Derzeit toben sich Kommentatoren aus, die Meinungsfreiheit befürworten, solange sie auf ihre eigenen Meinungen beschränkt ist.

Elon Musk ist eine Sorte Mensch, die man in Deutschland vergeblich sucht: ein Kapitalist, der sich dieser Bezeichnung nicht schämt. Der reichste Mann der Welt hat sein Vermögen nicht geerbt, sondern mit Einfallsreichtum, Tatkraft und Entschlossenheit erwirtschaftet, indem er alle Branchen umkrempelte, die er ins Visier nahm.

Jetzt kauft Musk das soziale Netzwerk Twitter, und die Kommentatoren hyperventilieren. Warum? Am Geld kann’s nicht liegen, denn Twitter hat nur in zwei der vergangenen zehn Jahre Gewinn abgeworfen. Mit etwas mehr als 200 Millionen Nutzern ist das Netzwerk winzig im Vergleich zu den Milliarden von Facebook und Instagram. Aber Twitter boxt weit über seiner Gewichtsklasse, was den Einfluss auf politische und kulturelle Debatten angeht.

Das liegt vor allem an seiner Nutzerstruktur aus Journalisten, Politikern und Prominenten mit starkem Linksdrall. „Welt“-Chefredakteur Ulf Poschardt spricht treffend von einer „national-moralistischen Zauberbude voller Spießer, die mit aller Bitterkeit gegen Leute vorgehen, die anders auf die Welt schauen als sie selbst“. Grund für deren Erregung ist nicht etwa, dass Musk angekündigt hätte, mit Twitter noch reicher werden zu wollen. Stattdessen verspricht er, den Algorithmus öffentlich zu machen und automatisierte Profile (Bots) zu bekämpfen.

Wovon träumen Diktatoren?

Stein des Anstoßes ist Musks Pochen auf die Meinungsfreiheit: „Sie ist das Fundament einer funktionierenden Demokratie.“ Der Komiker Jan Böhmermann rief sogleich nach dem Staat, der ihn finanziert, und forderte „Twitter vergemeinschaften!“ Der ehemalige US-Außenminister Robert Reich entblödete sich nicht, zu schreiben, ein unkontrolliertes Internet sei der Traum eines jeden Diktators. Als ob China, Russland und Nordkorea für ihre wilde Internetfreiheit bekannt wären. Der Journalismusprofessor Jeff Jarvis setzte noch einen drauf und twitterte: „Der heutige Tag fühlt sich an wie der letzte Abend in einem Berliner Nachtclub in der Dämmerung der Weimarer Republik.“ Offenbar war die Meinungsfreiheit die schärfste Waffe der Nazis. Und Krieg ist Frieden, Freiheit ist Sklaverei und Unwissenheit ist Stärke.

Ja, ganz ohne Moderation geht es nicht. Aber wenn wie zu Beginn der Pandemie Beiträge über einen möglichen Ursprung des neuen Corona-Virus in einem Labor als Verschwörungstheorie zensiert werden, dann ist das Problem nicht zu wenig, sondern zu viel Zensur. Und wenn Donald Trump gesperrt wird, während die Sprechpuppen der Taliban und der chinesischen Staatspartei fröhlich weitertwittern, belegt das die Einseitigkeit der Meinungsbeschränkungen.

Derzeit toben sich Kommentatoren aus, die Meinungsfreiheit befürworten, solange sie auf ihre eigenen Meinungen beschränkt ist. Musks Übernahme stellt diesen Pseudoliberalismus der Böhmermänner bloß. Schon das ist ein Erfolg. Möge er versuchen, Twitter ähnlich umzukrempeln wie die Raumfahrt. Vielleicht scheitert er und zerstört die Plattform dabei. Es gäbe wahrlich Schlimmeres.