Es gibt Menschen, die behaupten, die gegenseitige Abneigung der Städte Braunschweig und Hannover geht auf die Politik der Kaiser und Könige im Mittelalter zurück. Andere halten den Ball flacher – und denken an den sportlichen Wettstreit. Den Grund, warum man sich nicht leiden kann, liefern sie auch mit. Es ist die vermeintliche Bevorzugung der „Blau-Gelben“ bei der Gründung der Fußball-Bundesliga 1963. Während Eintracht Braunschweig in der Eliteklasse spielen durfte, schaute Hannover in die Röhre. Rumms, bitter, unendlicher Schmerz auf der einen, Freude pur 55 Kilometer Luftlinie weiter auf der anderen Seite.

Vor jedem Derby kommt das zur Sprache, fußballerische Nostalgie als gelebte Gegenwartskultur. Es gibt für diese Fans eben auch nur ein Niedersachsen-Derby, auch wenn das nordöstlich von Braunschweig mancher anders sieht. Das Aufeinandertreffen im November 2013 war dennoch ein besonderes. Es war das erste Duell zwischen Eintracht und 96 in der höchsten deutschen Spielklasse seit 37 Jahren, und es wurde noch lange danach über das gesprochen, was abseits des Rasens passierte. Spiegel Online überschrieb es mit „Hass auf den Rängen, Müll auf dem Rasen“, der Tagesspiegel titelte „Pyrotechnik im Minutentakt“ und unsere Zeitung sprach von „Mulmigen Momenten an der Seufzerallee“, eine Straße unweit des Stadions.

Unsere Redaktion ist an diesem Abend mit vier Redakteuren und einem Fotografen im Einsatz und zeigt die Relevanz des Themas, weit über den Sport hinaus. 1500 Polizisten sollen das Spiel sichern. Immer wieder blitzen ihre weißen Helme aus der dunklen Masse heraus, die sich vor Spielbeginn in Richtung Arena schiebt. Noch hoffen alle, dass der wochenlang beschworene Appell an die „Besonnenheit aller Seiten“ fruchtet. Schnell ist klar, daraus wird nichts.

Schon weit vor Anpfiff gibt es Ärger an den Eingangstoren. Beide Fan-Lager versuchen, sich gewaltsam Zutritt zu verschaffen. Es gibt kurzzeitige Festsetzungen durch die Polizei, aber auch verletzte Beamte. In der Dunkelheit fliegen Flaschen, das zerspringende Glas auf dem Asphalt ist immer wieder zu hören.

Später, mit Anpfiff um 20.30 Uhr, ist dann klar, warum die Gewaltexplosion vor den Stadiontoren aus Sicht der „Chaoten“ passieren musste. Fast über die gesamte Spielzeit wird auf den Rängen „Pyro“-Technik gezündet, Flaggen brennen, Raketen landen auf dem Spielfeld. Dass ein Teil dieser Munition bei der versuchten „Erstürmung“ des Stadions in das selbige gelangen konnte – davon ist auszugehen. So geht dieser Derbyabend in Hannover als eher dunkleres Kapitel deutscher Fan-Kultur in die Geschichte ein. Sportlich berauschend ist er auch nicht: Das Spiel endet torlos 0:0.

Kritik ernten im Nachgang neben Randalierern auch DFL und die Einsatzleitung der Polizei. Das Spiel, als Abendspiel anzusetzen: der Kardinalfehler. Das Rückspiel ist ein voller Erfolg – zumindest für Braunschweig. 3:0 gewinnt die Mannschaft von Trainer Torsten Lieberknecht als Aufsteiger gegen Hannover. Dass es friedlich bleibt, wird der Strategie der Polizei in Braunschweig angerechnet. Ein Erfolg, der aber teuer erkauft ist: 3600 Polizeikräfte aus ganz Niedersachsen und darüber hinaus wurden zusammengezogen. Es fallen mehr als 36.000 Arbeitsstunden an. Es ist damit nicht nur der bislang teuerste Polizeieinsatz in der Geschichte der Fußball-Bundesliga, sondern auch der am besten gesicherte. In Braunschweig beschützt an diesem Apriltag im Jahr 2014 ein Beamter etwa sechs Zuschauer. Eine entspannte Fußball-Atmosphäre: Definitionssache.

75 Jahre Braunschweiger Zeitung

Dieser Text ist Teil unseres großem Themenschwerpunktes zum 75-Jährigen Bestehen der Braunschweiger Zeitung.

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