Am 11. September 2001 entführen 19 El-Kaida-Terroristen in den USA vier Passagiermaschinen. Zwei steuern die Selbstmordattentäter in die Zwillingstürme des World Trade Centers in New York, eine ins Pentagon bei Washington. Das vierte Flugzeug stürzt nach Kämpfen mit den Passagieren in Pennsylvania ab. Live-Bilder gehen rund um die Welt. Die Menschen halten den Atem an, sind schockstarr. 8000 New Yorker Feuerwehrleute stellen sich dem Inferno entgegen. 343 sterben dabei. 9/11 fordert insgesamt mehr als 3000 Menschenleben.

Gene Rice und Bryan Weckmann haben überlebt. Ein Jahr nach den Anschlägen, am 11. August 2002, lerne ich sie kennen. Der Landesfeuerwehrverband Niedersachsen hat eine Erholungsreise für 20 Feuerwehrleute aus New York organisiert, die die Terroranschläge miterlebten. Sie sind in Bad Harzburg untergebracht, ein Ausflug führt sie zur Braunschweiger Feuerwache. Und dort erzählen sie mir von den Bildern, die sie nicht mehr loslassen, von den Kameraden, die sie verloren haben.

Luitgard Heissenberg zeigte dem New Yorker Feuerwehrmann Bryan Weckmann 2005 im Braunschweiger Dom das Grabmal Heinrichs des Löwen. Sie lernte Weckmann (kl. Foto rechts) im August 2002 kennen, ebenso wie Lieutenant Gene Rice. Noch heute dauern ihre besonderen Brieffreundschaften an
Luitgard Heissenberg zeigte dem New Yorker Feuerwehrmann Bryan Weckmann 2005 im Braunschweiger Dom das Grabmal Heinrichs des Löwen. Sie lernte Weckmann (kl. Foto rechts) im August 2002 kennen, ebenso wie Lieutenant Gene Rice. Noch heute dauern ihre besonderen Brieffreundschaften an © Flentje, Rudolf | BZV

Bryan Weckmann, damals 41 Jahre alt, hat am 9/11 seine Nachtschicht gerade hinter sich, als sämtliche Einsatzkräfte alarmiert werden. Überlebende findet er nicht. „Ich habe sieben Kameraden, viele Freunde verloren, es tut weh“, sagt er mir damals. Lieutenant Gene Rice, damals 40 Jahre alt, ist vor Ort, als der zweite Tower von dem Flugzeug getroffen wird. Er spricht im Interview stakkatoartig, will die Erinnerungen schnell wieder einsperren: „Menschen sprangen aus den oberen Stockwerken. Wir haben gesucht, man konnte nichts sehen. Haben versucht zu helfen, zu retten. Haben Feuer gelöscht.“ Als der erste Tower einstürzt, „sind alle nur noch gerannt“. Er sagt noch: „Die Gefühle sind immer da. Wir möchten uns erholen.“ Dann geht er weg.

Ich rede in der Braunschweiger Wache noch mit weiteren Feuerwehrleuten. Entgegen meiner üblichen Interviewpraxis hake ich nicht weiter nach, mir fehlen die richtigen Worte. Sie laden mich zu einem zweiten Treffen ein paar Tage später in den Harz ein. Dort tausche ich mit Bryan und Gene die E-Mail-Adressen aus. Zwei Brieffreundschaften beginnen.

Im Laufe der Zeit schreibt mir Gene mehr von seinem anstrengenden Job. Zum Beispiel vom großen Stromausfall in New York im August 2003, als er 36 Stunden ohne Pause bis zu 35 Stockwerke erklimmt, um Menschen aus Fahrstühlen zu befreien. Er schreibt, dass er versucht, die Begeisterung für seinen Beruf zurückzugewinnen. Gene hat sieben Kameraden aus seiner Wache am Times Square bei den Anschlägen verloren. Wir tauschen Familienfotos aus. 2005 bereist er mit seiner Frau Europa, wir drei treffen uns in München. Vor einigen Jahren ist der heute
60-Jährige in Ruhestand gegangen. Einer seiner vier Söhne ist Firefighter in New York geworden, Gene ist sehr stolz auf ihn.

Bryan hat seinen eigenen Weg gefunden, die Katastrophe zu verarbeiten: „Ich nehme das Leben nicht mehr ganz so ernst, seit ich weiß, wie schnell man es verlieren kann.“ Er hat sich einige Monate nach 9/11 von Manhattan nach Queens versetzen lassen, wo er ein Haus besitzt. Über die Stadt New York hat er sich wahnsinnig geärgert, weil diese sich geweigert habe, die Feuerwehrleute besser zu bezahlen und die Ausrüstung zu modernisieren. Bryan besucht mich 2005 in Braunschweig. Der Dom gefällt ihm, zumal Domkantor Gerd-Peter Münden, den wir dort zufällig treffen, eigens für ihn Orgel spielt. Auch der heute 61-Jährige ist inzwischen im Ruhestand.

20 Jahre sind vergangen seit 9/11. Wie in jedem Jahr habe ich beiden an diesem Tag geschrieben.

75 Jahre Braunschweiger Zeitung

Dieser Text ist Teil unseres großem Themenschwerpunktes zum 75-Jährigen Bestehen der Braunschweiger Zeitung.

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