Wir schreiben das Jahr 1996. Gerade angeheuert hatte ich bei den Wolfsburger Nachrichten. Als freie Mitarbeiterin im Sport und im Lokalen. In Atlanta war gerade Olympia gelaufen – eine der riesigen Entscheidungen war das Gold im Kugelstoßen der Frauen. Astrid Kumbernuss, die diesen Sport, wie manche sagten, salonfähig gemacht hatte, stand in den USA ganz oben auf dem Podest. Die Ästhetin und brillante Technikerin war Olympiasiegerin geworden. Zudem gab es Verbindung zum Lager der Wolfsburger Kugelstoßerinnen um Stefanie Storp. Man war befreundet, trainierte zusammen, bestritt Wettkämpfe. Was lag näher, als die nun Größte im Kugelstoßen vom SC Neubrandenburg zu interviewen? Unsere Leser würde das sicher freuen, dachte ich mir.

Kurze Recherche, die Nummer vom Sportgeschäft in Neubrandenburg, das sie gegründet hatte, herausgesucht. Und nachgefragt, wann die Olympionikin zurück aus den Staaten sei und wohl Zeit hätte. Ring, ring. „Ja, Moment, ich reich mal weiter.“ „Hier ist Astrid Kumbernuss.“ (Schluck, ähm). „Erst mal den allerherzlichsten Glückwunsch zum Olympiasieg! Wann hätten Sie wohl …?“ „Können wir sofort machen.“ (Huch! Auf der Stelle??? Sie war bei keiner Ehrung, keinem Sponsor, auf keiner Reise durchs Land? Wenigstens lagen Stift und Block in Griffnähe. Also los. Einfach das fragen, was man am Fernseher gesehen, miterlebt hatte.)

Was war das für ein Gefühl, als die Kugel auf 20,56 Meter flog, die der Chinesin Sui Xinmei nur auf 19,88 Meter? Und warum hat sie danach so verloren im Stadion gestanden und ist nicht vor Freude durchgedreht? Sie sagt, dass das schon ein großer Moment war, aber sie alles nicht richtig realisieren konnte. Olympia-Gold sei der Traum jedes Sportlers.

Setze nun der Geldsegen ein? Wie wird sich ihr Leben verändern? Was bedeutet das für die Leichtathletik im wiedervereinigten Deutschland? Unglaublich nett und unkompliziert kam sie rüber. Nein, die große Veränderung im Leben würde das nicht sein. Familie, Geschäft, Verein, auch etwas höher dotierte Sponsorenverträge – das war die Perspektive. Ihren Lebenserwerb müsse sie weiter verdienen.

Ich kann mich nicht mehr erinnern, wie lange wir telefonierten, bekam zusammen, was unsere Leserschaft über die Gold-Siegerin wissen sollte. Und war auch ein bisschen stolz auf mein Erstlingswerk.

Später kam Astrid Kumbernuss zu einem Wettkampf nach Wolfsburg. Das wurde natürlich gefeiert. In den 90ern hatte die Leichtathletik in der Stadt noch eine andere Bedeutung. Bis heute denke ich schmunzelnd an den fast verstolperten Einstieg ins Interview-Führen zurück. Es hat ja funktioniert, was man über uns sagt: „Ihr Journalisten fragt Euch halt so durchs Leben.“

75 Jahre Braunschweiger Zeitung

Dieser Text ist Teil unseres großem Themenschwerpunktes zum 75-Jährigen Bestehen der Braunschweiger Zeitung.

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