„Wir haben ein systematisch negativ verzerrtes Bild von der Welt.“

Glück ist seit 14 Tagen das Thema einer Artikelserie dieser Zeitung. Es meldeten sich immer wieder Leser, die die vielen schlimmen Nachrichten monierten und fragten, wo die positiven Meldungen blieben, hieß es zum Serienstart. Nun ist diese Kolumne ja als stetig sprudelnder Quell freudvoll-optimistischer Aussagen bekannt, und so möchte ich es mir nicht nehmen lassen, die Frage zu beantworten: Sie werden nicht geglaubt oder empört zurückgewiesen. Im Buch „Schöner Denken“ schrieb der wunderbare Michael Miersch zum Stichwort „zynisch“: „Einst wurde der Überbringer schlechter Nachrichten geköpft. Mittlerweile ist es umgekehrt. Schlechte Nachrichten sind willkommen, gute lösen Verdacht aus.“ Als Beispiel verwies er auf einen Artikel in der „Welt“, den wütende Leser mit Nazipropaganda während des Untergangs verglichen. Das Vergehen des Autors? Er hatte die Erfolge bei der Bekämpfung von Hunger, Armut und Krankheit auf der Welt beschrieben.

Der schwedische Statistik-Professor Hans Rosling hat jahrelang Umfragen zum Zustand der Welt durchgeführt. Wie hat sich die globale Armut in den vergangenen Jahrzehnten entwickelt? Wie viele Kinder auf der Welt sind gegen Masern geimpft? Steigen die Geburtenraten weiter? Die Befragten durften aus einer von drei Antworten wählen. Das Ergebnis: Würde man denselben Test mit Schimpansen machen, die Affen schnitten besser ab als die schwedische Bevölkerung, ja selbst besser als Roslings Studenten. Denn sie lägen per Zufall mit jedem dritten Tipp richtig, während die Studenten überzufällig häufig die negativeren falschen Antworten auswählten. Natürlich sind die Affen nicht klüger als die Studenten. „Wenn Sie schlechter als zufällig antworten, ist das Problem nicht ein Mangel an Wissen, sondern vorgefasste Ideen“, so Rosling. Wir haben ein systematisch negativ verzerrtes Bild von der Welt. Denn sie ist besser, als wir glauben: Seit 1970 ist der Anteil der Mangelernährten in Entwicklungsländern von 35 auf
13 Prozent gesunken. Extreme Armut ging von knapp 39 Prozent 1990 zurück auf 8,5 Prozent 2019. Trotz steigender Weltbevölkerung drückt sich das auch in absoluten Zahlen aus: Statt zwei Milliarden leben heute „nur“ noch 650 Millionen Menschen in extremer Armut. 1970 waren 34 Prozent der Weltbevölkerung Analphabeten. Heute sind es weniger als 14 Prozent. All diese Zahlen stammen aus offiziellen Statistiken der Vereinten Nationen. Wer auf solche Fakten hinweist, dem wird schnell Verharmlosung vorgeworfen. Und ja, Elend, Not und Unrecht gibt es noch immer zur Genüge auf diesem Planeten, das können und sollen diese Zahlen nicht verdecken. Aber sie sind ein Antidot gegen das Gift des Fatalismus und der Misanthropie, denn sie beweisen: Wir können etwas bewirken, trotz der Rückschläge der vergangenen Jahre. Wen wir nicht nachlassen, können wir die Welt besser machen. Das tun wir schließlich schon lange.