Braunschweig. Die populäre Berliner Liedermacherin attackiert den Ex-Kanzler in einem witzigen „Disstrack“: „Kein Fußbreit diesem kriminellen Niedersachsen“.

Dota Kehr wurde als Straßenmusikerin „Kleingeldprinzessin“ bekannt. Mit ihrer Band Dota zählt sie zu den Club-Königinnen in Studenteninnenstädten. Die 42-jährige Berlinerin schreibt blitzgescheite, lakonische, scheinnaive Songs über Bademeisterinnen und vergehendes Glück. Und sie haut auch mal einen Song zur Zeit raus.

Bei ihrem Konzert am Mittwoch in Braunschweig wird ein Wutlied auf einen „unangenehmen Niedersachsen“ zum Hit des Abends. „Hätt’ er einen Obststand, ich würd’ Gemüse kaufen“, singt sie über Ex-Kanzler Gerhard Schröder, erfreut, dass er „für seine widerliche Wesensart endlich Gegenwind kriegt“. Sie reimt den Refrain „Keiner muss wie Gerhard Schröder sein“ auf „Lobbyistenschwein“. Fazit: „Uns wäre eine bessere Welt beschieden, wäre er Einzelhandelskaufmann in Lemgo geblieben“. Mehr als 200 Fans jubeln im dicht gefüllten Saal des KufA-Hauses am Westbahnhof.

Anti-Schröder-Song ist Hit des Abends

Die eingängige Nummer, die Dota frei heraus zur Akustikschrammelgitarre hinausdisst, kommt blendend an. In ihrer forschen Attitüde ragt sie aus dem Abend heraus, der eigentlich der Dichterin Mascha Kaléko (1907-1975) gewidmet ist. Die russische Jüdin kam als Jugendliche mit ihrer Familie auf der Flucht vor Pogromen in Russland nach Berlin. Dort begann sie Gedichte über das Großstadtleben zu schreiben, die eine coole, klare, ironische Leichtigkeit haben. Ihr „Lyrisches Stenogrammheft“ wurde noch 1933 (!) ein großer Erfolg. Zwei Jahre später kamen ihre Bücher auf den Index. 1938 emigrierte sie in die USA, später nach Israel, wurde aber nie mehr richtig heimisch.

Dota Kehr hat eine Reihe von Kaléko-Gedichten vertont, in Songminiaturen, die fast etwas Fragmentarisches haben. Transparente Songgewebe, leicht wie ein Hauch, wie das poetische Wort. Kehr singt sie mit ihrer hellen, feinen Stimme, unaufdringlich und doch präsent. Eine vierköpfige Band begleitet sie mit perlenden, abgedämpften Gitarrenakzenten, perkussivem Schlagzeugeinsatz, chilligen Keyboard-Tupfern sowie Backgroundgesang und Klarinettenspiel (!), alles dezent, aber auf den Punkt.

„Mir ist so kognakfroh zumut“

Dazu wunderbar stilsichere, spöttische Lyrik der jungen Kaléko: „Mir ist so kognakfroh zumut / Schon tanzen Wand und Schränke… / Ich sag dem Tischherrn, was ich von ihm denke / Und schließe draus: der Schnaps war gut.“ Aber auch melancholische Gedichte der alternden, verlorenen Poetin: „Wohin ich immer reise / Ich fahr nach Nirgendland / Die Koffer voll von Sehnsucht / Die Hände voll von Tand / So einsam wie der Wüstenwind / So heimatlos wie Sand“.

Ein zarter Genuss. Ein zweites Kaléko-Album werde folgen, kündigt Dota in Braunschweig an.

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