Das erste Interview, der erste Mordprozess, die erste Begegnung mit einem hochrangigen Politiker oder Manager, der erste Protest eines unzufriedenen Lesers: Das sind für einen Nachwuchsjournalisten, der ich vor 30 Jahren als freier Mitarbeiter war, Erfahrungen mit Fettnäpfchen, feuchten Händen, Erfolgserlebnissen und ständigem Dazulernen.

Trotz aller Routine erlebte ich später viele besondere Momente. Ich erinnere mich gut an eine Betriebsratsvorsitzende, die im Walmart in Salzgitter-Bad mit sehr großem Einsatz für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kämpfte. Der US-Supermarktriese hatte versucht, in Deutschland Fuß zu fassen, sich dann aber wieder zurückgezogen. Ich erinnere mich an ebenso spannende wie überraschende Wahlabende im Rathaus in Salzgitter. Ich erinnere mich an die Kundgebung mit Zehntausenden Teilnehmern auf dem VW-Werksgelände in Wolfsburg, als es um den Erhalt des VW-Gesetzes ging.

Ich erinnere mich an einen tollen Tag bei MAN in Salzgitter, als ich mit Berufsstartern gemeinsam feilte und mich dabei mit ihnen über ihre Zukunft unterhielt. Ich erinnere mich an die Schockstarre in Wolfsburg, als der VW-Abgas-Betrug öffentlich wurde. Ich erinnere mich an ein Gespräch mit einem Stahlarbeiter der Salzgitter AG, der Heiligabend zur Schicht musste. Und ich erinnere mich an den Aufstieg „meines“ VfL Wolfsburg in die erste Liga. Ein Kommentar, den ich damals dazu geschrieben habe, wurde nicht veröffentlicht – aus Furcht vor Reaktionen der Eintracht-„Fans“.

Und da sind wir schon bei meinem Lieblingsthema: Selbstredend berühren und überraschen mich heute noch Themen, die ich als Journalist begleite. Was mich aber weitaus betroffener macht, ist die Verrohung unserer Gesellschaft. Das gilt ganz besonders für das von der Anonymität „geschützte“ verbale Aufeinandereindreschen in den sozialen Medien. Wie feige und rückgratlos ist das?!

In der Politik geht es zunehmend mehr um die Fehler der anderen als um die eigene Vision. Erbärmlich! Unsere Streitkultur ist an vielen Punkten zu einer Strategie verkommen, den jeweils Andersdenkenden zu beschädigen. Das empfinde ich ganz besonders in Debatten zu Klimaschutz und Zuwanderung.

Dabei sollte es doch ergebnisoffen um die stärksten Argumente gehen, damit der bestmögliche Kompromiss gefunden wird. Stattdessen begegnen mir zu oft Aggressivität, angelegtes Gekränktsein in harmlosen Debatten und ein in vielen Fällen verengtes, verkrampftes Weltbild. Dabei bräuchten wir in diesen aufgewühlten Zeiten genau das Gegenteil: eine konstruktive Streitkultur, die von Respekt und Lösungsorientierung geprägt ist.