Der Triumph der Republikaner am Obersten Gerichtshof könnte sich an der Wahlurne bald als Pyrrhussieg herausstellen.

Abtreibungen werden illegal in den USA. Zu dieser Erkenntnis musste kommen, wer zuletzt die Berichterstattung über einen an die Presse durchgesteckten Entwurf einer Entscheidung des Obersten Gerichtshofs der Vereinigten Staaten verfolgte. Verbietet der Surpreme Court mit seiner Revision des Urteils im Fall Roe v. Wade von 1973 bald Schwangerschaftsabbrüche? So schien es jedenfalls der Gouverneur von Kalifornien, Gavin Newsom, aufzufassen, als er twitterte: „Unsere Töchter, Schwestern, Mütter und Großmütter werden nicht zum Schweigen gebracht werden. Die Welt wird ihre Wut zu hören bekommen. Kalifornien wird sich nicht zurücklehnen. Wir werden wie die Hölle kämpfen.“

Dabei hätte die Entscheidung, falls der Entwurf denn so umgesetzt wird, gar keine Auswirkungen auf die angeführten Kalifornierinnen. Denn es geht überhaupt nicht um ein Abtreibungsverbot. Die Richter stellen vielmehr fest, dass sich aus der Verfassung der USA kein allgemeines Recht auf Abtreibung ableiten lässt – auch nicht aus dem zuvor als Begründung herangezogenen Recht auf Privatleben.

Damit lehnen die Richter die (aus ihrer Sicht) Autoritätsüberschreitung des Gerichts ab, das in diesem Fall 1973 faktisch ein Gesetz erschaffen hat, und geben die Sache zurück in den demokratischen Gesetzgebungsprozess der Bundesstaaten. Kalifornien kann sein Abtreibungsgesetz, das liberaler ist, als der Gerichtshof vorschreibt, also behalten. Auch die deutsche Regelung wurde übrigens von der Legislative, also dem Bundestag, formuliert und nicht vom Bundesverfassungsgericht.

Trotzdem könnte die Entscheidung für viele Frauen in den USA drastische Konsequenzen haben. In konservativ geführten Bundesstaaten liegen restriktive Gesetze zu Schwangerschaftsabbrüchen bereits in den Schubladen. Es droht ein „Abtreibungstourismus“ in liberale Staaten, unterstützt von Konzernen wie Tesla im konservativen Texas, die für ihre Angestellten die Kosten eines Schwangerschaftsabbruchs in einem anderen Bundesstaat übernehmen.

Und vielen Republikanern könnte das Jubeln bald vergehen: Laut einer aktuellen Umfrage von „CBS News“ wollen 64 Prozent der US-Amerikaner am Urteil von 1973 festhalten. Unter jungen Wählern sind es 71 Prozent, unter Demokraten 91 Prozent.

Das Thema hat erhebliches Mobilisierungspotenzial für die Halbzeitwahlen im November. In einer Umfrage für „Yahoo News“ gaben im Herbst 2021 nur vier Prozent der befragten Demokraten Abtreibung als für sie wichtigstes Thema an. Kurz nach der Meldung über das geplante Urteil waren es bereits 20 Prozent. In den Medien werden zudem nun Studien zitiert, die zeigen, dass ein Abtreibungsverbot zu enormen Kosten durch steigende Sozialleistungen für ungewollte und sozial benachteiligte Kinder führen würde. Die konservativ geführten Staaten drohen, sich ökonomisch selbst ins Knie zu schießen.

So könnte sich der Triumph der Republikaner am Obersten Gerichtshof an der Wahlurne schon bald als Pyrrhussieg herausstellen.