareprobleme und Datenschutz. „Unsere verfassungsrechtlichen Bedenken gegen im neuen Polizeigesetz vorgeschlagene Maßnahmen sind nicht ausgeräumt. Dazu gehört insbesondere die sogenannte Online-Durchsuchung“, erklärte zur Anhörung der FDP-Landtagsabgeordnete Stefan Birkner. „Es bestätigt sich erneut: der Gesetzentwurf der GroKo ist gefährlich“, erklärte auch sein Grünen-Landtagskollege Belit Onay. Dagegen sagte Verfassungsrechtler Ipsen zur online-Durchsuchung, Kommunikation finde heutzutage eben online statt. Der Wissenschaftler Matthias Fischer von der Hessischen Hochschule für Polizei und Verwaltung betonte den Modernisierungsbedarf des alten Landesgesetzes. Zuletzt 2007 novelliert, sei es ein „Dino“, sagte Fischer. Für Alarmismus bestehe aus seiner Sicht kein Anlass.