Bei unserem ersten persönlichen Treffen gab er mir einen Handkuss. Ein Charmeur, dieser Hans-Georg Jackisch. Es war eine zufällige Begegnung mit dem damals 99-Jährigen. Für einen Bericht führte ich gerade ein Gespräch im Kaiserdom Königslutter, er kam hinzu. Na ja, so zufällig war das Treffen nicht, denn wer im Dom ist, muss eigentlich damit rechnen, ihm zu begegnen. Das war mir schon lange vor meiner Begegnung mit dem „Domgeist“ bewusst, wie er liebevoll genannt wird. Immer wieder hatten wir in der Zeitung schon über ihn berichtet. Mal weil er geehrt wurde, mal weil er sich im hohen Alter an Veranstaltungen der Domführergilde beteiligte. Der gehörte er selbst ganz aktiv noch bis zu seinem 95. Lebensjahr an und führte regelmäßig Gäste quasi durch sein zweites Zuhause.

Sein erstes liegt in unmittelbarer Nähe zu dem romanischen Prachtbau. Seit 45 Jahren lebt der mittlerweile 103-Jährige in einem Fachwerkhaus im Schatten seines geliebten Doms – und hält Haus und Hof in Ordnung. Sicher, ganz ohne Unterstützung geht es nicht, doch ein Mann, der nur zu Hause hockt? Nein, das ist Hans-Georg Jackisch wirklich nicht. Wach, interessiert, aufgeweckt und fröhlich dem Leben gegenüber stehend, so ist er zu erleben. Bei unserer ersten Begegnung erzählte er mir, dass er gerade mit seinem VW-Käfer, Baujahr 1984, aus dem Schwarzwald zurückgekommen sei. „Wie, Sie sind die Strecke komplett selbst gefahren?“, fragte ich ihn ungläubig. „Ja klar, das geht alles noch gut, sagt auch mein Arzt.“

Mit seinem Auto hatte ich ihn zuvor schon mehrfach durch Königslutter kurven sehen. Mittlerweile fährt er seinen Käfer selbst nicht mehr. Ja, das Gehör will auch nicht mehr so richtig. Dafür ist der Geist noch rege, sein Computer, wie er sagt. Den hält er unter anderem mit Kreuzworträtseln wach – etwa wenn er gerade mal wieder Aufsicht im Dom hat. Als im Frühjahr dieses Jahres nach den langen Corona-Lockdown-Monaten endlich wieder Besucher hinein dürfen, tritt auch der 103-Jährige regelmäßig seine ehrenamtlichen Schichten an. Einfach untätig herumsitzen? Wirklich nicht sein Ding. Wieder bin ich eigentlich für einen anderen Bericht da und frage ihn, wie er mit der Pandemie und den Einschränkungen zurecht kommt. „Kein Problem.“ Klar, eine andere Antwort hatte ich fast gar nicht erwartet. Es gibt nur einen Moment, wo Hans-Georg Jackisch sentimental wird: Wenn er von „seinem Mädchen“ spricht, seiner vor Jahren verstorbenen Frau. Dennoch: Das Leben habe es gut mit ihm gemeint. Und da ist es wieder, dieses Lächeln mit dem kleinen Flirt im Auge. Was für ein Vorbild.

75 Jahre Braunschweiger Zeitung

Dieser Text ist Teil unseres großem Themenschwerpunktes zum 75-Jährigen Bestehen der Braunschweiger Zeitung.

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