„Ob die Ministerin das genauso sähe, wenn sich Wissenschaftler für die Zulassung von gentechnisch veränderten Organismen auf die Straße klebten?“

Zurzeit macht die „letzte Generation“ von sich reden. Betrachtet man die famose Idee, im Kampf für ein „Essen-retten-Gesetz“ auf einer Rasenfläche vor dem Bundeskanzleramt mitten im Winter nicht vorgekeimte Kartoffeln direkt unter die Grasnarbe zu legen, ist die Selbstbezeichnung treffend. Wer diesem Vorbild folgt, braucht sich nämlich vor dem Klimawandel, der die letzte Generation zu ihren Aktionen treibt, nicht zu fürchten – weil er vorher verhungert.
Neben diesem Akt symbolischer Lebensmittelverschwendung erregen die Aktivisten Aufmerksamkeit in den Medien und Unmut bei Verkehrsteilnehmern, weil sie auf diversen Straßen festkleben. Derweil ringen die Grünen darum, sich irgendwie stringent dazu zu positionieren: Es stört, aber irgendwie haben die jungen Leute ja recht…

Cem Özdemir, dem die Aktivisten am Dienstag eine Ladung Mist in sein Landwirtschaftsministerium gekippt haben, zeigte zwar Verständnis für das Anliegen, wies die Methoden aber zurück. Man könne sich doch einfach zu einem Gespräch treffen, „wie das so üblich ist“. Partei-Chefin Ricarda Lang verteidigte den „zivilen Ungehorsam“ zunächst, erklärte dann aber, nachdem mindestens ein Krankenwagen blockiert worden war: „Ich halte davon nichts.“ Bundesumweltministerin Steffi Lemke hingegen fand es „absolut legitim, für seine Anliegen (…) auch Formen des zivilen Ungehorsams zu nutzen“.

Schließlich geht es um den Klimawandel. Da heiligt der Zweck offenbar den Klebstoff. Es stellt sich allerdings die Frage, ob die Ministerin das genauso sähe, wenn sich Wissenschaftler für die Zulassung von gentechnisch veränderten Organismen (GVO) auf die Straße kleben würden. Laut einer aktuellen Studie der gerade mal fünf Kilometer vom Bundesumweltministerium entfernten Uni Bonn könnte der Anbau von GVO die CO2-Emissionen der EU um 33 Millionen Tonnen reduzieren. Das wäre immerhin mehr als der Hälfte der Gesamtemissionen der deutschen Landwirtschaft.

Laut Weltklimarat IPCC setzt die Kernenergie etwa so viele Treibhausgase frei wie Windenergie – 12 Gramm pro Kilowattstunde. Einer am Montag in der Fachzeitschrift „Nature“ veröffentlichten Studie zufolge wäre die Kernenergie in Ländern mit „geringen Windressourcen“ sogar der günstigste Weg zu einer nahezu emissionsfreien Stromerzeugung. Vielleicht sollten sich Freunde der Kernenergie vors Umweltministerium kleben oder eine Ladung Kohleasche ins Ministerium schütten, um zu schauen, wie es dann mit dem Verständnis für „zivilen Ungehorsam“ im Dienste des Klimaschutzes steht.

Jeder Aktivist ist von der Bedeutung seiner Sache überzeugt – sonst wäre er ja keiner. Die RAF glaubte, eine bessere Welt herbeibomben zu können. Im Rechtsstaat sind einige Mittel aber grundsätzlich inakzeptabel. Deshalb bekommen Hungerstreiker und Rettungswagen-Blockierer keinen Termin im Kanzleramt. Zwecke, für die sich das Nachahmen dieser Mittel lohnte, gibt es nämlich mehr als genug.