„Nichts davon wird sich ändern, wenn man stattdessen wieder über Rassismus diskutiert.“

Wurde Ralph Yarl seine Hautfarbe zum Verhängnis? Der 16-Jährige hatte am späten Abend des 13. April seine kleinen Brüder abholen wollen, irrte sich aber an der Haustür und wurde daraufhin vom Hausbesitzer Andrew Lester angeschossen und dabei fast getötet. Darf man jemanden erschießen, nur weil er an der Haustür klingelt und schwarz ist, fragte der USA-Korrespondent dieser Zeitung?„Black lives matter“, riefen kurz darauf Demonstranten vor Lesters Grundstück.

Nicht nur in den USA machte der Fall Schlagzeilen. Die schwarze Schauspielerin Halle Berry meldete sich zu Wort. US-Präsident Joe Biden rief den Jugendlichen im Krankenhaus an und lud ihn ins Weiße Haus ein. „Auf Ralph Yarl wurde geschossen, weil er bewaffnet war mit nichts als seiner schwarzen Haut“, erklärte Yarls Anwalt Lee Merritt. Imani Perry, Professorin für African American Studies an der Eliteuniversität Princeton, zog gar einen Vergleich zur Zeit der gesetzlichen Rassentrennung in den USA, in der Schwarzen das Betreten einiger Siedlungen nach Sonnenuntergang verboten war. „Damals gab es angeblich Stunden, in denen es sicher war, auf der Straße schwarz zu sein.

Und heute?“ Kaylin Gilles wurde erschossen, als sie versehentlich mit dem Auto in eine private Einfahrt abbog. In Columbus, Ohio, töte ein Hausbesitzer den Obdachlosen Kevin J. Smith, den er in seiner Garage fand, wo er offenbar geschlafen hatte. In Elgin, Texas, irrte sich die Cheerleaderin Heather Roth und öffnete die Tür des falschen Autos. Sie erkannte den Fehler und kehrte um, doch der Autofahrer lief ihr hinterher, schoss auf das Auto, in das sie später einstieg, und verletzte eine andere Cheerleaderin schwer. Als der Hausbesitzer Robert Louis Singletary einen Basketball auf sein Grundstück rollen sah, zog er eine Waffe, feuerte auf seine Nachbarn und verletzte dabei einen Mann, eine Frau und ihre sechs Jahre alte Tochter.

All dies geschah in derselben Woche wie die Schüsse auf Ralph Yarl. Aber nur sein Fall erregte nationale und internationale Aufmerksamkeit. Warum? Die Beteiligten in den anderen geschilderten Fällen waren weiß – mit Ausnahme Singletarys, der aber Täter war und nicht Opfer.

Das bedeutet nicht, dass Rassismus keine Rolle spielte. Der offenbar rechtsextreme Lester, der durch eine Glastür auf Yarl feuerte, hätte sich von einem weißen Jugendlichen vielleicht nicht „bedroht” gefühlt. Rassismus existiert und ist weiterhin ein großes Übel, nicht nur in Amerika.

Aber die anderen Fälle hatten, so wie der Großteil der Tötungen mit Schusswaffen in den USA, nichts mit Rassismus zu tun. Sondern mit der tödlichen Kombination aus 400 Millionen Schusswaffen, einer kulturell bedingten Bereitschaft, sie einzusetzen und Gesetzen, die es erlauben, in oder auf dem eigenen Besitz tödliche Gewalt anzuwenden, sobald man sich bedroht fühlt. Nichts davon wird sich ändern, wenn man stattdessen wieder über Rassismus diskutiert.