Ramallah.

Zu „Steinmeiers Drahtseilakt“ vom 10. Mai:

Vergangenen Montag haben Frankreich und Russland des Endes des Zweiten Weltkrieges auf unterschiedliche Weise gedacht. Für die Franzosen war es eine Befreiung, für die Russen der Sieg über Nazideutschland. Für Israel war es das Ende der Schreckensherrschaft eines Regimes, dass für beispiellose Verbrechen an den Juden verantwortlich war. Das hat Bundespräsident Steinmeier vielleicht auch bewogen, nach dem diplomatischen Eklat zwischen Sigmar Gabriel und Israels Regierungschef Netanjahu die Wogen im Verhältnis beider Länder wieder zu glätten. Die Deutschen erlauben es sich aber immer noch nicht, ihre Nazivergangenheit von der Realpolitik zu entkoppeln. Da mag politischer Opportunismus und die alte Angst der Deutschen eine Rolle spielen, im Ausland immer noch nicht sonderlich beliebt zu sein, dagegen aber respektiert oder gar gefürchtet zu werden. Und Israel, sehen wir es realpolitisch, kann mit der deutschen Vergangenheit spielen, sobald sich dazu eine Gelegenheit bietet. Der Israelbesuch von Gabriel mit seinen Umständen war wieder so eine Gelegenheit. Der Bericht erwähnt zwar die Sperranlagen Israels, in deren Schatten die Palästinenser leben müssen. Dass Israel eine viel schlimmere, da schleichende Landnahme mit seiner Siedlungspolitik im Westjordanland praktiziert, wird gar nicht erwähnt.

Klaus Reisdorf, Wolfsburg